Mobile Labore Biosicherheit auf vier Rädern: Über die Herausforderungen mobiler Labore
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Am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT werden nicht nur neue Geräte und Technologien für Medizintechnik, medizinische Biotechnologie und Gesundheit entwickelt, sondern das Ganze seit einigen Jahren auch „mobil“. Worauf es bei der Planung mobiler Labore ankommt, erläutert Markus Michel im LP-Exklusivinterview.

Eine hohe Labor-Sicherheitsstufe und Mobilität passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Wie ist es Ihnen gelungen, diese beiden Themen trotzdem zu integrieren?
Markus Michel: Die Herausforderungen bei mobilen Lösungen ist immer die Portierung der einschlägigen (Labor-)Richtlinien und Vorschriften, insbesondere unter Berücksichtigung der biologischen Sicherheit, auf die Besonderheiten von mobilen Einheiten. Auch relevante Anwendungsaspekte müssen durchgängig Berücksichtigung finden. Am Beispiel des mobilen „epiLab“, das vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT schon 2012 als fahrbares BSL-2-Labor entwickelt wurde und seither im Humanbiomonitoring betrieben wird, lässt sich sehr gut die Integration von Mobilität und biologischen Sicherheitsstufen veranschaulichen.
Das Fraunhofer IBMT entwickelt für die Bereiche Humanbiomonitoring und Umweltmonitoring Plattformen zur Standardisierung von Prozessen der präanalytischen (Probennahme) und analytischen Phase bis zur Kryolagerung (Probenaufbewahrung) von organischen Materialien. Das mobile Labor „epiLab“ wurde dazu entsprechend den Richtlinien für BSL-2 zugelassen, zusätzlich nach DIN EN ISO 9001 zertifiziert und akkreditiert nach DIN EN ISO/IEC 17025 für Prüfungen im Bereich „Gesundheitsversorgung – Medizinische Laboratoriumsuntersuchungen im Rahmen von klinischen Studien“. Die Zulassungen beziehen sich auf die Untersuchung von Probanden inklusive deren Urin-, Blutplasma- und Vollblutproben. Die Herausforderung dieser Proben besteht im notwendigen Handling unter BSL-2. Dazu wurde analog zu einem stationären Sicherheitslabor eine raumoptimierte Laborzelle inkl. Schleusensysteme in eine mobile Einheit integriert. Dabei muss dem Mobilitätsaspekt umfassend Rechnung getragen werden. Vor jedem Einsatz ist die Funktionstüchtigkeit des Labors einschließlich aller Gerätschaften und insbesondere die biologische Sicherheit zu gewährleisten. Dies geschieht u. a. mittels Prüfung der Sicherheitswerkbänke nach jedem Ortswechsel oder über die entsprechenden Prüfroutinen der RLT-Anlage.
All dies unterliegt natürlich dem entsprechenden Qualitätsmanagement. Auch bei der 2022 vorgestellten mobilen Arbeitsplattform „BioSensoLab“, einem flexiblen, modularen Labor zur Entwicklung, Nutzung und Demonstration von intelligenten Sensoren im biologisch-medizinischen Kontext, galt es, die unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich Mobilität, Energieversorgung, Raumnutzungskonzepte, Klimatechnik und gegebenenfalls notwendigen Sicherheitsstufen zusammen zu bringen.
Das Ziel bei der Entwicklung mobiler Labore ist es stets, valide Methoden zu etablieren, die im Labor kalibriert werden können und auch unter den Randbedingungen der Mobilität gleichbleibend qualitätsgesicherte Resultate liefern. Grundvoraussetzung für die Konzeption mobiler Labore ist nicht nur das biologische Know-how, um die geplante Anwendung zu verstehen, sondern auch das Wissen um die daraus resultierenden Konsequenzen für das Laborkonzept. Nur so kann aus der Anwendungsspezifikation eine Laborspezifikation abgeleitet werden, die alle diese Konsequenzen berücksichtigt und eine optimale Lösung für den Anwender darstellt. Das Fraunhofer IBMT hat dieses multidisziplinäre Know-how über viele Jahre aufgebaut und als Kompetenz stringent weiterentwickelt und ausgebaut.
Das neue „BioSensoLab“ wurde nach diesen Aspekten „BSL-2-ready“ entwickelt. Die in Bezug auf die gerätetechnische Ausstattung sehr offen gestaltete mobile Arbeitsplattform ist technisch und räumlich bereits so ausgelegt, dass bei potenziellen Anwendungen, die eine biologische Sicherheitsstufe benötigen, der sichere Umgang mit Sensoren und biologischen Materialien gewährleistet ist. Die entsprechende Zulassung ist jederzeit anwendungsspezifisch möglich.
