Kommentar zu wissenschaftlichem Publizieren und Raubverlagen Wissenschaft auf Abwegen?
Wissen ist Macht – und sollte daher verantwortungsvoll verbreitet werden. Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigt eine im Juli 2018 veröffentlichte Reportage der Süddeutschen Zeitung und des NDR. Dort klären die Journalisten über Publikationen bei „Raubverlagen“ auf, die auch falsche Studienergebnisse ungeprüft gegen Geld veröffentlichen. Doch das Problem sind nicht die Raubverlage allein – auch der enorme Erfolgsdruck der Forscher, die Sensationsgier der Öffentlichkeit und die Verbreitung von Beiträgen durch die Medien spielen eine Rolle.
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Gezielt verbreitete Falschmeldungen sind seit Menschengedenken ein bewährtes Mittel zur Stimmungsmache. In den vergangenen Jahren hat sich dafür der Begriff Fake News etabliert. Und scheinbar gibt es davon heute mehr denn je, vor allem in den sozialen Medien.
Wer nun glaubt, wenigstens auf die Seriosität der Wissenschaft sei Verlass, der wurde im Juli 2018 eines Besseren belehrt. Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) in Zusammenarbeit mit dem NDR in einer umfassenden Reportage berichtete, gibt es im Verlagswesen einige schwarze Schafe mit wachsendem Einfluss. Sie würden zwar einen seriösen Eindruck erwecken, prüften aber eingereichte Fachbeiträge kaum oder überhaupt nicht und ließen selbst offensichtlich unwissenschaftliche Studien gegen Bezahlung veröffentlichen, so das Urteil der Journalisten. Für solche scheinwissenschaftlichen Verlage hat sich unter Kritikern die Bezeichnung „Raubverlage“ etabliert.
Warum die Raubverlage Artikel ohne eine gründliche fachliche Kontrolle in ihren Journalen verbreiten? Es geht ihnen ums Geld: Das ungeprüfte Veröffentlichen von nahezu allen eingereichten Beiträgen bedeutet einen großen finanziellen Umsatz, schließlich lassen sich mit wenig Aufwand viele Artikel gegen eine entsprechende Gebühr herausgeben. Doch wie schaffen es Raubverlage, sich in Wissenschaft und Forschung festzusetzen? In einer Branche, in der man eigentlich nicht erwarten würde, dass jemand leicht auf Tricks hereinfällt.
Publikationen am Fließband
Die Problematik mit den Raubverlagen sollte anregen, über einige grundsätzliche Praktiken in Wissenschaftskreisen kritisch zu diskutieren. Denn auch wenn vor allem die Raubverlage und Pseudowissenschaftler selbst die Verantwortung für in die Welt gesetzte Scheinstudien tragen, ist ein Teil des Problems gewissermaßen hausgemacht und lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Publikationsdruck.
Die Reputation von Forschern wird heute kaum an der Qualität oder Relevanz ihrer Forschung gemessen, sondern stark an der Länge ihrer Publikationsliste festgemacht. Wer nicht Veröffentlichungen wie am Fließband produziert, droht, ins wissenschaftliche Abseits zu driften. Dieser Druck treibt vor allem junge, noch unerfahrene Wissenschaftler auf die (Internet)Seiten der Raubverlage. Die seien den Recherchen von SZ und NDR zufolge oft professionell gestaltet und schwer als unseriös zu erkennen. So kann es passieren, dass gewissenhaft dokumentierte Forschungsergebnisse in zweifelhaften Journalen veröffentlicht werden. Die Autoren haben dann gleich doppelt das Nachsehen. Nicht nur, weil sie die Gebühr von umgerechnet oft mehreren Hundert Euro für die Veröffentlichung in dem vermeintlichen Fachblatt entrichten mussten. Auch weil sich die Frage stellt: Gesteht man sich und den Kollegen ein, einem Schwindel aufgesessen zu sein? Oder flüchtet man sich in Schweigen und hofft, dass anderen ebenfalls entgeht, welch schlechte Qualität das Journal tatsächlich hat?
Die Jagd nach Sensationen
Der Publikationsdruck spielt nicht nur den Raubverlagen zu, er beeinflusst auch, welche Forschung überhaupt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vordringt. Denn während es Raubverlegern prinzipiell egal ist, wie gut ein Artikel bei den Lesern ankommt – sie sind nur auf die Publikationsgebühr aus –, sind bekannte Wissenschaftsjournale wie Nature und Science auch von den Wünschen ihrer Leserschaft abhängig. Schließlich heben sich die High-Impact-Journale durch ihren großen Einfluss – gemessen am Impact-Faktor – von der Konkurrenz ab. Und der kann nur erreicht werden, wenn die Artikel besonders viele Leser ansprechen und möglichst oft zitiert werden.
