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Entwicklung der Extremitäten Wohin die Hände wachsen – genetische Steuerung der Gliedmaßen

Redakteur: Christian Lüttmann

Dass einem Menschen die Füße aus den Armen wachsen, ist unwahrscheinlich. Damit die Extremitäten in der richtigen Form und am richtigen Ort entstehen, hat der Körper eine Reihe von Kontrollmechanismen. Forscher der Universität Basel haben nun einen dieser robusten genetischen Schaltkreise untersucht und erklären, wie er die Ausbildung von Flossen, Flügeln und Füßen steuert.

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Damit Extremitäten wie Arme so wachsen, wie sie sollen, besitzt der Körper ein nahezu ausfallsicheres Kontrollsystem (Symbolbild).
Damit Extremitäten wie Arme so wachsen, wie sie sollen, besitzt der Körper ein nahezu ausfallsicheres Kontrollsystem (Symbolbild).
(Bild: gemeinfrei, Broesis / Pixabay )

Basel/Schweiz – Vieles könnte schiefgehen, wenn die befruchtete Eizelle zum Embryo und schließlich zum Baby heranwächst. Spontane Mutationen im Erbgut sind relativ häufig. Dass es meistens doch gut ausgeht, verdanken Mensch und Tier genetischen Programmen, die mit einer Reihe von redundanten Schaltkreisen als Sicherheitsvorkehrung arbeiten und sich in hohem Maß selbst regulieren. Fällt ein Schaltkreis aus, können andere den Ausfall kompensieren.

Der Gremlin in uns

Für diese Robustheit von Entwicklungsprogrammen interessiert sich die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Rolf Zeller und Dr. Aimée Zuniga von der Abteilung Biomedizin der Universität Basel. Ihr Fokus liegt dabei auf einem zentralen Regulator der Gliedmassenentwicklung, einem Protein namens „Gremlin1“. Es bremst das Knochenwachstum und spielt eine Rolle in einer Reihe von Signalnetzwerken. Vor allem aber steuert es die korrekte Ausbildung der so genannten Gliedmaßenknospen im Embryo, aus denen sich die Extremitäten bilden.

In Versuchen mit Mäuseembryonen haben die Forscher eine weitere Ebene der Regulation – und der Robustheit – dieses Entwicklungsprogramms entschlüsselt: ein Netzwerk an „Schaltern“ im Erbgut, das dafür sorgt, dass Gremlin1 am richtigen Ort und in der richtigen Menge produziert wird. Fachleute nennen diese Schalter „Enhancer“.

Wie ein Zimmer mit vielen Lichtschaltern

Zuniga vergleicht das System, das sie und ihr Team untersuchen, mit einem Raum mit einer Beleuchtung, welche von einer Serie von Schaltern kontrolliert wird. Das Licht ermöglicht es, die Anleitung zu lesen, um korrekt geformte Gliedmaßen auszubilden. „Wir wussten zu Beginn nicht, was jeder einzelne Schalter zur Beleuchtung beträgt“, sagt die Forscherin. „Es könnte einen Master-Schalter geben, der alles Licht löscht, sodass die Anleitung nicht mehr lesbar ist. Stattdessen wissen wir nun, dass alle Schalter zur Beleuchtung beitragen und einzelne veränderte oder defekte Schalter die Beleuchtung nur wenig oder nicht beeinträchtigen, sodass immer noch die gesamte Information lesbar ist. Darin liegt die Robustheit des Systems. Sind hingegen zu viele Schalter kaputt, kann die Information nur noch teilweise oder nicht mehr gelesen werden.“

Tatsächlich ergaben Analysen des Doktoranden Jonas Malkmus und seiner Kollegen, dass einzelne Schalter ausfallen können, ohne dass dies Gremlin1 oder die Extremitätenentwicklung stört. Unterhalb eines gewissen Schwellenwerts an funktionierenden Schaltern versagt das System jedoch und es kommt zu Fehlbildungen. „Dieses mehrfach abgesicherte System erklärt, warum beim Menschen Fehlbildungen der Gliedmaßen aufgrund von Fehlern im Regulationsgefüge von Gremlin1 sehr selten sind“, sagt Malkmus.

Uraltes Evolutionsprinzip

In einem weiteren Schritt zeichneten die Forscher die Spur dieses Regulationsnetzwerks im Laufe der Evolution nach. Der wichtigste Teil des Netzwerks an Schaltern, das für die korrekte Menge und Verteilung von Gremlin1 auch beim menschlichen Embryo sorgt, existierte demnach bereits vor über 400 Millionen Jahren in Fischen. „Die Evolution hatte also bereits den Werkzeugkasten, unterschiedliche Extremitäten hervorzubringen, bevor aus Flossen Beine wurden und die ersten Tiere an Land gingen“, erklärt Biomedizinerin Zuniga.

Was sich im Zuge der Evolution geändert hat, war die Aktivität der einzelnen Enhancer und dadurch die Verteilung von Gremlin1. „Anhand der Aktivität der Genschalter und der Verteilung von Gremlin1 in Gliedmaßenknospen kann man bereits erahnen, ob sie sich zu Flossen, Flügeln, Hufen oder Händen und Füssen entwickeln“, sagt Gruppenleiter Zeller.

Gäbe es nur einen einzelnen Schalter, der die Produktion von Gremlin1 steuert, wäre der Evolutionsdruck enorm groß, diesen exakt so zu erhalten, wie er ist. „Das System mit vielen Schaltern sorgt auf der einen Seite für Sicherheit, dass das System nicht ausfällt. Auf der anderen Seite gibt es der Evolution Spielraum“, beschreibt Zuniga. Einzelne Schalter konnten sich so ohne großen Druck verändern. Dies hat dazu beigetragen, dass sich im Verlauf der Evolution eine große Vielfalt von Extremitäten entwickeln konnte.

Originalpublikation: Jonas Malkmus et al.: Spatial regulation by multiple Gremlin1 enhancers provides digit development with cis-regulatory robustness and evolutionary plasticity, Nature Communications, Volume 12, Article number: 5557 (2021), DOI: 10.1038/s41467-021-25810-1

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