Für welche Anwendungen haben Sie die mobile Arbeitsplattform BioSensoLab konzipiert?
Die Arbeitsplattform ist im Rahmen des Fraunhofer-Zentrums für Sensor-Intelligenz ZSI entstanden. Das Zentrum entwickelt Sensorsysteme mit integrierten KI-Komponenten und deckt den kompletten Prozess von der Datenerfassung bis zur Analyse und Auswertung ab. Dazu werden Sensordaten zu Information verarbeitet und daraus begründete Entscheidungen abgeleitet. Die hier eingesetzten Sensoren oder Multisensorsysteme können in Echtzeit und vor Ort selbstständig Entscheidungen treffen und so Prozesse in einem definierten Rahmen steuern. Die Anwendungsgebiete sind extrem vielfältig und reichen von der Materialprüfung über Produktions- und Bioprozesse bis hin zum Gesundheitswesen.
Das mobile „BioSensoLab“ bietet eine Plattform für F&E-Kooperationen zwischen Entwicklern und Anwendern an verschiedenen Standorten. Das Durchführen der Forschungsarbeiten ist sukzessive jeweils vor Ort unter Nutzung der exakt identischen Experimentalaufbauten möglich, ohne dass die bei einem Partner verwendeten Apparaturen und Geräte abgebaut und beim zweiten Partner wieder aufgebaut werden müssen. Durch die immer gleichen Bedingungen werden qualitätsgesicherte Ergebnisse ermöglicht, die den geschützten Raum des „BioSensoLab“ auch nicht notwendigerweise verlassen müssen.
Das „BioSensoLab“ ist, wie der Name schon suggeriert, in erster Linie für sensorische Anwendungen in der Biologie und verwandten Bereichen konzipiert. Die flexible Raumgestaltung ermöglicht eine einfache Anpassung der Ausstattung an die jeweilige Fragestellung. Ein aktuelles Forschungsprojekt befasst sich beispielsweise mit der Sensorierung von Bioreaktoren für die Produktion und Differenzierung von Stammzellen. Dabei werden die Prozess- und Umgebungsparameter sensorisch erfasst und die produzierten Stammzellen mithilfe neuer Sensoren charakterisiert, mit dem Ziel die Produktionsprozesse zu optimieren und die Produktion in Zukunft sensorgesteuert durchzuführen.
Wie erfolgt die Sammlung und Analyse der Daten, und wie ist die Sicherheit sensibler Daten gewährleistet?
Zur Erfassung und Analyse von Daten ist innerhalb des „BioSensoLabs“ ein vertrauenswürdiges Vor-Ort-Datenökosystem etabliert. Das „BioSensoLab“ ist mit einem strukturierten kabelgebundenen Netzwerksystem ausgestattet. An allen Arbeitsplätzen sind Netzwerkanschlüsse vorhanden. Zur Einbringung von Hochleistungscomputern stehen geeignete Vorrichtungen zur Verfügung. Diese können auch USV-gesichert betrieben werden. Die von den Sensorsystemen generierten und unter Umständen sicherheitsrelevanten Daten werden mithilfe von leistungsfähigen Rechnern im mobilen Labor zum Trainieren von KI genutzt und verlassen somit das Labor nicht. Auf Kundenwunsch sind aber eine einfache hardwareseitige Einbindung in vorhandene Unternehmens-IT-Sicherheitsumgebungen oder Anbindungen an das Internet oder Cloud-Services möglich. Die nahezu autarke technische Ausstattung, die Erweiterbarkeit und die mögliche Abgeschlossenheit gerade der Dateninfrastruktur gewährleisten umfassend die Sicherheit (Security by Design) der generierten sensiblen Daten und deren Analyse.
Neben der Kooperation in Forschungsprojekten lässt sich die mobile Arbeitsplattform für die Wissenschaftskommunikation, das Marketing, die Akquise und die Ausbildung im Kontext des Zentrums für Sensor-Intelligenz (ZSI), aber auch darüber hinaus nutzen. So wurde das „BioSensoLab“ auf der Messe Medica 2022 als Demonstrator und Teil des Messestands eingesetzt. Bei einem Treffen des regionalen Netzwerks Health-AI nutzten wir unsere mobile Arbeitsplattform, um Kompetenzen des Fraunhofer ZSI vor Ort erlebbar zu machen. Auch der Einsatz als zugelassenes Prüflabor in der Pharma- und Biotechindustrie ist denkbar, da das separate mobile Labor die etablierten Produktionsprozesse nicht beeinträchtigt. (ott)
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