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Neutrinos aus der Nachbarschaft Die Milchstraße aus Sicht der Geisterteilchen

Quelle: Pressemitteilung Universität Dortmund Lesedauer: 4 min

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Ein riesiger Detektor im antarktischen Eis misst seit 2010 so genannte Neutrinos – Teilchen, die kaum mit Materie wechselwirken und daher nur schwer nachweisbar sind. Pro Jahr erfasst der Detektor rund 100.000 Neutrinos, die in der Erdatmosphäre entstehen. Schwieriger ist es, kosmische Neutrinos zu finden, die aus dem All auf die Erde kommen. Hier hat erst jetzt der Einsatz von maschinellem Lernen neue Einblicke in die Neutrinowelt unserer Milchstraße gebracht.

So würde die Milchstraße aussehen, wenn man sie durch ein Neutrino-Objektiv betrachten würde (blau).
So würde die Milchstraße aussehen, wenn man sie durch ein Neutrino-Objektiv betrachten würde (blau).
(Bild: IceCube​/​NSF (Lily Le & Shawn Johnson)​/​ESO (S. Brunier))

Wer in einer klaren Sommernacht einen dunklen Standort möglichst ohne Lichtverschmutzung findet und dort gen Himmel blickt, wird mit einem beeindruckenden Naturerlebnis belohnt: der Milchstraße, unserer Heimatgalaxie. Schon mit dem bloßen Auge vermittelt das sich über den Himmel erstreckende, schwach leuchtende und von Dunkelwolken durchsetzte Sternenband einen Eindruck der vielen Milliarden Sterne, die unsere kosmische Heimat bevölkern. Auch wenn die Menschheit erst in der Neuzeit die Struktur unserer Galaxie enträtseln konnte, so ist doch der Anblick der Milchstraße im sichtbaren Licht seit dem Altertum ein Teil unseres Naturerbes.

Mit dem Icecube-Neutrino-Observatorium wurde nun zum ersten Mal ein Bild der Milchstraße mithilfe von Neutrinos erstellt – sehr durchdringenden Elementarteilchen, die Zeugnis von extrem energiereichen Vorgängen ablegen. „Faszinierend ist, dass – ganz anders als im elektromagnetischen Spektrum, also bei Licht verschiedener Wellenlängen – im Regime der Neutrinos das ferne Universum unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft weit überstrahlt. Um unsere eigene Galaxie zu entdecken, war daher die Zusammenarbeit vieler herausragender Forscherpersönlichkeiten über alle Grenzen hinweg notwendig“, sagt Prof. Francis Halzen, Professor an der University of Wisconsin in Madison, USA, und Principal Investigator von Icecube.

Wie Forscher den Neutrinos auf die Spur kommen

Die Energie der nun von Icecube nachgewiesenen Neutrinos ist Millionen bis Milliarden mal größer als die Energie des stetigen Stroms solcher Teilchen, der die Erde aus Kernfusionsreaktionen im Kern unserer Sonne erreicht. Die Neutrinos eröffnen einen Blick auf extrem energiereiche Teilchen – die so genannte kosmische Strahlung, die den Raum zwischen den Sternen durchdringt, und auch beständig auf die Atmosphäre der Erde einprasselt.

Wenn ein Neutrino mit Molekülen im klaren antarktischen Eis wechselwirkt, erzeugt es Sekundärteilchen, die auf ihrem Weg durch den Icecube-Detektor eine Spur von blauem Licht hinterlassen.
Wenn ein Neutrino mit Molekülen im klaren antarktischen Eis wechselwirkt, erzeugt es Sekundärteilchen, die auf ihrem Weg durch den Icecube-Detektor eine Spur von blauem Licht hinterlassen.
(Bild: Nicolle R. Fuller​/​IceCube, NSF)

Der Icecube-Detektor umfasst einen Kubikkilometer antarktisches Eis, in das über 5.000 lichtempfindliche Sensoren eingebracht wurden. Er wird von der Amundsen-Scott-Südpolstation aus betrieben. Zwar durchdringen beinahe alle Neutrinos die Materie um uns herum fast ungehindert, aber ab und an wechselwirkt doch ein solches kosmisches Neutrino nach seiner langen Reise durch das Universum im instrumentierten Eisvolumen oder in dessen Nachbarschaft. Dann können geladene Elementarteilchen, zum Beispiel Elektronen, entstehen, die kurze Lichtblitze im hochtransparenten Eis auslösen, und so das Neutrino und seine ungefähre Herkunft verraten.

