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Hinweise auf Neutrino-Quelle gefunden Dem Ursprung der Geisterteilchen auf der Spur

Autor / Redakteur: Eva Prost*, Dr. Julia Weiler** / Christian Lüttmann

Neutrinos prasseln in großer Zahl mit der kosmischen Strahlung auf die Erde. Die „Geisterteilchen“ sind jedoch schwer zu untersuchen, da sie nahezu keine Wechselwirkung mit Materie zeigen. Trotzdem ist es 2013 gelungen, sie mit dem Hochleistungsdetektor nachzuweisen. Nun geben die gewonnenen Daten zudem erste Hinweise auf den Ursprungsort der registrierten Neutrinos.

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Das Ice-Cube-Labor bei Sonnenuntergang
Das Ice-Cube-Labor bei Sonnenuntergang
(Bild: Martin Wolf (redfurwolf) IceCube/NSF)

Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen – Im ewigen Eis des Südpols steht der wohl leistungsstärkste Neutrino-Detektor der Welt: Ice Cube. Seinen Namen trägt er zu Recht, schließlich besteht er im Grunde aus einem ein Kubikkilometer großen im Boden versenkten Eisblock, der mit über 5000 optischen Modulen ausgestattet ist. Seit seiner Fertigstellung 2010 fahndet er nach den schwer fassbaren Teilchen.

Bei ihren seltenen Wechselwirkungen erzeugen die energiereichen Neutrinos aus dem Kosmos manchmal geladene Teilchen, die dann wiederum eine verräterische Lichtspur im Eis hinterlassen. Detektieren die Sensoren von Ice Cube eine solche Spur, kann die Herkunftsrichtung des Neutrinos ermittelt werden. Genau das geschah am 22. September 2017: Ice Cube registrierte das Ereignis 170922A – und sehr schnell wurden weltweit verschiedene Teleskope auf die Spur des enttarnten Neutrinos gesetzt. Denn anders als die meisten Neutrinos war dessen Energie zu groß für einen Ursprung in unserer Atmosphäre. Es musste also aus den Tiefen des Alls gekommen sein.

Ergänzendes zum Thema
Das Ruhr Astroparticle-Plasma Physics Center (RAPP Center)

Zur Erforschung energetischer Prozesse im Universum haben sich Forscher der Universitätsallianz Ruhrzum „Ruhr Astroparticle-Plasma Physics Center” (RAPP Center) zusammengeschlossen. „Die so genannte Multi-Messenger-Astronomie, also die umfassende Beobachtung in verschiedenen Wellenlängenbereichen und mit allen zur Verfügung stehenden Informationsträgern, ist mittlerweile zu einer sehr wichtigen Erkenntnisquelle geworden und eine große Stärke der Arbeitsgruppen im RAPP Center”, erklärt Prof. Julia Tjus von der Ruhr-Universität Bochum, eine der Autorinnen der nun vorgestellten Studien.

Besuch aus einer fernen Galaxie

Tatsächlich stellte sich schnell heraus, dass die Anstrengungen der Astrophysiker von Erfolg gekrönt sein könnten: An der Himmelsposition, aus der das Neutrino erfasst wurde, entdeckten die Forscher-Teams eine Quelle von Gammastrahlung: den aktiven Galaxienkern „TXS 0506+056“. Hierbei handelt es sich um die Umgebung eines massereichen Schwarzen Lochs. Dieses Objekt war bereits aus vorherigen Beobachtungen bekannt. Da es aber eine relativ große Zahl von bekannten Gammastrahlen-Quellen am Himmel gibt, mussten die Forscher herausfinden, ob TXS 0506+056 die energiereiche Neutrino-Quelle sein konnte.

Unterstützung durch Magic-Teleskope

„An diesem Punkt kommen unsere Magic-Teleskope auf La Palma ins Spiel, die wir genau wie den Ice-Cube-Detektor seit mehreren Jahren in einer internationalen Kollaboration betreiben. An der Verbundforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, sind mehrere universitäre Partner führend beteiligt”, erklärt Prof. Wolfgang Rhode von der TU Dortmund. Diese Teleskope ermöglichen Beobachtungen von kosmischen Gammastrahlen-Quellen bei großen Energien. Bereits nach wenigen Tagen stand fest, dass die Gammastrahlenquelle TXS 0506+056 erstmals auch im Energiebereich der Magic-Teleskope detektiert werden konnte. „Der Nachweis einer in diesem Energiebereich vorher nicht beobachteten Gammastrahlen-Quelle in der Herkunftsrichtung des Neutrinos ist ein sehr wichtiger Befund. Das ist genau das erste konkrete Anzeichen der möglichen Entdeckung einer Neutrino-Quelle, das wir erwartet hatten”, ergänzt Rhode.