So entsteht eine fragwürdige Synergie zwischen den Lesern auf der einen Seite, die von packenden Wissenschaftsdurchbrüchen lesen wollen, und den Verlagen auf der anderen Seite, die sich mit Vorliebe eben solche Artikel aus ihrem Angebot an Einreichungen herauspicken. In diesem sich gegenseitig verstärkenden Wechselspiel werden die Wissenschaftler geradezu getrieben, ihre Ergebnisse den Anforderungen von Verlagen und Lesern anzugleichen und möglichst Sensationelles zu präsentieren. Unter Umständen werden dafür die Daten sehr wohlwollend ausgewertet und lineare Regressionen gemacht, wo eigentlich keine hingehören. Gelegentlich müssen daher einzelne Artikel korrigiert oder gar vollständig revidiert werden. Ein Prozess, der besonders bei den High-Impact-Journalen einen größeren Anteil der Publikationen betrifft (s. Abbildung).
Das Fordern von Verlagen und Leserschaft nach großen wissenschaftlichen Durchbrüchen hat vermutlich auch eine weitere kritisch zu hinterfragende Entwicklung begünstigt: Es gibt immer weniger Veröffentlichungen von widerlegten Arbeitshypothesen; stattdessen ist der Anteil an Positiv-Ergebnissen signifikant gewachsen – laut einer Untersuchung von Daniele Fanelli [1] um durchschnittlich 20% zwischen 1990 und 2007.
Aber Fehlschläge und deren detaillierte Aufarbeitung sind ein wichtiger Bestandteil guter Wissenschaft. Alleine schon, um Nachwuchswissenschaftlern kein verzerrtes Weltbild zu liefern. Denn misslungene Experimente gehören schließlich ebenso oder gar stärker zum Alltag eines Forschers wie die von Erfolg gekrönten. Doch es liegt wohl in der menschlichen Natur, dass neue und positiv formulierte Ergebnisse einen gefühlt höheren Wert haben als die Auseinandersetzung mit bereits Bekanntem oder Fehlgeschlagenem.
[1] Daniele Fanelli, https://link.springer.com/article/10.1007/s11192-011-0494-7, Negative results are disappearing from most disciplines and countries, Scientometrics, March 2012, Volume 90, Issue 3, pp 891–904; DOI: 10.1007/s11192-011-0494-7
Einfluss ist alles
Publikationsdruck und Sensationsjagd sind zwei problematische Entwicklungen für die Zukunft der Wissenschaft. Befeuert werden sie durch einen Mechanismus, der eigentlich nur Ordnung und Orientierung in der Flut der wissenschaftlichen Arbeiten geben soll: dem Impact-Faktor.
Mit dem Impact-Faktor werden Fachzeitschriften nach ihrem Einfluss bewertet. Je öfter Artikel eines Journals zitiert werden, desto höher ist dessen Impact-Faktor. Häufig zitierte Fachzeitschriften wie Nature haben einen entsprechend hohen Impact-Faktor. Wissenschaftler versuchen zum Verbessern ihrer Reputation nicht nur viel zu publizieren, sondern auch in Journalen mit hohem Impact-Faktor. Denn im Wettstreit um Fördergelder entscheidet das nicht selten darüber, welches Projekt den Zuschlag bekommt.
Dass der Impact-Faktor im Grunde aber nichts über die Qualität eines Journals oder dessen Artikel aussagt, scheint oft vergessen zu werden. Besonders problematisch ist, dass für die Berechnung lediglich Zitationen aus den vergangenen zwei Jahren betrachtet werden. Kurzfristig heiß diskutierte Forschung wird also gewürdigt, während über viele Jahre hinweg oft zitierte Werke nicht in den Impact-Faktor mit einfließen.
Der Impact-Faktor spielt in gewisser Weise sogar den Raubverlagen zu. Schließlich macht es für dessen Ermittlung keinen Unterschied, ob die Zitationen kritisch oder zustimmend sind. Mit anderen Worten: Wenn eine Scheinstudie es in den wissenschaftlichen Diskurs schafft, treibt sie den Impact-Faktor ihres Journals nach oben. Wenn das nicht reicht, helfen manche Raubverlage auch mit falschen Angaben in der Eigenwerbung nach. Die steigenden Impact-Faktoren – ob tatsächlich steigend oder gefälscht – machen es wiederum für andere Forscher attraktiver, dort zu veröffentlichen. Schließlich will niemand im ständigen Buhlen um Aufmerksamkeit für die eigenen Projekte ins Hintertreffen geraten.
