Toxine in Pflanzen Wenn die Raupe das Gift zu ihrer eigenen Abwehr vollendet…
Tabak schützt sich mit Giftstoffen vor Fressfeinden. Manche der Toxine sind aber auch für die Pflanze selbst schädlich, sodass sie einen Trick entwickelt hat: Die Giftstoffe werden erst im Verdauungstrakt der Raupen aktiviert. Dies haben Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie und der Universität Münster herausgefunden.
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Jena, Münster – Zahlreiche Pflanzen bilden chemische Abwehrstoffe, um nicht gefressen zu werden. Noch immer ist wenig über die genaue Wirkungsweise vieler Pflanzengifte auf ihre Konsumenten bekannt. Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie und der Universität Münster sind nun der Frage nachgegangen, wie Pflanzen Gifte produzieren und in ihrem Gewebe einlagern, ohne sich selbst zu schaden.
Für ihre Untersuchungen wählten die Wissenschaftler Diterpen-Glykoside aus Pflanzen des Wilden Tabaks. „Diese Substanzen kommen in sehr hohen Konzentrationen in den Blättern des Tabaks vor. Aber wir hatten keine Ahnung, warum sie so wirksame Abwehrstoffe sind und wie sich die Pflanzen vor ihrer toxischen Wirkung schützen“, sagt Ian Baldwin von der Abteilung Molekulare Ökologie am Jenaer Max-Planck-Institut, wo die Studie durchgeführt wurde.
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Tricks im innerartlichen Konkurrenzkampf
Tabakpflanzen sabotieren ihre Artgenossen
Toxinproduktion im Wilden Tabak
In Experimenten fanden die Forscher heraus, dass der Wilde Tabak die Diterpen-Glykoside in einer bestimmten, ungiftigen Form produziert und als Abwehrstoff einlagert. War die Biosynthese der Glykoside durch die Wissenschaftler gezielt gestört worden, so zeigten die Pflanzen auffällige Symptome einer Selbstvergiftung: Sie wurden krank, unfähig normal zu wachsen, und konnten sich auch nicht mehr fortpflanzen.
Weitere Untersuchungen ergaben, dass in diesen Pflanzen bestimmte Bestandteile der Zellmembran, so genannte Sphingolipide, durch Diterpen-Glykoside angegriffen worden waren. „Die Situation ist dabei ganz anders als bei einem anderen Gift dieser Pflanze: dem Nikotin“, sagt Baldwin. „Nikotin ist ein spezifisches Nervengift. Da Pflanzen weder Nerven noch Muskeln haben und somit für das Gift auch keine Angriffsfläche bieten, ist es für sie ungefährlich, Nikotin zu produzieren und zu speichern.“ Für die Diterpen-Glykoside braucht der Tabak hingegen eigene Schutzmaßnahmen, um sich nicht selbst damit zu schaden.
Analyse von Raupenkot deckt Abwehrmechanismus auf
Mit Tabakpflanzen – unveränderten sowie manipulierten – testeten die Forscher, wie die vom Tabak gebildeten Diterpen-Glykoside auf dessen Fressfeinde wirken. Sie wollten überprüfen, ob der Sphingolipid-Stoffwechsel das Angriffsziel der Diterpen-Glykoside ist. Tatsächlich wuchsen Raupen des Tabakschwärmers, die an manipulierten Pflanzen ohne Diterpen-Glykoside gefressen hatten, deutlich besser als auf unveränderten Kontrollpflanzen mit dem Abwehrstoff.
Analysen des Kots von Tabakschwärmerraupen, die das Toxin mit ihrer Nahrung aufgenommen hatten, vervollständigten schließlich das Bild. Während der Tabak die Diterpen-Glykoside in einer ungiftigen Vorstufe synthetisiert und einlagert, werden die Glykoside im Verdauungstrakt der Raupen in die giftige Form umgewandelt: ein Teil des Moleküls wird abspaltet und die bislang wirkungslosen Abwehrstoffe werden „scharf“.
Mit dieser Erkenntnis konnten die Forscher auch erklären, warum die Tabakpflanzen mit der manipulierten Biosynthese sich selbst vergifteten: Den unvollständig gebildeten Diterpen-Glykosiden fehlte sozusagen die „Sicherung“ – sie waren bereits in einer Form, wie sie sonst erst nach der Verdauung im Raupenmagen vorliegen. Deshalb wurden in den manipulierten Pflanzen ebenfalls Vergiftungserscheinungen durch angegriffene Sphingolipide der Zellmembran beobachtet.
Relevanz für die Medizin
Sphingolipide haben eine vermittelnde Funktion bei vielen physiologischen Prozessen. Das wiederum macht die Wirkung der Diterpen-Glykoside auf deren Stoffwechsel so interessant. „Diterpen-Glykoside und ihre Derivate können nicht nur breite Abwehrfunktionen gegen viele landwirtschaftliche Schädlinge und pathogene Pilze haben, auch viele Erkrankungen beim Menschen, wie Diabetes, Krebs oder einige neurogenerative Erkrankungen, sind mit einem erhöhten Sphingolipid-Stoffwechsel verbunden“, erklärt Shuqing Xu vom Institut für Evolution und Biodiversität der Universität Münster, einer der Hauptautoren der Studie. Mediziner sind auf der Suche nach wirksamen Substanzen zur Behandlung dieser Krankheiten durch eine Hemmung des Sphingolipid-Stoffwechsels. Die Diterpen-Glykoside aus den Tabak-Pflanzen könnten dafür Kandidaten sein.
Die Analyse von Raupenkot erwies sich für diese Studie als Schlüssel zum Erfolg. Die Forschenden nennen diesen Ansatz „Frassomics“: eine Zusammensetzung von frass (Raupenkot) und metabolomics – der Analyse aller Stoffwechselprodukte (Metaboliten). „Bei dieser Studie wurde uns klar, dass Frassomics ein sehr leistungsstarkes Forschungsinstrument sein kann. Analysiert man den Kot von Pflanzenfressern ganz genau, kann dies sehr nützliche Hinweise darauf liefern, wie Stoffe, die Pflanzen produzieren, von ihren Konsumenten abgebaut werden“, sagt Ian Baldwin. Ziel der Forschenden ist es, mehr Einblicke in solche „Verdauungsduette“ zu erhalten, um ökologische Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Insekten und Mikroorganismen noch besser zu verstehen.
Originalpublikation: Li, J., Halitschke, R., Li, D., Paetz, C., Su, H., Heiling, S., Xu, S., Baldwin, I. T.: Controlled hydroxylations of diterpenoids allow for plant chemical defense without autotoxicityScience, 15 Jan 2021: Vol. 371, Issue 6526, pp. 255-260; DOI: 10.1126/science.abe4713
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