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Covid-19 Wie Corona ins Herz eindringt

Redakteur: Christian Lüttmann

Covid-19 ist in erster Linie eine Lungenerkrankung, kann aber auch das Herz schädigen – bis hin zum Herzversagen. Doch wie gelangt das Virus überhaupt zum Herzmuskel? Wie SARS-CoV-2 das Herz befällt, haben nun Forscher der Ruhr-Universität Bochum aufgedeckt und damit eine Möglichkeit für neue Medikamente gegen eine Corona-Erkrankung geschaffen.

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Durch den Einsatz von fluoreszierenden Farbstoffen lassen sich die Partikel in den Zellen sichtbar machen und der Weg des Virus genau verfolgen.
Durch den Einsatz von fluoreszierenden Farbstoffen lassen sich die Partikel in den Zellen sichtbar machen und der Weg des Virus genau verfolgen.
(Bild: Roberto Schirdewahn)

Bochum – Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann schwere Organschäden beim Menschen verursachen. Auch Herzkomplikationen gehören zu den Folgen einer Covid-19-Infektion. So geht das durch Corona ausgelöste, schwere akute Atemwegssyndrom meist mit einer zusätzlichen Belastung für das Herz einher, insbesondere bei Personen mit Herzschwäche oder einer anderen kardialen Vorerkrankung. Darüber hinaus greift das Virus auch direkt das Herz an, kann eine Herzmuskelentzündung verursachen und zu Herzversagen führen. Doch wie gelangt das es überhaupt in das Herz? Und wie lässt es sich aufhalten?

Antworten darauf hält nun Medizinerin Dr. Nazha Hamdani parat, die den Forschungsbereich für molekulare und experimentelle Kardiologie am Universitätsklinikum Bochum leitet. Die Forscherin hat die Reise des Virus in das Herz genau verfolgt und dabei einen neuen Eintritts- und Schädigungsmechanismus entdeckt: Das Virus dockt mithilfe so genannter extrazellulärer Vesikel und Exosomen – also außerhalb der Zelle liegender Partikel – an die Herzzellen an und infiziert sie.

Coronaviren im Herzen

Um dem neuen Eintrittsmechanismus auf die Spur zu kommen, hat das Team des Universitätsklinikums Blutsera und Herzgewebestrukturen von Patientinnen und Patienten analysiert, die an oder mit Covid-19 verstorben waren. Zur Analyse setzten die Forscher histochemischer Methoden sowie Mikroskopie ein.

In einem ersten Schritt lieferte das Team um Hamdani den Beweis, dass sich das Virus tatsächlich und direkt in den Zellen des Herzmuskels nachweisen lässt. „Unsere Beobachtungen zeigen, dass das Virus Druck auf den Herzmuskel ausübt, die Kontraktionskraft, also die Pumpfunktion des Herzens angreift und schwächt“, erklärt Hamdani.

Der übliche Weg kommt nicht in Frage

Doch wie dringt das Virus überhaupt in das Herz ein? In Vorgänger-Studien konnte bereits nachgewiesen werden, dass sich SARS-CoV-2 über ein Enzym, das Spike-Protein der Virushülle, an ein bestimmtes Oberflächenmolekül der menschlichen Zelle bindet, nämlich an das Angiotensin-konvertierende-Enzym 2, kurz: ACE-2. „Über den ACE-2-Rezeptor dringt das Virus in das Zellinnere vor und vermehrt sich dann. Dieser Vorgang konnte bereits in Lunge, Darm, Niere und Leber beobachtet werden“, fasst Hamdani die bisherigen Ergebnisse internationaler Forschungsgruppen zusammen. Da ACE-2 auch auf der Zelloberfläche des Herzens zu finden sei, nahm die Bochumer Medizinerin an, dass das Virus auf diese Weise auch das Herz befallen würde.

Zu ihrem Erstaunen fanden Hamdani und ihr Team den infizierten ACE-2-Rezeptor jedoch ausschließlich im Endothel, der Zellschicht an der Innenfläche der Blutzellen, und in extrazellulären Partikeln – aber nicht in den Herzmuskelzellen. Damit stand für die Medizinerin fest: „Die Virusinfektion der menschlichen Zellen gelingt via ACE-2, aber den Weg in das Herz sucht sich das Virus unabhängig davon.“ Es musste also weitere Faktoren geben, die den Eintritt des Virus in die Gefäßzellen des Herzens ermöglichen. Hamdani und ihr Team wurden innerhalb von vier Monaten weiterer Forschungsarbeit fündig.

