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Dem Zerfall auf der Spur Wie Mikroplastik wirklich entsteht

Von Dr. Ilka Ottleben

Mikroplastik ist seit geraumer Zeit und mitunter im Wortsinn in aller Munde. Doch über den Zerfall von Kunststoffpartikeln in der Umwelt weiß man wider Erwarten noch nicht sehr viel. Lässt sich dieser etwa mathematisch berechnen? Eine aktuelle Studie gibt Antworten.

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Prof. Dr. Martin Koch (l.) und Prof. Dr. Peter Lenz (r.) aus dem Fachbereich Physik der Philipps-Universität Marburg erforschen u. a. die Herkunft von Mikroplastik in der Lahn.
Prof. Dr. Martin Koch (l.) und Prof. Dr. Peter Lenz (r.) aus dem Fachbereich Physik der Philipps-Universität Marburg erforschen u. a. die Herkunft von Mikroplastik in der Lahn.
(Bild: Nico Hofeditz)

LP: Kunststoffe sind Werkstoffe, die hauptsächlich aus Makromolekülen bestehen und vielfältige Verwendungsmöglichkeiten bieten. In den letzten 70 Jahren ist die weltweit produzierte Kunststoffmenge sehr stark gestiegen. Wie gelangen Plastikpartikel in die Umwelt, und was passiert später mit dem Plastikmüll?

Prof. Dr. Martin Koch: Mikroplastik in der Umwelt entwickelt sich zu einem globalen Problem, welches erst seit wenigen Jahren vermehrte Aufmerksamkeit erfährt. Mikroplastikpartikel werden durch Kosmetika oder andere Gebrauchsprodukte in die Umwelt eingetragen – in diesem Fall spricht man von primärem Mikroplastik – oder sie entstehen durch die Zersetzung von größeren Plastikstücken, die als Müll in die Umwelt gelangt sind (sekundäres Mikroplastik). Mechanischer Abrieb, UV-Einstrahlung der Sonne, Oxidation und Mikroorganismen sind die Ursachen für diesen Zerfall in immer kleinere Fragmente.

Es ist also zentral, dass Kunststoffe nach dem Gebrauch recycelt werden oder mindestens einer thermischen Verwertung zugeführt werden. Während in Industrieländern ein signifikanter Anteil der Kunststoffe recycelt wird, in Deutschland sind es laut Schätzungen 46 %, weisen Entwicklungsländer mit einer minimalen industriellen Basis Re­cyclingquoten nahe 0 % auf. Der Kunststoffabfall gelangt dann als Müll in die Umwelt. Man schätzt, dass 3 % des weltweiten jährlichen Kunststoffabfalls über Flüsse in die Ozeane gelangen.

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Zur Person – Prof. Dr. Martin Koch

1991 Diplom in Physik, Philipps-Universität Marburg; 1992 – 1995 Doktorand in der AG Experimentelle Halbleiterphysik, Philipps-Universität Marburg; 1995 Promotion in Physik, Philipps-Universität Marburg; 1995 – 1996 Postdoc Bell Labs/Lucent Technologies, Holmdel, NJ; 1996 – 1998 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Physik, Universität München; 1998 – 2008 Außerordentlicher Professor im Fachbereich Electrical Engineering, TU Braunschweig; 2009 Professor am Fachbereich Physik, Philipps-Universität Marburg

Es ist offensichtlich, dass sich dieses Problem in den kommenden Jahren massiv verschärfen wird. Einerseits wird das jetzt schon in der Umwelt befindliche Makroplastik zu Mikroplastik zerfallen, andererseits gerät immer mehr Kunststoff in die Umwelt, nicht zuletzt, da die Kunststoffproduktion weltweit steigt.

LP: Was ist über den Abbau von Kunststoffpartikeln bekannt?

Prof. Dr. Peter Lenz: Über den Zerfall von Kunststoffpartikeln in der Umwelt weiß man noch nicht sehr viel. Er hängt aber generell stark von der chemischen Zusammensetzung des Plastiks ab. Ein Hauptfaktor beim Zerfall ist die Photodegradation durch den Einfluss von UV-Strahlen aus Sonnenlicht. Dies geschieht vor allem an Stränden oder an der Wasseroberfläche. Auch der mechanische Zerfall spielt eine Rolle, wenn Plastikteile beispielsweise im Sediment oder an Steinen zerrieben werden. Weitere Faktoren, die aber eine geringere Rolle spielen, sind der biologische Abbau, beispielsweise durch Bakterien. Biofilme, die sich auf Plastikteilen bilden, können aber auch den Zerfall behindern, indem die Sonnenstrahlung auf das Plastik verringert wird.

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Zur Person – Prof. Dr. Peter Lenz

1995 Diplom in Physik, Universität Heidelberg; 1998 Promotion Max-Planck Institut Golm; 1999 – 2001 Postdoc Harvard, Stanford, Institut Curie; 2002 – 2006 Juniorprofessor für Theoretische Physik, FB Physik der Philipps-Universität Marburg; 2005 – 2006 Gastprofessor am Center for Theoretical Biological Physics, UCSD, San Diego; 2006 Professor (W2) für Theoretische Physik, FB Physik der Philipps-Universität Marburg; 2017 Gastprofessor am Physics Department, University of British Columbia

LP: Wie definiert man Mikroplastik, und welche besonderen Probleme verursacht es in der Umwelt?

