Wasserfarbe für die Umweltforschung Mit den AKWs geht ein wichtiger Umwelt-Tracer – Alternative gesucht
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Mit dem Abschalten der Atomkraftwerke (AKWs) in Deutschland geht ein wichtiger Markierstoff für die Erforschung von Wasser- und Stoffkreisläufen verloren: Tritium. Dieses gelangte mit dem Kühlwasser in die Flüsse – innerhalb gesetzlicher Grenzwerte. Forscher der Bundesanstalt für Gewässerkunde haben nun einen alternativen Tracer zu Tritium direkt in der Neckar getestet. Die Ergebnisse werden im Laufe dieses Sommers erwartet.

5:45 Uhr, Wasserkraftwerk Besigheim am Neckar, sieben Fluss-Kilometer flussaufwärts vom Atomkraftwerk (AKW) Neckarwestheim, wenige Tage vor Abschaltung des AKW: Es ist noch dunkel, als sich die beiden Wissenschaftler Dr. Svenja Sommer und Dr. Tim Scheufen von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) die weißen Overalls überziehen. „Die rote Farbe ist zwar abwaschbar, aber wir wollen den Hautkontakt und das Einatmen des Pulvers beim Anmischen der Farbe vermeiden“, erklärt die Physikerin Sommer. Zuvor haben die beiden bereits alles vorbereitet: Auf einer Brücke, die über das Wasserkraftwerksbecken führt, stehen Kanister mit dem roten Markierstoff und zwei Wasserfässer. Der gesamte Bereich ist zum Schutz vor Verunreinigungen mit einer Plane abgedeckt. Jetzt vermischen die beiden den roten Farbstoff mit dem Wasser in den Fässern.
Ersetzt rote Farbe das Tritium aus AKWs?
Bei dem eingesetzten Markierstoff, auch Tracer genannt, handelt es sich um Amidorhodamin G. Dieser für das Gewässer und den Menschen unschädliche, fluoreszierende Farbstoff ist noch in sehr geringen Konzentrationen im Flusswasser mit Fluoreszenzsonden nachweisbar. Zusammen mit anderen BfG-Wissenschaftlern untersuchen Sommer und Scheufen am Neckar, wie sich der Farbstoff Amidorhodamin G im direkten Vergleich zu Tritium im Fluss verhält. Denn bei Neckarwestheim leitet das gleichnamige Kernkraftwerk im Routinebetrieb Tritium mit dem Kühlwasser in den Fluss ein – unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. Eine ideale Punktquelle also, denn die genaue Konzentration und der Zeitpunkt der Einleitung sind hier bekannt.
„Tritium ist aufgrund seiner Eigenschaften eigentlich ein idealer Markierstoff“, erklärt die BfG-Umweltwissenschaftlerin Dr. Annika Linkhorst, die ebenfalls zum Forscherteam gehört. Tritium, eingebaut in ein Wassermolekül, reagiere nicht weiter in der Umwelt und werde daher als konservativer Tracer bezeichnet. „Durch das Abschalten der Kernkraftwerke in Deutschland steht uns aber dieser zuverlässige ‚Gratistracer‘ in Zukunft nicht mehr zur Verfügung“, sagt Linkhorst. Deshalb suchen sie nun nach einem geeigneten Ersatz.
Zwei Tracer im Fluss-Rennen
Zurück am Wasserkraftwerk Besigheim am Neckar. Es ist 6:00 Uhr: Die beiden Forscher Sommer und Scheufen haben den roten Farbstoff in den Wasserwannen anhand der wasserrechtlichen Erlaubnis für den Versuch so abgewogen, dass die Farbstoffmenge ein Zehntel der gerade pro Sekunde im Fluss fließenden Wassermenge beträgt. Unmittelbar nachdem sich der Farbstoff mit dem Wasser im Wasserkraftwerksbecken vermischt hat, tritt die typische orange-rote Färbung des Wassers auf. Durch die Strömung gelangt der Farbstoff zu den Turbinen. Sommer und Scheufen nutzen jetzt den Vorteil des Wasserkraftwerks.
„Durch die Turbinen gelangt der Farbstoff gut durchmischt in den Neckar unterhalb des Kraftwerks. Dieser färbt das Wasser kurzzeitig orange-rot und fluoresziert unter Lichteinfall grünlich. Nach wenigen Kilometern Fließstrecke wird dann nichts mehr von ihm zu sehen sein“, erklärt Hydrologe Scheufen. Laut der zuvor bestimmten Fließgeschwindigkeit von 0,33 m/s rechnen die Wissenschaftler mit dem Durchfluss des Farbstoffes am AKW Neckarwestheim in ca. sechs Stunden, wo nach Absprache mit den Betreibern zu diesem Zeitpunkt das Kühlwasser mit dem Tritium in den Neckar geleitet wird. Um 12 Uhr mittags beginnt also die gemeinsame Reise der beiden Tracer entlang des Neckars, der Startschuss für den direkten Vergleich von Tritium und Amidorhodamin G.
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Die Ergebnisse des Markierungsversuchs, und somit der direkte Vergleich zwischen einem reaktiven organischen und einem konservativen radioaktiven Tracer, fließen sowohl in das Projekt „Fluxam“ ein, welches ein besseres Verständnis der Wasser- und Stoffflüsse des Rheins und seiner Zuflüsse zum Ziel hat, als auch in das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „Trace“. Dieses befasst sich unter anderem mit der Erhebung der Datengrundlage für die Kalibrierung und Validierung von mathematisch-hydrologischen und -hydrodynamischen Modellen, die die zeitliche und räumliche Verteilung der Stoffkonzentration in Flüssen simulieren.
Mithilfe der neuen Daten können die Modelle zuverlässigere Ergebnisse liefern. Im Falle einer unfallbedingten Gewässerbelastung kann so der Zeitpunkt des Eintreffens, die Dauer sowie die Maximalkonzentration einer Schadstoffwelle unterhalb eines angenommenen Unfallortes bestimmt werden. Ein Prognosewerkzeug erlaubt den betroffenen Unterliegern, im Alarmfall rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Folgeschäden in die Wege zu leiten.
125 Kilometer Messstrecke
9:45 Uhr, Yachthafen Bad Friedrichshall, 25 Fluss-Kilometer flussabwärts vom AKW: BfG-Umweltwissenschaftlerin Linkhorst bereitet den automatischen Wasser-Probenehmer für die erste Entnahme aus dem Neckar vor. Dieser nimmt Wasserproben alle 15 Minuten und mischt sie zu jeweils einer Stundenprobe in einer Plastikflasche. Insgesamt sind in dem Probenehmer 24 Flaschen installiert, die täglich gewechselt werden.
Sieben Messstellen – etwa alle 25 Flusskilometer eine – haben die BfG-Wissenschaftler entlang des Neckars vom AKW bis zur Mündung in den Rhein bei Mannheim aufgebaut. An den Stationen werden per Sonde vor Ort die Amidorhodamin G- und später im Labor die Tritiumkonzentration bestimmt. Insgesamt decken die Messstellen eine Strecke von 125 Flusskilometern ab. In spätestens neun Tagen sollen dann beide Stoffe in Mannheim angekommen sein. Die Ergebnisse des Versuchs werden im Laufe des Sommers vorliegen und sollen zeigen, ob Amidorhodamin G für die Untersuchungen in Oberflächengewässern eine gute Alternative zu Tritium darstellt oder ob andere Tracer als Ersatz gefunden werden müssen.
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