English China

Handlungsfelder in der Vakuumtechnik Von Plug-and-Play bis Ferndiagnose

Autor / Redakteur: Das Gespräch führte Dr. Ulla Reutner / Dipl.-Chem. Marc Platthaus

Vakuumtechnik ohne Sensorik und Software ist undenkbar. Der Maschinenbauer Leybold stärkt auf diesen Feldern seine Kompetenzen.

Anbieter zum Thema

„Der Anwender von Vakuumtechnik will jederzeit über alles informiert sein – am besten online in Realzeit, zum Beispiel über eine App.“ Dr. Marlis Sydow, Senior Market Segment Manager, Leybold
„Der Anwender von Vakuumtechnik will jederzeit über alles informiert sein – am besten online in Realzeit, zum Beispiel über eine App.“ Dr. Marlis Sydow, Senior Market Segment Manager, Leybold
(Bild: Reutner)

LABORPRAXIS: Seit über 100 Jahren bildet Vakuumtechnik ein wichtiges Standbein Ihres Unternehmens. Wie gelingen heute noch Fortschritte und Weiterentwicklungen?

Dr. Marlis Sydow: Sehr viele Impulse erhalten wir, indem wir unseren Anwendern zuhören. Wir liefern Vakuumtechnik für die Solar- und Halbleitertechnik, für Lebensmittelverarbeitung und -verpackung, für Beschichtungen in der Solar- und Displaytechnik, für industrielle Applikationen und für die Analysentechnik. In all diesen Branchen definieren wir Schlüsselkunden – Vorreiter in ihrem Sektor –, mit denen wir gemeinsam an neuen Produkten und Produktverbesserungen arbeiten. Das Marktsegment Forschung & Entwicklung ist uns besonders wichtig. Es ermöglicht uns, neue Trends frühzeitig zu erkennen und frühzeitig mit eingebunden zu werden.

LABORPRAXIS: Wie entwickelt sich die Labor- und Analysentechnik?

Sydow: Der Analysenbereich wächst überproportional. Das ist unter anderem auf Märkte wie China zurückzuführen. Dort wächst die Bedeutung der Überprüfung von Luft-, Wasser- und Lebensmittelqualität.

Thomas Griegel: Auch das stärkere Sicherheitsdenken ist ein Treiber. Wenn am Flughafen die Laptops der Reisenden einer Kontrolle unterzogen werden, sind immer Analysengeräte und damit auch Vakuumtechnik mit im Spiel.

LABORPRAXIS: Die physikalischen Grundprinzipien der Vakuumerzeugung werden sich wohl nicht mehr ändern. Wie kann es dennoch zu nachhaltigen Verbesserungen kommen?

Sydow: Für die Labor- und Analysentechnik war die Einführung der Turbomolekularpumpe ein wichtiger Schritt. Störende Kohlenwasserstoffe, die beim Einsatz von Diffusionspumpen vorhanden waren, konnten so ausgeschlossen werden. Heute geht der Trend zu immer kompakteren Aggregaten, die vor allem immer leichter zu installieren und zu bedienen sind.

Christina Steigler: Ein weiterer Aspekt ist die Geräuschentwicklung insbesondere bei Laborgeräten. Wir werden in diesem Jahr eine neue Vorvakuumpumpe herausbringen, die deutlich leiser als bisherige arbeitet. Damit verbessern wir die Arbeitsbedingungen im Labor.

LABORPRAXIS: Was ist unter leichterer Bedienbarkeit zu verstehen? Verglichen mit Laborgeräten ist eine Pumpe nicht allzu komplex.

Griegel: Es geht unter anderem darum, das Vakuum ebenso einfach nutzen zu können, wie Strom oder Wasser. Mit modernen Vakuumpumpen ist das möglich – ohne Vorlaufzeiten, wie einst bei der Diffusionspumpe. Sie können das Experiment dann durchführen, wenn Sie dafür bereit sind. Und nicht, wenn die Apparatur bereit ist. So gesehen ist die Vakuumtechnik ein Stück weit zur Commodity geworden.

Sydow: Auch der Aufwand für die Wartung sinkt. Drehschieberpumpen werden mehr und mehr durch trockene Pumpen ersetzt, die keinen Ölwechsel benötigen. Und bei magnetgelagerten Turbomolekularpumpen müssen keine Kugellager mehr getauscht werden. Das beeinflusst auch die Cost-of-Ownership, zusammen mit einem sparsamen Energie-, Kühlwasser- und Spülgasverbrauch.

LABORPRAXIS: Mit der Halbleitertechnik und der Ablösung von Röhrenbildschirmen durch Displays hatte die Vakuumtechnik an großen technologischen Entwicklungen Anteil. Wo sehen Sie aktuell derartige Entwicklungen?