Timo Metz: Als Mikroplastik bezeichnet man Plastikteilchen im Größenbereich von 1 bis 5.000 µm. Man unterscheidet in der Regel zwischen dem so genannten primären Mikroplastik, welches schon in einer solchen kleinen Größe hergestellt wurde, und dem sekundären Mi­kroplastik, welches erst durch Zerfall größerer Plastikteile entsteht.

Ein großes Problem an Mikroplastik ist, dass es mittlerweile in allen Formen und Größen quasi überall zu finden ist – sowohl in terrestrischen als auch aquatischen Lebensräumen. Der Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt ist irreversibel, das heißt auch wenn manche Auswirkungen von Mikroplastik auf die Umwelt heute noch nicht ausreichend untersucht sind, so kann es dennoch nie wieder zurück geholt werden und reichert sich in der Umwelt an. Außerdem zerfällt es immer weiter, sodass immer mehr und immer kleinere Teile entstehen. Sehr kleine Tiere können nun Mi­kroplastik aufnehmen, was deren Verdauungstrakt blockieren kann. Dadurch, dass kleine Tiere von Größeren gefressen werden, reichert sich Mikroplastik in der Nahrungskette an.

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Zur Person – Timo Metz

2016 – 2018 Studium B.Sc. Biologie, Philipps-Universität Marburg, Vertiefte Studienfächer: Bioinformatik, Pflanzengenetik; 2015 – 2019 Studium B.Sc. Physik, Philipps-Universität Marburg, Vertiefte Studienfächer: Computerphysik, Umweltphysik, Modellierung; 2019 – 2021 Studium M.Sc. Physik, Universität Heidelberg, Vertiefte Studienfächer: Umweltphysik; Seit 2021 Doktorand und Wissenschaft­licher Mitarbeiter, AG Physik komplexer Systeme, TU Darmstadt; Mitglied der DFG- geförderten Forschungsgruppe Reassembly

Bei größeren Tieren konnte außerdem gezeigt werden, dass sehr kleines Mikroplastik nicht unbedingt ausgeschieden wird, sondern sich sogar in Gewebe einlagern kann. Dem Plastik werden zudem häufig chemische Additive hinzugefügt, und während der Verweilzeit in der Umwelt können durch das hohe Oberflächen-Volumen-Verhältnis von Mikroplastik effektiv Toxine, so genannte 'Persisent Organic Pollutants' (POPs), adsorbiert werden. Für Tiere und Menschen, die Mikroplastik aufnehmen, können diese Stoffe schädlich sein.

Timo Metz
Timo Metz
(Bild: Martin Koch)

LP: In einer Studie erforschen Sie die Abbauprozesse von Mikroplastik. Welche Berechnungsverfahren und Kriterien wurden bei Ihrer Studie berücksichtigt?

Prof. Lenz: Eines der Ziele der Mikroplastikforschung ist es, zu verstehen (und vorherzusagen) wie der Kunststoff sich im Laufe der Zeit verteilt. Die resultierende Verteilung hängt unter anderem vom Zerfall der Partikel ab. Diesen Zerfallsprozess beschreiben wir in unserer Studie mittels so genannter Ratengleichungen, die normalerweise für die Beschreibung gekoppelter chemischer Reaktionen verwendet werden. In diesem Kontext sind sie ebenfalls nützlich, da sie es ermöglichen, den Zerfallsprozess durch Zerfallsraten zu charakterisieren, also durch Parameter, welche die Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit angeben. Mithilfe dieses mathematischen Modells haben wir untersucht, ob aus den derzeit verfügbaren Daten nützliche Informationen über den Abbau von Mikroplastik­partikeln gewonnen werden können, sich also insbesondere die Zerfallsraten bestimmen lassen. Wir haben dabei herausgefunden, dass es unmöglich ist, alle wichtigen Faktoren für den Abbau des Kunststoffs aus einer einzigen Größenverteilung zu gewinnen.

Als nächstes haben wir uns die Frage gestellt, wie die Messdaten beschaffen sein müssen, um aussagekräftiger zu sein. Misst man die Größenverteilung nur zu einem Zeitpunkt, so besteht das Problem, dass man nicht zwischen Zerfallsprodukten und neu hinzugekommenen Teilchen unterscheiden kann. Um dies unterscheiden zu können, ist es erforderlich, die Größenverteilungen zu verschiedenen Zeitpunkten zu messen. Dies haben wir nachgewiesen, indem wir künstliche, komplexere Daten erzeugt haben, auf die wir dann unser Berechnungsmodell angewendet haben.

LP: Welche künftigen Tipps zur Datenerhebung geben Sie Ihren Kollegen mit auf den Weg?

Prof. Koch: Aus unseren Ergebnissen ergaben sich einige Mindestanforderungen, die experimentell gewonnene Daten erfüllen müssen: Die Daten sollten zu mehreren Zeitpunkten an identischen Stellen gesammelt werden, um eine Zeitreihe zu bilden. Außerdem reichen Größenmessungen alleine nicht aus, sie sollten mit der Bestimmung der Massen kombiniert werden. Wir können außerdem noch weitere Anregungen geben, wie sich das Vorkommen von Kunststoffteilchen besser als bisher erheben lässt. So sollten zusätzliche Größenkategorien eingeführt, Messungen an verschiedenen Orten vorgenommen und zusätzliche Eigenschaften wie Material und Form einbezogen werden, die den Abbauprozess beeinflussen. Alle Daten sollten in Zeitreihen erhoben werden.

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