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Interview: Böden präzise Düngen Feintuning statt Gießkannen-Prinzip

Das Gespräch führte Dr. Ilka Ottleben Lesedauer: 5 min

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60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Böden in der EU sind überdüngt, d. h. mit Düngemitteln angereichert. Um auch in Zukunft hohe Ernteerträge und gleichzeitig gesunde Böden zu gewährleisten, ist es notwendig, bestimmte Düngevorgaben einzuhalten. Ein interdisziplinäres Forschungsteam will nun ein mikrofluidisches Sensorsystem entwickeln, das Landwirte dabei unterstützt.

Martina Gerken ist Professorin für Integrierte Systeme und Photonik an der Technischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Martina Gerken ist Professorin für Integrierte Systeme und Photonik an der Technischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
(Bild: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)

Frau Prof. Gerken, ein „gesunder Boden“ – was ist darunter zu verstehen und vor welche konkreten Herausforderungen werden die Landwirte gestellt, wollen und müssen sie ihn erhalten?

Prof. Dr. Martina Gerken: Die Überdüngung von Böden geht einher mit ihrer Versauerung, verunreinigten Gewässern, einer geringeren Artenvielfalt und auch sinkenden Ernten. Ein neues EU-Gesetz und damit verbundene Düngevorgaben haben eine Verbesserung der Bodenqualität zum Ziel. Unter einer „gesunden“ Bodenbewirtschaftung verstehe ich, dass dem Boden so viele Nährstoffe zugeführt werden, wie von den Pflanzen aufgenommen werden können. Wir müssen verhindern, dass Düngemittel in Gewässer übergehen. Auch dürfen nicht zu wenig Nährstoffe zugeführt werden, um die Erträge nachhaltig zu sichern.

Die Problematik der präzisen Einstellung der Düngung liegt darin, dass Nährstoffgehalte in Böden – insbesondere Nitratgehalte – sehr variabel sind. Daher reicht die Entnahme einzelner Proben nicht aus, um die Düngung korrekt anpassen zu können. Die Erstellung von Zeitreihen ist jedoch sehr aufwendig, da z. B. täglich Proben entnommen und analysiert werden müssen. Dieses ist nur im Rahmen von Forschungsarbeiten möglich und kann so nicht von Landwirtinnen und Landwirten geleistet werden. Wir benötigen neue technische Lösungen, die Nährstoffwerte im Boden automatisiert erfassen. Gleichzeitig benötigen wir eine Gesetzgebung, die den Landwirtinnen und Landwirten den Einsatz solcher Systeme ermöglicht und damit den Arbeitsaufwand für eine regelmäßige Datenerfassung reduziert. Schließlich muss die Bewirtschaftung an die Messergebnisse angepasst werden. Dieses bedeutet für die Landwirtinnen und Landwirte eine Umstellung der Arbeitsweise und es muss geklärt werden, wie die Kosten für gesunde Böden gesellschaftlich verteilt werden.

Im Projekt „Soilmonitor“, das in den nächsten drei Jahren durch die EU gefördert wird, plant ein interdisziplinäres Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ein batteriebetriebenes Mini-Sensorsystem zu entwickeln, welches direkt im Boden eingesetzt werden soll. Welche Parameter sollen erfasst werden, und wie verläuft die Messung und anschließende Auswertung?

Unser Sensor soll Zeitreihen für Nitrat-, Ammonium- und Phosphatwerte automatisiert aufnehmen. Bisher haben wir dazu erste Vorversuche im Labor durchgeführt. Im „Soilmonitor“-Projekt möchten wir den Prototypen eines batteriebetriebenen Systems von etwa 5 x 3 x 3 cm Größe entwickeln, das für einen Zeitraum von einem Jahr im Boden bleiben kann. Das System soll auf Wurzelniveau platziert werden, automatisch Bodenflüssigkeit aufnehmen und diese analysieren. Dieses erfolgt mit einem so genannten mikrofluidischen „Lab-on-a-Chip“. Kleinste Mengen an Bodenlösung im µL-Bereich werden über ein hydrophiles Keramikmaterial gefiltert in einen mikrofluidischen Kanal eingesogen. Danach folgt eine Vermischung mit Reaktionschemi­kalien. Die Detektion erfolgt optisch. Die Technologie dahinter basiert auf einem optoelektronischen Detektionschip, der von uns entwickelte organische Leuchtdioden zur optischen Auslesung nutzt. Nach der Messung wird die Flüssigkeit im System gesammelt. Die Daten werden per Funk übertragen. Wir haben bereits erfolgreich Vorversuche zur Funkverbindung aus 30 cm und 60 cm Tiefe in einem Maisfeld durchgeführt. Somit ist das System kabellos und beeinflusst die Boden­bearbeitung nicht. Das System soll so stabil ausgelegt werden, dass auch Fahrzeuge darüberfahren können.