Per „Taxi“ zur nächsten Zelle

Der Schlüssel für den Weg des Coronavirus ins Herz sind extrazelluläre Vesikel. Diese liegen außerhalb der Zellen und sind für die Kommunikation von Zelle zu Zelle verantwortlich. Sie transportieren Moleküle zwischen den Zellen hin und her und können damit auch die Boten-RNA des Virus von infizierten Zellen zu gesunden Zellen bringen. „Wie ein Taxi, das durch den Blutkreislauf fährt und die genetischen Informationen des Virus verteilt“, beschreibt Hamdani.

Die Vesikel hat das Forscherteam mit fluoreszierendem Farbstoff sichtbar gemacht und sie anschließend durch ein spezielles Lichtmikroskop sowie ein Elektronenmikroskop beobachtet. Im Blut und in den Herzzellen von stark infizierten Patientinnen und Patienten identifizierte das Team die Vesikel inklusive Virus und Komponenten wie doppelsträngiger RNA und Spike-Protein. Folgeexperimente sollen zeigen, ob auch andere Organzellen über diesen zusätzlichen Mechanismus angegriffen werden.

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Aussicht auf Covid-19-Therapeutika

Seit Beginn der Corona-Pandemie wird nach Therapien gesucht, die die Virusinfektion eindämmen und schwere Verläufe verhindern können. Der neue Mechanismus, den das Forschungsteam um Dr. Nazha Hamdani von der Ruhr-Universität Bochum aufgedeckt hat, hält einen vielversprechenden Therapieansatz bereit. So könnte es gelingen, die extrazellulären Vesikel mit einem Medizin-Cocktail aus Antikörpern, Anti-Oxidantien und Entzündungshemmern zu beladen, die die Verbreitung des Virus stoppen, die Entzündungswerte reduzieren und das Immunsystem ankurbeln. „Unser zukünftiges Cocktail-Medikament würde Menschen helfen, die noch nicht geimpft, aber bereits infiziert sind“, erklärt Hamdani das therapeutische Potenzial. Außerdem würde es gegen alle Virusvarianten wirken. „Das Medikament soll den Eintritt in das Herz und andere Organe verhindern, unabhängig von der Art der Mutante“, sagt die Forscherin. Aktuell arbeiten Hamdani und ihr Team an solch einem Wirkstoff.

Alternative Eintrittspforte

Zudem konnten die Bochumer Forscherinnen und Forscher die bereits bestehenden Erkenntnisse stützen, dass das Virus zusätzlich das Protein Neuropilin-1 (NRP-1) als Eintrittspforte in die Zellen nutzt. „Neuropilin liegt an der Außenwand des Epithels, der obersten Zellschicht der menschlichen Haut, und erleichtert so das Eindringen des Virus. Wir haben in den Herzzellen eine gesteigerte NPR-1 Aktivität gemessen. Dies deutet darauf hin, dass Neuropilin-1 neben dem ACE-2-Rezeptor ein alternativer Rezeptor für den SARS-CoV-2-Eintritt ist“, erläutert Hamdani. Neuropilin produziert den Botenstoff Interleukin-6, der wiederum die Entzündungsreaktion des Organismus reguliert und für Immunabwehrprozesse essenziell ist. Steigt die Produktion von Interleukin-6, kann dies zu Zellschäden und Zelltod führen.

Viele Wege führen ins Herz

Damit stehen dem Coronavirus gleich mehrere Mechanismen zur Verfügung, um sich in den menschlichen Organen zu verbreiten. „Dass das neuartige Virus in der Lage ist, sich Rezeptor-unabhängig über infizierte endothele Vesikel zu verteilen, unterscheidet es vom Vorgänger Sars-Cov-1 und macht es um einiges virulenter“, erklärt Hamdani. „Die Infektionsanfälligkeit wird zusätzlich durch eine entzündete und oxidierte Zellumgebung begünstigt, wie sie häufig bei älteren Menschen, Menschen mit Bluthochdruck, Diabetikern oder Adipositas-Betroffenen vorkommt“, führt die Medizinerin aus.

Seit Jahren untersucht Hamdani die pathophysiologischen Ursachen von Herzerkrankungen. Was allen gemein sei: entzündete und oxidierte Gefäßzellen. Auch bei Covid-19-Patientinnen und -Patienten erhöhe solch eine Zellumgebung das Risiko, an Corona und einer anschließenden Herzerkrankung zu sterben.

Die Ergebnisse von Hamdani et al. sind zur Publikation bei namhaften Journals eingereicht, aber zum Zeitpunkt dieser Meldung noch nicht veröffentlicht..

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