Anbieter zum Thema
Vernunft statt Patentstreit
Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Linde und Air Liquide ließen sich nicht vermeiden. In England prozessierte der Linde-Patenthalter Britisch Oxygen Company (BOC) 1907 gegen Air Liquide und gewann. Doch auf beiden Seiten siegte die Vernunft. Linde und Air Liquide suchten den Kompromiss und einigten sich auf die gemeinsame weltweite Markterschließung und -aufteilung. Schnell hatten die Wettbewerber auch international Erfolg.
Andere Unternehmen konnten ebenfalls reüssieren: etwa Messer in Höchst, das ab 1908 ebenfalls Luftzerlegungsanlagen baute.
Ein weiteres Gas sollte den Geschäftserfolg bald ausbauen. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Salpeter die wesentliche Stickstoffquelle. Erst 1903 konnte Salpetersäure durch Oxidation von Luftstickstoff im Lichtbogen und schließlich 1908 Ammoniak aus Luftstickstoff und Wasserstoff hergestellt werden. Der Ausfall von Chilesalpeter als Ausgangsstoff für Sprengstoff und Kunstdünger im ersten Weltkrieg initiierte bei Linde den Bau mehrerer großer Stickstoffanlagen. Messer stieg in dieses Geschäft in der Nachkriegszeit ein. Air Liquide tat sich 1919 mit Saint-Gobain zusammen, um Stickstoff-Dünger zu produzieren. Zudem begann Air Liquide mit der Herstellung von pharmazeutischen Gasen. 1930 entwickelte es ein kostengünstiges elektrolytisches Verfahren zur Herstellung von Wasserstoffperoxid.
Weiterhin war die Technik des Gasschmelzschweißens ein Treiber. Air Liquide beteiligte sich an der 1909 gegründeten Firma SAF, wovon der Geschäftszweig Sauerstoff-Produktion weltweit profitierte. Denn SAF wuchs zwischen den Weltkriegen rasant, getrieben vom Eisenbahn- und Schiffsbau. Die enge Zusammenarbeit der beiden Unternehmen, die später an wichtigen französischen Projekten wie dem TGV und Ariane beteiligt waren, führte 1995 schließlich zur Akquisition von SAF durch Air Liquide.
Zerstörung folgt Aufbau
Die weltweite Depression allerdings traf alle Unternehmen. In der Wirtschaftskrise ging der Absatz stark zurück. Linde erholte sich in der Nazizeit schnell; Luftzerlegungsanlagen waren im Rahmen der Produktion synthetischer Treibstoffe kriegswichtig. Auch Messer profitierte von der Rüstungsproduktion. Air Liquide übernahm in dieser Zeit La oxígena in Argentinien und baute zudem von Kanada aus das gesamte amerikanische Geschäft aus. In Europa litt der französische Produzent ebenso wie die deutschen Wettbewerber: Am Ende des zweiten Weltkriegs waren 18 von 37 französischen Anlagen zerstört.
Doch schon 1946 entstand eine Sauerstoff-Pipeline zwischen einer lothringischen Produktionsanlage und zwei Stahlunternehmen. Zudem ermöglichte Spirotechnique (heute Aqua Lung), eine Neugründung von Air Liquide, das Atmen unter Wasser und damit die aufsehenerregenden Unterwasser-Unternehmungen von Jacques Cousteau. Zu seinem 50. Geburtstag 1952 zählte das Unternehmen 46 Fabriken in Frankreich und 121 weltweit.
Air Liquide’s damaliger Vorsitzender Jean Delorme war keineswegs zufrieden mit der Marktposition. Schon 1946 führte er auf, dass „Air Reduction, das lediglich ein Drittel des US-Markts hält, einen Umsatz von 12 Mrd. Francs verzeichnet. Unser Gesamtumsatz in Frankreich war etwa 500 Mio. Francs.“
Neuland mit Flüssiggas
Zu dieser Zeit konzentrierte sich Air Liquide auf das Geschäft mit gasförmigem Sauerstoff. Den wachsenden US-Markt mit Gaszylindern zu bedienen schien unmöglich. Flüssiggas, wie es Union Carbide patentiert hatte, war die Lösung. Dies ließ sich in kryogenen Tanks lagern und transportieren. Ein Liter flüssiger Sauerstoff entspricht rund 850 Liter des Gases. Air Liquide erwarb das Patent und baute bis 1955 zwei große Anlagen im nordfranzösischen Denain. Die neue Technik trug maßgeblich zur Erschließung neuer Märkte bei.
(ID:45075408)