Steigler: In der Medizin wären viele Fortschritte der letzten Jahre ohne Vakuumtechnik undenkbar, sowohl was die Analytik als auch die Behandlung angeht. Denken Sie nur an die Protonentherapie zur Behandlung von Tumoren. Dahinter steht ein Teilchenbeschleuniger mit einer Röhre, in der Ultrahochvakuum herrscht.

Sydow: Die Weiterentwicklung der Vakuum-Anwendungen wird auch durch Megatrends wie die Urbanisierung gefördert. Für die Versorgung der Bewohner von Megastädten spielt die Lebensmittelverarbeitung und -verpackung unter Vakuum eine große Rolle. Damit einher geht die Beschichtung von Verpackungsmaterial. Allgemein wird die Beschichtung unterschiedlichster Materialien und Produkten immer wichtiger, angefangen vom modernen wasserfesten Handy bis hin zur metallischen Beschichtung von Automobilteilen. Leichtere Automobile verbrauchen weniger Treibstoff.

LABORPRAXIS: Vakuum könnte also dazu beitragen, E-Mobilität zum Erfolg zu führen. Gibt es weitere Zukunftstechnologien, die ohne Vakuum undenkbar wären?

Griegel: Nanotechnologie gehört sicherlich dazu. Bei den Möglichkeiten, die sich durch neue Materialien wie die Graphene erschließen, kratzen wir erst an der Oberfläche. Doch Vakuumtechnik ist bei all dem immer nur ein Werkzeug. Daher gilt es, Plug-and-Play-Geräte zu entwickeln. Vakuum muss einfach auf Knopfdruck vorhanden sein und darf die Prozesse nicht stören.

Steigler: Sicherlich noch weit in der Zukunft liegt die Umsetzung des Projekts Hyperloop. Eines Tages werden wir vielleicht in Transportkapseln durch eine evakuierte Röhre befördert werden. Die ersten Tests sind bereits durchgeführt und unsere Vakuumpumpen wurden dabei eingesetzt.

LABORPRAXIS: Wie werden sich Vakuumsysteme verändern, die in Labortechniken wie Massenspektrometern oder Röntgenanalysatoren Eingang finden? Leise und wartungsarm kann doch nicht alles sein.

Sydow: Wir werden der Mensch-Maschine-Schnittstelle immer mehr Beachtung schenken. Der Smartphone nutzende User will jederzeit über alles informiert sein – am besten über eine App. Wie sehen Drehzahl, Temperatur und Stromverbrauch aus? Wann steht eine Wartung an? Als Maschinenbauer müssen wir mit der Zeit gehen und immer mehr Elektronik, Sensorik und Software bereitstellen. Augmented Reality, bei der der Kunde etwa mittels Datenbrille bei der Wartung unterstützt wird, und die Möglichkeiten der Ferndiagnose, bei der ein Leybold-Servicetechniker ihn von der Zentrale aus unterstützt, werden immer wichtiger. Wir bieten schon heute an, übers Internet auf die Systeme zu gucken.

LABORPRAXIS: Wie offen sind Ihre Kunden derartigen Ideen gegenüber?

Sydow: Viele sind sehr zurückhaltend, auch wenn sie den Gewinn an Verfügbarkeit sehr gerne hätten. Halbleiterfirmen beispielsweise vernetzen vorwiegend ihre Geräte selbst innerhalb der Fabrik. Die Zustandsüberwachung hat dort einen sehr hohen Stellenwert.

LABORPRAXIS: Ist die Ferndiagnose auch für große Labore interessant?

Sydow: Ja. In Europa ist zwar ein Servicetechniker schnell vor Ort. In China oder USA ist das anders. Anstatt dort Backup-Systeme vorzuhalten, wäre mit einer Ferndiagnose schneller geholfen.

LABORPRAXIS: Welche Entwicklungsaufgaben stehen an, um vorausschauende Instandhaltung zu ermöglichen?

Sydow: Man braucht einen Sensor, der den Zustand der Pumpe erfassen kann, und muss seine Signale interpretieren können. Das ist nicht immer so einfach, wie es klingt. Aus der steigenden Stromaufnahme eines Antriebs kann man auf ein defektes Kugellager schließen. Oder der Gasdurchsatz steigt gerade an. Um das zu unterscheiden, müssen die Signale verschiedener Sensoren in Kombination interpretiert und die Historie betrachtet werden. Wir stehen hier noch am Anfang, sind aber der Überzeugung, dass man mit Predictive Maintenance, das heißt vorhersagbarer Wartung, viel Geld sparen und gleichzeitig die Produktionssicherheit erhöhen kann.

Griegel: Eine noch weitergehende Vision ist: Die Vakuumpumpen unterhalten sich und schalten sich bei Bedarf gegenseitig zu. Das wäre mit der heutigen Technik schon machbar. Funktionierende Netzwerke können die Up-Time maximieren – und das ohne menschliches Zutun.

