Molekularer Mechanismus gegen Bildung von Blutgerinnseln Was Braunbären und Querschnittsgelähmte vor Thrombose schützt
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Schon vier Stunden im Flugzeug können bei manchen Menschen ausreichen, um eine Thrombose zu verursachen. Braunbären hingegen verharren monatelang im Winterschlaf, ohne Schäden davonzutragen. Und erstaunlicherweise ist auch bei querschnittsgelähmten Patienten das Thromboserisiko gering. Nun haben Forscher dieses Paradoxon aufgeklärt und hoffen, damit eine neue Therapie gegen Thrombosen entwickeln zu können

Viele Menschen kennen es aus der eigenen Familie: Wenn sich die Großmutter die Hüfte gebrochen hat und wochenlang bettlägerig ist, dann wächst auch das Risiko eines Blutgerinnsels. Ein solches Gerinnsel entsteht in einer Vene, wandert durch den Kreislauf und kann im schlimmsten Fall ein Blutgefäß der Lunge verstopfen.
Immobilität ist einer der größten Risikofaktoren für eine solche venöse Thromboembolie mit lebensgefährlichen Folgen. Warum aber können Braunbären im Winter monatelang nahezu regungslos schlafen, ohne in die Gefahr dieser Erkrankung zu kommen? Und warum haben querschnittsgelähmte Patienten nach der Akutphase der ursächlichen Verletzung ebenfalls kein erhöhtes Thromboserisiko?
Überwinternde Braunbären untersucht
Für die Herz- und Kreislaufspezialisten des LMU-Klinikums um Dr. Tobias Petzold begann das Forschungsprojekt zur Beantwortung dieser Fragen mit zwei Reisen nach Mittelschweden – eine im Sommer, eine im Winter. Dort wird eine Braunbärenpopulation seit mehr als zehn Jahren wissenschaftlich untersucht, unter anderem durch den dänischen Kardiologen Prof. Dr. Ole Fröbert des Universitätskrankenhauses im schwedischen Örebro, der seinen deutschen Kollegen auch das Kooperationsprojekt vorschlug.
Die freilebenden Braunbären wurden für Blutentnahmen sediert und anschließend sofort wieder in die Wildnis entlassen. In einem mobilen Labor analysierten Petzold und seine Kollegen die Proben binnen drei bis vier Stunden. Ziel war es, herauszufinden, ob sich das Gerinnungssystem der Braunbären im Winterschlaf von dem in der Aktivität des Sommers unterscheidet. „Doch da haben wir keinen relevanten Unterschied gefunden“, sagt Manuela Thienel, Ko-Erstautorin der Studie.
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Winterschlaf-Phänomen auch bei Querschnittsgelähmten
Einen Teil der Blutproben nahmen die Forscher mit nach München, um in ihren Laboren die Blutplättchen genauer zu untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass im winterschlafenden Braunbärenkörper „die Interaktion zwischen den Blutplättchen und Entzündungszellen des Immunsystems gebremst wird“, wie Herz- und Kreislaufspezialist Petzold sagt. „Das erklärt das Ausbleiben der venösen Thrombose.“ Genau die gleichen Mechanismen wiesen die Wissenschaftler auch bei querschnittsgelähmten Patienten nach, sowie bei Probanden, die an einer Studie der deutschen und amerikanischen Raumfahrtbehörden (DLR und Nasa) teilnahmen und hierfür drei Wochen lang Bettruhe einhielten.
Um den molekularen Mechanismus hinter diesem schützenden Phänomen aufzudecken, zogen die Mediziner die Expertisen von Prof. Dr. Matthias Mann und Dr. Johannes Müller-Reif des Max-Planck-Institutes für Biochemie (MPIB) in Martinsried heran. Die von ihnen verwendete Methode der Massenspektroskopie-basierten Proteomik ist dafür geeignet, nach veränderten Proteinen zu suchen, ohne dass vorher bekannt ist um welche es sich dabei handelt. Sie erlaubt eine Non-Target-Analytik.
Das Paradoxon der Thrombose
MPIB-Direktor Mann erklärt den Erfolg der angewandten Non-Target-Analytik: „Wir haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass unsere Methode auf alle Organismen und Modelle anwendbar ist, sofern DNA-Sequenzierungsdaten vorhanden sind. Speziell für den Braunbären gibt es kaum andere Möglichkeiten molekulare Prozesse zu untersuchen, da meist organismusspezifische Antikörper benötigt werden. Durch die Identifizierung und Quantifizierung von fast 2.700 Proteinen in den Blutplättchen konnten wir die molekularen Geheimnisse hinter ihrer einzigartigen Fähigkeit, Thrombosen während des Winterschlafs zu vermeiden, aufdecken.“
Entscheidend dabei ist, dass im Winterschlaf 71 Proteine hoch- und 80 herunterreguliert werden. Die Forscher zeigten, dass das Blutplättchen-Protein mit dem größten Unterschied zwischen überwinternden und aktiven Bären das so genannte Hitzeschockprotein 47 war, kurz HSP47. In überwinternden Bären sei es um das 55-fache herunterreguliert. Weiterhin wiesen die Forscher nach, dass die Herabregulation des HSP47 unter Langzeit-Immobilisation in verschiedenen Säugetierarten wie Menschen, Braunbären und Schweinen vorkommt und somit ein evolutionär konservierter, artübergreifender Mechanismus der Thromboseprävention ist. Er verhindert sowohl bei Braunbären, wie auch bei Querschnittsgelähmten die Entstehung von Blutgerinnseln – paradoxerweise jedoch nicht bei gesunden Menschen.
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Potenzieller Thrombosen-Stopper
Durch einen geringen HSP47-Proteinlevel, wie er bei den überwinternden Braunbären gefunden wurde, reduziert sich auch die Interaktion der Blutplättchen und Entzündungszellen. „Tatsächlich ist HSP47 in der Lage, die Entzündungszellen zu aktivieren“, sagt Herz- und Kreislaufspezialist Petzold. Im biomedizinischen Umkehrschluss bedeutet das, dass man HSP47 mit einem passenden Molekül bei immobilisierten Akutpatienten blockieren und dadurch womöglich die Gefahr einer venösen Thrombose verhindern könnte.
Zwar gibt es für Laborexperimente bereits kleine Moleküle, die HSP47 ausschalten, doch für einen möglichen Einsatz am Menschen eignen sie sich nicht. Deshalb will Petzold mit seinem Team nun nach geeigneten Substanzen suchen. Wenn sie fündig werden, stände Medizinern in Zukunft womöglich ein neues Mittel gegen die venöse Thrombose zur Verfügung.
Originalpublikation: Manuela Thienel et al.: Immobility-associated thromboprotection is conserved across mammalian species from bear to human.Science, Vol 380, Issue 6641, pp.178-187 (13 Apr 2023); DOI:10.1126/science.abo5044
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