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Überdauerungszustand von Schläferzellen Wie Bakterien Antibiotika-Therapien verschlafen

Autor / Redakteur: Dr. Karl Guido Rijkhoek* / Christian Lüttmann

Antibiotikaresistenzen sind ein gewaltiges Problem für die medikamentöse Therapie. Doch im ständigen Kampf zwischen Mensch und Mikrobe haben die Krankheitserreger einen weiteren Trumpf: Seltene Mutanten stellen einfach ihre Aktivität ein und überdauern so die Antibiotikatherapie auch ohne Resistenz. Wie dieser Schutzschlaf funktioniert haben nun Tübinger und Kopenhagener Forscher untersucht.

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Manche Bakterien überdauern Antibiotikabehandlungen in einer Art Winterschlaf. (Beispielbild: Elektronenmikroskopie-Aufnahme von Escherichia coli; eingefärbt)
Manche Bakterien überdauern Antibiotikabehandlungen in einer Art Winterschlaf. (Beispielbild: Elektronenmikroskopie-Aufnahme von Escherichia coli; eingefärbt)
(Bild: National Institute of Allergy and Infectious Diseases)

Tübingen, Kopenhagen/Dänemark – Gegen Antibiotika können krankheitserregende Bakterien Resistenzen entwickeln, sodass die Behandlung einer Infektion mit diesen Medikamenten unwirksam wird. Daneben gibt es allerdings noch einen anderen Mechanismus, mit dem manche Bakterien der tödlichen Wirkung von Antibiotika entgehen: Einige Zellen einer Population igeln sich sozusagen ein und warten ab, bis keine Gifte mehr vorhanden sind. Erst dann nehmen sie ihre Lebensfunktionen wieder voll auf.

So können zum Beispiel manche Harnwegsinfektionen nach scheinbar erfolgreich abgeschlossener Antibiotikabehandlung wieder aufflammen. Solche Überdauerungsformen, die auch bei bestimmten Escherichia-coli-Bakterien auftreten, haben Wissenschaftler der Universitäten Tübingen und Kopenhagen untersucht. Varianten eines Enzyms gaben ihnen Hinweise, welche Prozesse die Bildung solcher Dauerstadien einleiten. Die Ergebnisse liefern mögliche Ansatzpunkte, um Wirkstoffe gegen die gefährlichen Schläferzellen zu entwickeln.

Was bedeutet Resistenz?

Von Resistenz sprechen Wissenschaftler, wenn Bakterien gegen einen Wirkstoff unempfindlich sind. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Bakterien eindringende Antibiotika erfolgreich wieder aus ihrer Zelle ausschleusen können, wenn sie diese mithilfe eines Enzyms abbauen und dadurch unwirksam machen oder wenn sie einen durch Antibiotika blockierten Stoffwechselweg durch einen alternativen Weg ersetzen.

Das LABORPRAXIS-Dossier „Antibiotikaresistenz“ Sie möchten mehr zum Thema „Multiresistente Keime“ erfahren? Dann besuchen Sie unser Dossier „Antibiotikaresistenz“, in dem wir entsprechende Artikel zu wichtigen Fortschritten aus der Medizinforschung zusammengestellt haben.

„Antibiotika richten sich in der Regel gegen Wachstumsprozesse der Bakterien“, sagt Prof. Kenn Gerdes von der Universität Kopenhagen. Die Dauerstadien seien nicht resistent, sondern nur vorübergehend tolerant gegenüber den Antibiotika, indem sie ihr Wachstum einstellen. „Genetisch haben sie die gleiche Ausstattung wie die anderen Bakterien in der Population.“ Welche Zellen einer Kolonie in einen Überdauerungszustand eintreten, unterliegt keinen erkennbaren Regeln. „Es passiert selten und betrifft nur jede zehntausendste bis millionste Zelle. Das erschwert die Untersuchung“, ergänzt der Wissenschaftler.

Sicher vor Antibiotika – auch ohne Resistenz

Das Ausbilden der Dauerstadien wird auch als Fähigkeit zur Persistenz bezeichnet. Nähere Hinweise lieferten vor einigen Jahren Bakterien, die aus Patienten mit durch Escherichia coli verursachten Harnwegsinfektionen isoliert werden konnten. Durch Mutationen wiesen sie eine bis zu tausendfach verstärkte Persistenz auf, ohne dass die Resistenz gegenüber Antibiotika gesteigert war.

Ähnliche Funde machten Forscher bei Mukoviszidose-Patienten, die mit dem entzündungserregenden Bakterium Pseudomonas aeruginosa infiziert waren. Mutiert war ein Enzym, das die Ausbildung von Dauerstadien einleiten kann, die HipA-Kinase (high persister gene A).

Auf der Suche nach dem Persistenz-Protein

In der aktuellen Studie verglich das Forscherteam Escherichia-coli-Bakterien mit der normalen HipA-Kinase mit solchen, deren Enzym die Mutationen aufwies. Dazu führten sie Proteomanalysen durch, bei denen jeweils der gesamte Proteinbestand der Bakterienzellen erhoben wird. „Wir konnten feststellen, dass die normale und die mutierte HipA-Kinase ein unterschiedliches Repertoire von bakteriellen Proteinen mit Phosphat modifiziert“, berichtet Prof. Boris Maček vom Proteom Centrum der Universität Tübingen.

Eine Vermutung sei gewesen, dass die HipA-Kinase das Wachstum der Bakterienzellen hemmt und so die Ausbildung der Dauerstadien einleitet. „Der Zusammenhang ist jedoch komplizierter“, betont Maček. „Nach unseren Untersuchungen sind die Wachstumshemmung und die Persistenz Folge zweier verschiedener Prozesse, denn die mutierte HipA-Kinase hemmt das Wachstum der Bakterienzellen deutlich weniger stark als die normale, aber erhöht die Persistenz um ein Vielfaches.“ Auch wenn noch keine abschließende Erklärung für die Funktion der Dauerstadien gefunden wurde, liefern die Ergebnisse den Wissenschaftlern erste Hinweise, in welche Prozesse neue Wirkstoffe gegen die gefährlichen Persistenzen eingreifen müssten.

Originalpublikation: Maja Semanjski, Elsa Germain, Katrin Bratl, Andreas Kiessling, Kenn Gerdes and Boris Macek: The kinases HipA and HipA7 phosphorylate different substrate pools in Escherichia coli to promote mul-tidrug tolerance. Science Signaling, 11, eaat5750 (2018); DOI: 10.1126/scisignal.aat5750

* Dr. K. G. Rijkhoek, Eberhard Karls Universität Tübingen, 72074 Tübingen

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