Genome Editing Was halten Verbände vom Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Genome Editing?
Der Europäische Gerichtshof hat am 25. Juli ein Urteil zu modernen Mutagenese-Verfahren veröffentlicht. Lesen Sie, wie Industrieverbände und andere Interessenvereinigungen das Urteil kommentieren und welche Auswirkungen sie hieraus ableiten.
Anbieter zum Thema

Berlin, Frankfurt a.M., – Kaum ein Wissenschaftsthema wird von der Mehrheit der Bevölkerung so abgelehnt, wie die Gentechnik. Gerade wenn es um die Verwendung moderner Mutagenese-Methoden wie CRISPR/Cas in der Pflanzenforschung geht, sind die Vorbehalte groß. Und dies obwohl eine Mehrheit der Bundesbürger zugibt, von diesen Techniken nicht viel zu verstehen, wie eine Fokusgruppen-Befragung des Bundesamtes für Risikobewertung Ende des vergangenen Jahres belegt hat.
Mit den modernen Mutagenese-Verfahren des Genome-Editings können sehr gezielte Veränderungen im Genom des Zielorganismus eingeführt werden. Sie eröffnen so, aus Sicht der Wissenschaft eine Vielzahl von neuen Anwendungsmöglichkeiten. Beispielsweise wird der Einsatz in der Landwirtschaft, wie etwa bei der Entwicklung von krankheitsresistenten Pflanzensorten, oder in der Medizin diskutiert.
Nun hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil zu diesen neuen Genome-Editing-Methoden gesprochen. Hiernach sind durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen, egal ob sie durch zufällige Mutagenese-Verfahren oder durch Genome Editing wie CRISPR/Cas gezielt durchgeführt wurden.
Dies bedeutet aus Sicht von Wissenschafts- und Industrieverbänden eine zusätzliche Hürde beim Einsatz dieser Verfahren. Von anderen Institutionen wird das Urteil als weiterer Weg zu einem besseren Verbraucherschutz gelobt.
Wir haben einige veröffentlichte Stellungnahmen im folgenden zusammengefasst.
Stellungnahme von Bio Deutschland
Der Biotechnologieindustrieverband Bio Deutschland nimmt das heute veröffentliche Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Einordnung von Verfahren zur Veränderung des Erbguts, so genannter Mutagenese-Verfahren, mit Sorge zur Kenntnis. Die lang erwartete Entscheidung schließt neue Methoden zur Änderung des Erbguts (Genom Editierung) explizit aus der Ausnahmeregelung des Art. 3 Absatz 1 der Richtlinie 20117/18 in Verbindung mit Anhang I B (sog. Ausnahme für Mutagenese-Verfahren) aus. Durch Genome Editierung gewonnene Organismen sind damit als GVO im Sinne der europäischen Richtlinie über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen (2001/18/EG) zu behandeln. Dieses Urteil trägt aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft nicht Rechnung, da mit den neuen Verfahren Organismen gezielt so verändert werden können, wie sie auch natürlicherweise vorkommen könnten, so die Position des Verbandes.
Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender von Bio Deutschland sagt: „Wir sind enttäuscht, dass das heutige Urteil der Position des Generalanwaltes Bobek zur Einordnung neuer molekularbiologischer Verfahren zur Veränderung von Erbgut nicht entspricht. Richtig wäre gewesen, den Fokus von den Verfahren bzw. dem Prozess auf das Endprodukt, nämlich den veränderten Organismus, zu richten. Was zählt ist, ob der Organismus auch auf natürliche Weise hätte entstehen können und das Vorsorgeprinzip eingehalten wird, nicht wie er entstanden ist.“
Viola Bronsema, Geschäftsführerin von Bio Deutschland ergänzt: „Die neuen Methoden zur Veränderung des Erbguts sind im Vergleich zu schon lange eingesetzten Mutagenese-Verfahren mittels Chemikalien oder ionisierender Strahlung äußerst genau und zielgerichtet. Daher ist es sehr bedauerlich und auch nicht nachzuvollziehen, dass der EuGH entschieden hat, diese Verfahren von der Mutagenese-Ausnahme auszunehmen. So wird verhindert, dass diese bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse genutzt werden können, um wichtige Innovationen für die Gesundheit sowie für Klima- und Umweltschutz zu entwickeln.“
Stellungnahme der Deutschen Industrievereingung Biotechnologie im Verband der Chemischen Industrie
Die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) zeigt sich ebenfalls enttäuscht von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur rechtlichen Einordnung des Genom-Editing. Aus DIB-Sicht wird mit dieser pauschalen Ausweitung der europäischen GVO-Richtlinie das enorme Innovationspotenzial von Genom-Editing für die Landwirtschaft blockiert sowie für Medizin und biobasierte Chemikalien behindert.
