Luftverschmutzung und gesundheitliche Folgen Wie Feinstaub die Lunge mit Bleichmittel belastet
Dass winzige Rußpartikel schädlich sind, ist bekannt. Dabei zeigen sich zum Teil überraschende Folgen im Organismus. So blockiert Feinstaub den Abbau von natürlich gebildetem Wasserstoffperoxid in der Lunge. Was chemisch dahintersteckt, zeigt eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie.
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Mainz – Erst vor Kurzem verschärfte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Leitlinien für die Reinhaltung von Luft, denn Luftverschmutzung ist nach epidemiologischen Studien weltweit eines der größten Gesundheitsrisiken. Die chemischen Prozesse, die den gesundheitsschädlichen Auswirkungen zugrunde liegen, sind allerdings noch längst nicht vollständig entschlüsselt. Ein tieferes Verständnis dieser Prozesse ist notwendig, um weitere Empfehlungen zur Eindämmung der Luftverschmutzung abzugeben, und somit Krankheiten und Sterblichkeit effektiv zu verringern.
Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) haben zusammen mit Kollegen der University of California in Irvine die chemischen Reaktionen simuliert, die beim Einatmen von Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid auftreten. Diese drei Luftschadstoffe werden am stärksten mit Krankheiten in Verbindung gebracht und sind die Hauptbestandteile der städtischen Luftverschmutzung. Das internationale Team stellte mithilfe von Computermodellen die chemischen Prozesse in der Epithelflüssigkeit nach, einer dünnen wässrigen Schicht, die unsere Lungen schützt.
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Studie
Luftverschmutzung auch unterhalb der Feinstaub-Grenzwerte gefährlich
„Bei Schadstoffbelastungen können die Abwehrmechanismen in unserem Körper überfordert sein, sodass Hydroxyl-Radikale entstehen, die zu oxidativem Stress führen. Für unsere Studie haben wir diese Prozesse in der Lunge nachgestellt“, erklärt Thomas Berkemeier, Leiter der Gruppe „Chemische Kinetik und Reaktionsmechanismen“ am MPIC.
Wir haben herausgefunden, dass selbst geringe Feinstaubkonzentrationen dazu führen können, dass die körpereigene Abwehr umgangen wird.
Für lungengängigen Feinstaub, dessen Partikel kleiner als 2,5 Mikrometer sind, fanden sich im Modell laut Berkemeier deutliche Effekte schon bei vergleichsweise geringen Schadstoffbelastungen, wie man sie auch außerhalb belasteter Innenstädte finden kann. Für den Mainzer Forscher sind die aktuellen Empfehlungen der WHO folgerichtig. Die Organisation hatte Ende September den Leitwert für Feinstaub der Größe PM2,5 von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf fünf gesenkt.
Bleichmittel in der Lunge – wenn natürliches H2O2 zum Problem wird
In der kürzlich veröffentlichten Studie rückt das Molekül Wasserstoffperoxid (H2O2), das auch als Bleichmittel bekannt ist, in das Zentrum des chemischen Mechanismus. Es entsteht u. a. in der Lunge und reichert sich dort in kleinen Mengen an. Atmen wir nur saubere Luft ein, verwandeln Enzyme den Großteil des Wasserstoffperoxids in harmlose Moleküle wie Wasser. Schadstoffe treten jedoch mit den Enzymen in Konkurrenz und verwandeln das Wasserstoffperoxid in hoch-reaktive Hydroxyl-Radikale. Diese schädigen Biomoleküle wie Proteine und Lipide in der Lunge, was oxidativen Stress verursacht. Die Ursache liegt darin, dass Feinstaub – je nach Ursprung – Kupfer- und Eisenionen enthalten kann, die die Umwandlung von Wasserstoffperoxid in Hydroxyl-Radikale begünstigen. Chemiker sprechen von der Fenton-Reaktion.
„Da sie so reaktiv sind, können Hydroxyl-Radikale nicht wirksam durch Antioxidantien abgefangen werden. Der einzige Schutz gegen diese Radikale besteht darin, ihre Bildung in unserem Körper zu verhindern“, sagt Steven Lelieveld, Mitglied der Forschungsgruppe und Erstautor der Studie. „Und das gelingt nur, wenn unsere Atemluft möglichst sauber ist.“
Die Studie ist den Forschern zufolge ein bedeutender Schritt für das Verständnis der gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung. Mit ihrem neuen Modell wollen sie die Wirkungen und Wechselwirkungen verschiedener Luftschadstoffe quantitativ bewerten. „Luftverschmutzung ist immer noch eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Wir werden die neu gewonnenen Erkenntnisse mit epidemiologischen Daten verknüpfen, um Empfehlungen für effiziente Strategien zur Luftreinhaltung geben zu können“, fasst Ulrich Pöschl, Leiter der Abteilung Multiphasenchemie des Mainzer Instituts, zusammen.
Originalpublikation: Lelieveld, S., Wilson, J., Dovrou, E., Mishra, A., Lakey, P. S. J., Shiraiwa, M., Poschl, U., Berkemeier, T.: Hydroxyl Radical Production by Air Pollutants in Epithelial Lining Fluid Governed by Interconversion and Scavenging of Reactive Oxygen Species, Environ. Sci. Technol. 55(20), 14069-14079, (2021); DOI: 10.1021/acs.est.1c03875
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