Aufgrund von Beobachtungen der kosmischen Strahlung und auch extrem energiereicher Photonen – der Gammastrahlung – aus der Milchstraße wurde bereits vorhergesagt, dass sich aus dem Band der Milchstraße auch Neutrinos nachweisen lassen sollten, denn sowohl Gammastrahlung als auch Neutrinos entstehen bei der Wechselwirkung energiereicher Protonen und anderer Atomkerne zum Beispiel mit dem Gas und Staub im Raum zwischen den Sternen.

Maschinelles Lernen löst ein weiteres Neutrino-Rätsel

Allerdings stellte sich auch heraus, dass die Milchstraße keine extrem starke Neutrinoquelle ist, sondern dass es viele große Hürden gab, bevor das schwache Signal aus dem allgemeinen Rauschen herausgeschält werden konnte. Um diese Hürden zu überwinden, begann das Team der Drexel University in den USA Analysen zu entwickeln, die speziell auf so genannte „Kaskaden“-Ereignisse im Eis abzielen, bei denen die Energie des ursprünglichen Neutrinos in einer relativ kompakten und annähernd kugelförmigen Region im Detektor deponiert wird.

Dieser Ansatz führte bereits zu einer effektiv höheren Empfindlichkeit für die begehrten Milchstraßen-Neutrinos. Das allein war allerdings noch nicht ausreichend für den ersten Neutrino-Blick der Menschheit auf unsere eigene Heimatgalaxie. Der endgültige Durchbruch gelang erst durch die Anwendung von Methoden des maschinellen Lernens, die an der TU Dortmund entwickelt wurden, und die die Identifizierung der von Neutrinos erzeugten Kaskaden sowie die Rekonstruktion ihrer Richtung und Energie deutlich verbesserten.

Einen kurzen Einblick in den Icecube-Detektor und die Messung von Neutrinos gibt diese Animation des Sonderforschungsbereichs 1491 „Cosmic Interacting Matters“:

Die Milchstraße als Quelle hochenergetischer Neutrinos

Ein Blick auf das Icecube-Labor bei einem sternenklaren Nachthimmel, der die Milchstraße und grüne Polarlichter zeigt.
Ein Blick auf das Icecube-Labor bei einem sternenklaren Nachthimmel, der die Milchstraße und grüne Polarlichter zeigt.
(Bild: Yuya Makino​/​IceCube, NSF)

„Die Entwicklung neuer Methoden ermöglichte es uns, mehr Neutrino-Ereignisse zu erhalten, und diese auch noch mit besserer Rekonstruktion ihrer Herkunftsrichtung, was im Endeffekt dazu führte, dass wir die Empfindlichkeit von Icecube um einen Faktor drei im Vergleich zu früheren Suchen steigern konnten“, sagt Icecube-Mitglied Mirco Hünnefeld, der einer der leitenden Analysatoren für diesen Datensatz war und an der TU Dortmund promoviert.

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Der in der Studie verwendete Datensatz umfasste ca. 60.000 Neutrinos aus zehn Jahren Icecube-Beobachtungen. Das sind rund 30-mal so viele Ereignisse wie in der Auswahl, die in einer früheren Analyse der galaktischen Ebene unter Verwendung von Kaskaden-Ereignissen herangezogen wurde. Die nun nachgewiesenen Neutrino-Ereignisse wurden mit zuvor veröffentlichten Vorhersagekarten von Regionen am Himmel verglichen, aus denen man besonders viele galaktische Neutrinos erwartete.

„Der wirklich überzeugende Nachweis der Milchstraße als Quelle hochenergetischer Neutrinos hat die strengen internen Tests der Kollaboration überstanden“, sagt Prof. Ignacio Taboada, Professor am Georgia Institute of Technology (USA) und IceCube-Sprecher. „Der nächste Schritt besteht nun darin, einzelne Neutrino-Quellen innerhalb der Milchstraße direkt zu identifizieren.“

Diese und andere Fragen werden in bereits geplanten Nachfolge-Analysen von der IceCube-Kollaboration untersucht. Schon jetzt ist aber klar, dass der erstmalige Nachweis hochenergetischer Neutrinos aus der Milchstraße neue Möglichkeiten zum Studium der energiereichsten Teilchen in unserer kosmischen Umgebung eröffnet, und einen bedeutenden Schritt hin zum Verständnis der Herkunft der galaktischen kosmischen Strahlung darstellt.

Originalpublikation: IceCube Collaboration: Observation of high-energy neutrinos from the Galactic plane, Science, 29 Jun 2023, Vol 380, Issue 6652, pp. 1338-1343; DOI: 10.1126/science.adc981

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