Ricardo Gent, DIB-Geschäftsführer sagte: „Das Urteil ist eine sehr schlechte Nachricht für Pflanzenzüchter, Arzneimittelforscher und Hersteller biobasierter Chemikalien. Hochinnovative Methoden wie Crispr/Cas werden überreguliert, ohne dass dies wissenschaftlich gerechtfertigt wäre.“ Die Auffassung des Gerichtes, dass moderne Verfahren der Mutagenese, wie zum Beispiel Genom-Editing, vergleichbare potenzielle Risiken bergen wie ältere Transgenese-Verfahren (Einbringen artfremder DNA in einen Organismus) teilt die DIB nicht. Wenn die Politik die Anwendung von Genome Editing auf dieser Grundlage einschränken werde, so Gent, würden Deutschland und Europa gegenüber Ländern wie China und den USA in allen Bereichen der Biotechnologie ins Hintertreffen geraten.
Durch Genom-Editing stehen heute molekularbiologische Werkzeuge zur Verfügung, die große Chancen für die Erforschung und Entwicklung neuer Therapien und Pflanzensorten oder in der industriellen Biotechnologie eröffnen, betont der DIB-Geschäftsführer. „Ein Verzicht auf diese Werkzeuge wird negative Auswirkungen auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen haben.“
Die Logik des EuGH-Urteils kann die DIB nicht nachvollziehen: Rechtlich gesehen lag bisher ein GVO nur dann vor, wenn das Erbgut von Pflanzen oder Bakterien so verändert wird, wie es auf natürliche Weise nicht möglich wäre. Mit Genom-Editing kann man das Erbmaterial aber so modifizieren, dass dies einer Mutation durch natürlichen Wandel gleicht.
„Genom-Editing kann zu einem gentechnisch veränderten Organismus führen, muss es aber nicht zwangsläufig“, so Gent, „Das sehen auch unabhängige wissenschaftliche Behörden wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) so. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass die Richter sich in ihrem Urteil an der Wissenschaft orientieren.“
Stellungnahme des Ökoinstituts
Das Öko-Institut,eine unabhängige Forschungs- und Beratungsinstitute für eine nachhaltige Zukunft, begrüßt dagegen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
In einem aktuellen Positionspapier unterstreicht das Öko-Institut, dass jetzt eine fundierte Chancen-Risiken-Analyse sowie eine gesellschaftliche Bewertung nötig sind, um die verantwortungsvolle Anwendung des Genome-Editings für die Zukunft zu gewährleisten.
Nach Auffassung des Öko-Instituts tragen Entwickler und Anwender der neuen gentechnischen Verfahren eine hohe Verantwortung für deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit, gerade durch die besondere Zielgerichtetheit der Eingriffe. Hierfür liege nun nach Ansicht des Öko-Instituts ein geeigneter Rechtsrahmen vor, um mögliche Risiken detailliert zu analysieren, bevor veränderte Organismen in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen. Gleichzeitig fordern die Wissenschaftler, dass die Chancen für eine nachhaltigere Landwirtschaft gleichermaßen systematisch überprüft, konkretisiert und bewertet werden.
„Damit vorhandene Chancen genutzt werden können, brauchen wir eine umfassende Begleitforschung für die weitere Entwicklung der neuen gentechnischen Verfahren“, fordert Martin Möller, stellvertretender Leiter des Institutsbereichs Produkte & Stoffströme am Öko-Institut. „Wir müssen genau untersuchen, inwieweit diese Technologie umweltschädliche Praktiken in der Landwirtschaft tatsächlich ablösen kann. Zudem brauchen wir Klarheit über derzeit vorhandene Risiken, wie etwa unbeabsichtigte schädliche Effekte.“
Angesichts der möglichen Eingriffstiefe und breiten Anwendungsfelder der neuen gentechnischen Verfahren sowie ihre leichte Verfügbarkeit für breite Anwendergruppen hält das Öko-Institut eine vollumfängliche, am Vorsorgeprinzip ausgerichtete Umsetzung der Gentechnikrichtlinie für unerlässlich.
„Eine konsequente Anwendung des Gentechnikrechts wird wichtige Fragen der Risikobewertung und des Risikomanagements der neuen gentechnischen Verfahren klären“, sagt Andreas Hermann, Senior Researcher am Institutsbereich Umweltrecht & Governance. „Anhand der dann vorliegenden neuen Erkenntnisse muss eine gesellschaftliche Diskussion über die Chancen und Risiken erfolgen. Nur auf dieser Basis können etwaige Änderungen des Gentechnikrechts in der Zukunft angestoßen werden.“
(ID:45419784)