Wächter über Qualität
Neben dem Impact-Faktor, der Rückschlüsse auf die Reichweite eines Journals erlaubt, gibt es ein Instrument, das tatsächlich als Qualitätssicherung gedacht ist. Der Schutzmechanismus, der die Veröffentlichung von Scheinstudien oder gefälschten Ergebnissen verhindern soll, ist das so genannte Peer-Review: Ein mehrstufiger Prozess, bei dem Wissenschaftler innerhalb ihres Fachgebietes fremde Einreichungen im Detail kontrollieren. Dabei werden im Idealfall alle präsentierten Daten, alle zugrunde liegenden Methoden und alle Quellenangaben genauestens auf Richtigkeit überprüft. Auch ob die vorgestellten Daten wirklich neu sind und die Wissenschaft voran bringen, ist Gegenstand eines gewissenhaften Peer-Reviews. Doch genau dieses Kontrollinstrument ignorieren Raubverlage und winken Einreichungen ohne ernsthafte fachliche Kontrolle durch, obwohl sie behaupten, Peer-Reviews durchzuführen.
Wenn auf diese Weise – irrtümlich oder bewusst – falsche Forschungsergebnisse publiziert werden, ist die Gefahr groß, dass diese sich in Fach- und Populärmedien rasch verbreiten und so einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich werden. Schließlich verlassen sich Redaktionen im Regelfall auf die Korrektheit publizierter Studien. Hinzu kommt, dass sich vermeintlich sensationelle Forschungsergebnisse besser zur Schlagzeile eignen als die mutmaßlich weniger spektakulären. Getreu dem sicher fragwürdigen, dennoch verbreiteten Motto der Medienwelt „If it bleeds it leads“, setzen sich daher oft die Meldungen durch, die erwartungsgemäß am meisten gelesen, geklickt und geteilt werden. Im Buhlen um die Leser- und „Userschaft“, um Abonnenten, Zuhörer oder Zuschauer, bleibt so Sachlichkeit und Qualität so manches Mal auf der Strecke.
Gerade in Anbetracht der zunehmenden Verbreitung von Raubverlagen scheint es aber von Nöten, besonders kritisch und verantwortungsvoll mit dem Weiterverbreiten neuer Studienergebnisse umzugehen. Gesunder Menschenverstand und kritisches Hinterfragen sind erste Schritte, um unseriöse Forschung auszusieben. Weitere Unterstützung sollen Listen bringen: Whitelists von vertrauenswürdigen Zeitschriften und Blacklists von zu meidenden Raubverlagen sind dazu gedacht, Forschern wie auch ihren „Sprachrohren“ zu helfen, die Qualität der Verlage einzuordnen. Ob das dem Erfolg der Raubverlage Einhalt gebieten kann, bleibt abzuwarten – zumal diese, nachdem sie aufgeflogen sind, oft unter anderem Namen wieder auftauchen.
Aufklären über Raubverlage
Die Wissenschaft entwickelt sich weiter. Nicht nur die Technologien, sondern auch die Art, wie mit neuen Erkenntnissen umgegangen wird, haben sich geändert. Forscher verschanzen sich nicht mehr in ihrem Elfenbeinturm, sondern suchen vermehrt den Kontakt zur Öffentlichkeit. Das ist sehr zu begrüßen, führt aber eben auch dazu, dass sich eine Schraube aus Sensationsgier und Publikationsdruck dreht, bei der etwas Entscheidendes an Bedeutung zu verlieren droht: Die Qualität der Forschung.
In dem Wettrennen um immer neue sensationelle Forschungsdurchbrüche haben Raubverleger ein lukratives Geschäftsmodell gefunden: Sie bieten Wissenschaftlern einen Weg, ihre Ergebnisse trotz eines Überangebots an Publikationen zu veröffentlichen. Einen Anspruch auf Qualität pflegen diese Verlage jedoch nicht. Fehlerhafte oder gar bewusst manipulierte Studienergebnisse finden so leicht den Weg in die Medien und von dort ins öffentliche Bewusstsein. Letztlich schadet dies dem allgemeinen Ruf der Wissenschaft.
Vielleicht kann man den Raubverlagen ihre Geschäftsgrundlage entziehen, indem man über deren Existenz und Praktiken aufklärt und die Forscher und Redakteure anderer Verlage so sensibilisiert. Doch Aufklärung allein wird wohl kaum genügen, das Geschäft mit den ungeprüften Veröffentlichungen zu unterbinden: Denn dafür spielen zu viele Facetten wie der Publikationsdruck der Forscher und die Sensationsgier von Lesern und Verlagen eine Rolle.
Hier finden Sie den Leitartikel zu derReportageder Süddeutschen Zeitung und des NDR.
* C. Lüttmann, Redaktion LABORRAXIS, E-Mail christian.luettmann@vogel.de
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