Innerhalb der Projektlaufzeit von drei Jahren planen wir die Durchführung von Feldversuchen. Hierbei soll der Zusammenhang zwischen den vom System gemessenen Bodenlösungsparametern und den traditionell im Labor bestimmten Werten analysiert werden. Basierend auf diesen Studien kann der Auswertealgorithmus entwickelt werden. Die Entwicklung des Systems erfolgt gemeinsam in einem interdisziplinären Team aus Elektrotechnik, Chemie, Bodenkunde und Betriebswirtschaftlehre, um die verschiedenen Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten von Anfang an zu berücksichtigen.

Prof. Dr. Martina Gerken

Martina Gerken ist Professorin für Integrierte Systeme und Photonik an der Technischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie erhielt 1998 den Dipl.-Ing. in Elektrotechnik an der Universität Karlsruhe und 2003 den Doktortitel in Elektrotechnik an der Stanford University, Kalifornien, USA. Von 2003 bis 2008 war sie Nachwuchsgruppenleiterin an der Universität Karlsruhe. Im Jahr 2008 wurde sie zur ordentlichen Professorin für Elektrotechnik und Leiterin des Lehrstuhls für Integrierte Systeme und Photonik an der Universität Kiel ernannt. Im Fokus ihres Lehrstuhls steht die Entwicklung neuer Sensorprinzipien unter Einsatz der Mikro-, Nano- und Optotechnologie sowie die Messsystemminiaturisierung.

Wie kommen die Landwirte an die wichtigen Daten, und wie erfolgt die Anpassung und Kontrolle bei der weiteren Düngung?

Unser Sensor könnte entweder wie gerade beschrieben als eigenständiges System in den Boden eingebracht werden oder er könnte mit bestehenden Messsystemen, z. B. für die Bodenfeuchte, integriert werden. Diese verschiedenen Szenarien werden wir im „Soilmonitor“-Projekt evaluieren. Unser langfristiges Ziel ist die Gründung eines Unternehmens, um den Soilmonitor in größerem Maßstab für Anwendungen in der Landwirtschaft und in der Bodensanierung zu produzieren. Erste Sensoren möchten wir in vier bis sechs Jahre kommerziell anbieten.

Momentan sehen wir, dass verschiedene Analysemöglichkeiten und Software-Angebote für die Landwirtschaft Marktreife erreichen. Unsere Bodennährstoffsensoren könnten insbesondere gut mit bildgebenden Drohnen- oder Satellitenaufnahmen kombiniert werden. Gerade in einer hügeligen Landschaft, wie wir sie im Osten Schleswig-Holsteins haben, schwanken die Nährstoffwerte nicht nur mit der Zeit, sondern können auch stark vom Ort abhängen. Daher ist langfristig eine gesamtheitliche Analyse durch eine Datenfusion notwendig, um die Düngung optimal anzupassen. Wir möchten mit anderen Anbietern zusammenarbeiten, um eine ganzheitliche Lösung anzubieten. Per Smartphone oder anderen Software-Anwendungen können Landwirtinnen und Landwirte die Ergebnisse des Mini-Labors und anderer Messsysteme dann jederzeit auslesen, Empfehlungen für die Düngung erhalten und ihr Düngeverhalten sofort anpassen. Die weitere Kontrolle erfolgt über die kontinuierliche Aufnahme von Messwerten. Durch das automatisierte Messsystem entfallen zeitaufwendige Probenentnahmen, Laboranalysen und Wartungsarbeiten. Gleichzeitig sehen wir die Chance, die Bodengesundheit signifikant zu verbessern und gleichzeitig hohe Erträge zu sichern. (ott)

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