LABORPRAXIS: Leybold wurde im vergangenen Jahr von Atlas Copco übernommen, einem Unternehmen, das zu den Marktführern im Sektor Kompressortechnik gehört. Wird das Vorteile bringen?

Steigler: Wir sehen große Synergien auf der Fertigungsebene. Atlas Copco nutzt die gleichen schnelldrehenden Maschinen und verarbeitet zum Teil die gleichen Materialien wie wir. Das wird im Einkauf Vorteile bringen und unserer Fertigung Optimierungsmöglichkeiten eröffnen. Gerade bei den Herausforderungen, die die Entwicklung von Human Machine Interfaces mit sich bringt, hoffen wir, von der weiter vorangeschrittenen Kompressortechnik zu profitieren. Zudem ist Atlas Copco ein sehr stabiles Unternehmen mit hervorragenden betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und 44000 Mitarbeitern. Für die zukunftsgerichtete Entwicklung sehen wir sehr gute Möglichkeiten.

LABORPRAXIS: Doch zunächst steht bei Ihnen der Abbau von Personal an. Das bringt sicherlich Unruhe ins Unternehmen.

Steigler: Das ist richtig. Doch alle Unternehmen unter dem Dach von Atlas Copco müssen in sich selbst stabil sein. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und alte Strukturen, die nicht gerade kostensenkend waren, abbauen. Wir werden unsere eigene Struktur wieder so herstellen, dass wir nachhaltig profitabel sind. Das ist mit harten Einschnitten verbunden. Zugleich wird darauf geachtet, das so sozialverträglich wie möglich zu gestalten.

LABORPRAXIS: Viele Ihrer Kunden benötigen sicherlich auch Kompressoren. Wird sich die Übernahme auf die Verkaufsstrukturen auswirken?

Sydow: Wir haben uns das angeschaut. Aber letztendlich werden Kompressoren und Vakuumpumpen zwar in denselben Unternehmen eingesetzt, jedoch an einer ganz anderen Ecke. Unser Brand Leybold wird jedenfalls erhalten bleiben.

LABORPRAXIS: Welche Bedeutung hat E-Commerce für Sie?

Griegel: Zubehör, Ersatzteile oder Vakuumpumpen für Standardanwendungen werden mehr und mehr via Internet geordert. Wird ein Produkt über den Shop angefragt, für das Beratung notwendig ist, bekommen unsere Sales-Mitarbeiter eine Information und können proaktiv auf den Kunden zugehen. In unserem Geschäft bedingt das aber einen sensiblen Umgang mit dem Thema Exportkontrolle. Vakuumtechnik kann zur Herstellung von atomwaffenfähigem Uran verwendet werden. Wir gehen daher zum Teil sogar über die BAFA-Anforderungen hinaus.

LABORPRAXIS: Sie werden also Ihre Wachstumsstrategie, was die Marktbearbeitung angeht, weiterverfolgen?

Sydow: Ja, zumindest ändern wir die Strategie nicht merklich. Unser Fokus bleibt auf den beschriebenen Marktsegmenten, wobei die Prozessindustrie das wichtigste bleibt. Weiterhin sehr hohe Bedeutung wird der Forschungsmarkt haben, sowohl die Großforschung als auch die Labore der Universitäten. Immer wichtiger wird der Service. Dafür entsteht ein eigener Bereich.

LABORPRAXIS: Wird Ihr Servicegeschäft in das von Atlas Copco eingegliedert? Und könnten eventuell sogar neue Geschäftsmodelle erwachsen, etwa der Verkauf von „Vakuum“ anstelle von Vakuumtechnik?

Steigler: Wir sind hier noch in der Evaluierungsphase. Aufgrund der Zusammengehörigkeit mit Atlas Copco kann sich der Service jedenfalls auf Basis ganz anderer Manpower-Strukturen entwickeln.

Griegel: Was das Angebot von „Vakuum“ angeht, ist es komplexer. Im Unterschied zu Kompressoren, wo man auf Basis einer Anwendung definieren kann, wieviel Kubikmeter Druckluft am Tag benötigt wird, müsste der Vakuumkunde viele Fragen beantworten: Welche Zykluszeiten haben Sie, welche Prozessgase pumpen Sie, welche Anforderungen hat die Anwendung? Alle Eventualitäten berücksichtigende Angebote sind daher nicht möglich und werden deshalb in der Regel individuell an die Kundenanforderungen angepasst. Sonst würden Preise ins Blaue geschossen – und solche Preise sind in der Regel nicht bezahlbar. Vakuumtechnik ist und bleibt auch in Zukunft ein beratungsintensives Geschäft.

Vielen Dank für das Gespräch Frau Dr. Sydow, Frau Steigler und Herr Griegel.

(ID:44590061)