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Wirksamkeit von Medikamenten Wie der Darm die Tabletten ausbremst

Redakteur: Christian Lüttmann

Medizinische Wirkstoffe an den gewünschten Ort im Körper zu bringen, ist eine Wissenschaft für sich. Eine neue Studie von EMBL-Forschern zeigt einmal mehr, wie komplex die Wechselwirkungen in unserem Körper sind. So beeinträchtigt eine Anreicherung von Medikamenten in Bakterien der Darmflora die Wirksamkeit der Medikation.

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Medikamentenanreicherung in Darmbakterien
Medikamentenanreicherung in Darmbakterien
(Bild: Aleksandra Krolik)

Bayreuth – Der Darm ist nicht nur für die „Drecksarbeit“ des Körpers zuständig. Er spielt eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit und ist längst ins Interesse der Forschung gerückt. Ein Grund für seine Popularität in der Wissenschaft sind die zahlreichen Mikroorganismen, die im Verdauungstrakt leben. Diess so genannte Mikrobiom ist bei gesunden Menschen ein fein aufeinander abgestimmtes Gleichgewicht hunderter und tausender Bakterienarten. Viele Krankheiten sind auf eine Störung dieses Gleichgewichts zurückzuführen.

Ein Forscherteam am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) hat nun mittels NMR-Spektroskopie untersucht, wie Medikamente auf Bakterien in der menschlichen Darmflora wirken.

Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet: Wenn sich medizinische Wirkstoffe in den Bakterien anreichern, können sie deren Funktionen und Aktivitäten verändern. Vor allem aber wirken sie sich auf das Mikrobiom der Darmflora aus. Dadurch können sie die Wirksamkeit von Medikamenten beeinträchtigen – sei es, dass weniger Wirkstoffe für den Organismus zur Verfügung stehen, oder dass sich Änderungen des Mikrobioms nachteilig auf den Transport der Wirkstoffe bzw. auf deren Aufnahme in den Zellen auswirken.

Wie ein Antidepressivum dem Darm durcheinander bringt

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler 25 Arten von Darmbakterien im Labor gezüchtet und deren Wechselwirkungen mit 15 oral verabreichten Medikamenten untersucht. Bei der Auswahl der Medikamente haben sie darauf geachtet, dass sie verschiedene handelsübliche und oftmals verordnete Arzneimittel repräsentieren. In den insgesamt 375 Tests fanden die Forscher 70 Arten von Wechselwirkungen zwischen Bakterien und Medikamenten; 29 davon waren in der wissenschaftlichen Literatur zuvor noch nicht beschrieben worden.

Eines der Medikamente, dessen Auswirkungen auf die Darmflora untersucht wurde, ist das Antidepressivum Duloxetin. Wie sich herausstellte, führt seine Anreicherung zu einer signifikanten Änderung der Artenzusammensetzung einer vergleichsweise kleinen Bakteriengemeinschaft in der Darmflora. Die Bakterien, in denen sich Duloxetin anreichert, produzieren veränderte Moleküle, die anderen Bakterien als willkommene Nahrung dienen. Diese Bakterien vermehren sich plötzlich sehr viel rascher, sodass die ursprünglich stabil ausbalancierte Artenzusammensetzung verlorengeht. „Unsere Studie zeigt beispielhaft, dass aus der Erforschung grundlegender biochemischer Strukturen und Prozesse überraschende Erkenntnisse hervorgehen können, die für das Verständnis medizinischer Wirkstoffe und ihrer Folgen von großer Bedeutung sein können“, bewertet Prof. Dr. Janosch Hennig vom EMBL (mittlerweile an der uni Bayreuth) die Ergebnisse der Arbeit seines Teams.

Originalpublikation: M. Klünemann et al.: Bioaccumulation of therapeutic drugs by human gut bacteria, Nature (2021), DOI: 10.1038/s41586-021-03891-8

(ID:47640270)