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Gedächtnistest in virtueller Stadt Wie das Archiv im Kopf Erinnerungen ordnet

Autor / Redakteur: Bettina Hennebach* / Christian Lüttmann

Geheimnisvolle Truhen entdecken und mit Teleportern große Entfernungen in einem Wimpernschlag zurücklegen – in einer virtuellen Stadt gingen 26 Probanden für die Wissenschaft auf Entdeckungstour. Ziel der speziellen Schatzsuche: Dem Erinnerungsspeicher des Gehirns auf die Schliche zu kommen. Wie dieses die Erlebnisse gespeichert hat, haben die Wissenschaftler in MRT-Scans und Gedächtnistests untersucht.

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Die Teilnehmer am Experiment navigierten entlang einer Route durch eine virtuelle Stadt.
Die Teilnehmer am Experiment navigierten entlang einer Route durch eine virtuelle Stadt.
(Bild: MPI CBS/Bellmund)

Leipzig – Oft erinnern wir uns sehr gut an den zeitlichen Ablauf von Ereignissen. Wir können sagen, welches Ereignis zuerst eintrat und wie viel Zeit zwischen zwei Ereignissen verstrich. Anscheinend werden Erinnerungen von Ereignissen im Gehirn verknüpft, wenn diese zeitlich nah beieinander lagen. Dafür scheint der entorhinale Cortex als medialer Teil des Temporallappens eine wichtige Rolle zu spielen. Doch wie genau trägt dieser nahe von Amygdala und Hippocampus liegende Teil unseres Gehirns zum Erinnerungsgebäude bei? Mithilfe eines Experiments, das Lernen in virtueller Realität und Hirnscans kombiniert, hat ein Forscherteam um Jacob Bellmund vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften nun beschrieben, wie im entorhinalen Cortex eine zeitliche Karte von Erinnerungen entsteht.

Mustervergleich der Gehirnaktivität

Um diesen Winkel des Gedächtnisses zu ergründen, ließen die Wissenschaftler 26 Versuchspersonen eine Sequenz von Ereignissen lernen, indem sie entlang einer Route durch eine virtuelle Stadt navigierten. Sie sollten sich merken, wann entlang der Route und wo in der Stadt bestimmte Objekte auftauchten – dies waren die Ereignisse. Die Teilnehmer trafen auf Truhen entlang der Route und wurden angewiesen, die Truhen zu öffnen. Jede Truhe enthielt ein anderes Objekt, das beim Öffnen der Truhe auf einem schwarzen Bildschirm angezeigt wurde.

Nach dem Lernen haben die Forscher im MRT-Scanner gemessen, wie diese Ereignisse im Gehirn abgebildet werden, indem sie den Teilnehmern Bilder der Objekte in zufälliger Reihenfolge zeigten. „Ereignisse, die in zeitlicher Nähe passiert sind, werden durch sich gleichende Aktivierungsmuster im entorhinalen Cortex repräsentiert“, erklärt Bellmund. „Das heißt, wenn Objekte gezeigt werden, die sich auf der Route zeitlich nah beieinander befanden, reagiert dieser Teil des Gehirns in ähnlicher Art und Weise. Sie sind sich damit also ähnlicher, als die Aktivierungsmuster von Ereignissen, die mit großen zeitlichen Abständen passieren.“ So spiegelten die Aktivierungsmuster des entorhinalen Cortex eine Art Karte der zeitlichen Beziehungen der Ereignisse wider.

Teleporter trennen Raum und Zeit

Für die räumlichen Beziehungen der Ereignisse, also wie weit die Objekte in Luftlinie voneinander entfernt waren, fanden die Wissenschaftler keine solche Ähnlichkeit der Aktivierungsmuster. Um Raum und Zeit überhaupt unabhängig voneinander untersuchen zu können, wandten sie einen Trick an: Auf der Route gab es drei Teleporter, die die Teilnehmer sofort in einen anderen Teil der Stadt „beamten“, wo sie die Route weiternavigieren konnten. „Diese Manipulation ermöglichte es uns, die zeitlichen und räumlichen Abstände zwischen Objektpaaren so zu variieren, dass die räumliche Distanz groß sein kann, die zeitliche aber sehr klein“, sagt Bellmund.

Gehirn ordnet Erinnerungen zeitlich

Nach der Schatzsuche in der virtuellen Stadt wurden die Teilnehmer gebeten, alle entlang der Route angetroffenen Objekte zu nennen – in der Reihenfolge, in der sie ihnen in den Sinn kamen. Personen mit einer genauen zeitlichen Karte im entorhinalen Cortex riefen Ereignisse hintereinander ab, die in zeitlicher Nähe passiert sind. Sie zählten also die gefundenen Objekte hintereinander geordnet auf, so als würden sie die Route mental noch einmal ablaufen. Je stärker die zeitliche Karte der Ereignisse im entorhinalen Cortex ausgeprägt war, desto besser schnitten die Probanden in diesem Gedächtnistest ab.

Zusammengenommen zeigen diese Befunde nach Aussage der Forscher, dass der entorhinale Cortex die Zeitfolge von Ereignissen kartiert und dass diese zeitliche Karte beeinflusst, wie wir Erinnerungen aus dem Gedächtnis abrufen. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass unser Gehirn unsere Erfahrungen zeitlich organisiert im Gedächtnis speichert.

Originalpublikation: Jacob LS Bellmund, Lorena Deuker, Christian F Doeller: Mapping sequence structure in the human lateral entorhinal cortex, eLife (2019); DOI: 10.7554/eLife.45333

* B. Hennebach, Max Planck Institut f. Kognitions- und Neurowissenschaften, 04103 Leipzig

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