Möglicherweise ist den Wissenschaftlern ein Durchbruch in der Hochenergie-Astrophysik gelungen: „Die Identifikation eines aktiven Galaxienkerns als Neutrino-Quelle wäre nicht nur ein großer Schritt zum Verständnis der Prozesse in der unmittelbaren Umgebung massereicher Schwarzer Löcher, sondern auch eine heiße Spur zum Ursprung der geheimnisvollen hochenergetischen kosmischen Strahlung”, sagt Prof. Julia Tjus von der Ruhr-Universität Bochum.

Noch ist die Neutrino-Quelle nicht eindeutig bewiesen

Nun gilt es, den Verdacht über die Herkunft des Neutrinos aus einem aktiven Galaxienkern durch den Nachweis weiterer Ereignisse zu erhärten. Für diese Aufgaben sind die RAPP-Gruppen gut aufgestellt: „Durch den stabilen Weiterbetrieb der Magic -Teleskope als Ergänzung zu Ice Cube und die Beteiligung am zukünftigen Gammastrahlen-Observatorium ‚Cherenkov Telescope Array‘ sowie der Ice-Cube-Erweiterung ‚Gen-2‘ sind die RAPP-Gruppen in der Lage, weiterhin eine tragende Rolle zu spielen”, erklärt Dr. Dominik Elsässer von der TU Dortmund. Sein Kollege Dr. Tim Ruhe ergänzt: „In der modernen Astro- und Teilchenphysik spielen intelligente Analyseverfahren und die Simulation der Detektoren auf Großrechneranlagen eine entscheidende Rolle. In diesem Bereich leisten wir sowohl für Ice Cube als auch für Magic führende Beiträge.”

Erklärungsvideo zum Ice-Cube-Detektor [IceCube Neutrino Observatory]:

Ein weiteres Puzzlestück, das zur Identifikation von Neutrino-Quellen beiträgt, betrifft die Interpretation der Daten, die aus den unterschiedlichen Messungen entstehen. Hierzu werden in Bochum numerische Modelle entwickelt, die die Physik der Neutrino-Quellen so genau wie möglich beschreiben. „Mithilfe der Modelle können wir vorhersagen, wie die verschiedenen Wellenlängen und Teilchenarten in der Intensität und im zeitlichen Verlauf ankommen”, führt Dr. Björn Eichmann von der Ruhr-Universität Bochum aus. Diese genaue Modellierung ist nach Angaben der Forscher eine Spezialität des RAPP Centers, da die Expertise der lokal ansässigen Experten für Astro-, Plasma- und Teilchenphysik genutzt werden kann – ein Standortvorteil, der in Deutschland einzigartig ist.

Ihre Stärken bringen die Gruppen der Universitätsallianz Ruhr auch unmittelbar in die Beobachtungen ein: Die Dortmunder Doktorandin Alicia Fattorini ist in der Magic Kollaboration Teil eines Teams, das schnelle Analysen von Neutrino-Nachbeobachtungen durchführt. Johannes Werthebach, ebenfalls Doktorand in Dortmund, hält sich zurzeit am Südpol auf und betreut die Ice-Cube-Detektoren.

Originalpublikationen:

IceCube Collaboration: Neutrino emission from the direction of the blazar TXS 0506+056 prior to the IceCube-170922A alert. Science 13 Jul 2018: Vol. 361, Issue 6398, pp. 147-151; DOI: 10.1126/science.aat2890

IceCube Collaboration, Fermi-LAT, MAGIC, AGILE, ASAS-SN, HAWC, H.E.S.S., INTEGRAL, Kanata, Kiso, Kapteyn, Liverpool Telescope, Subaru, Swift/NuSTAR, VERITAS, VLA/17B-403 teams: Multimessenger observations of a flaring blazar coincident with high-energy neutrino IceCube-170922A. Science 13 Jul 2018: Vol. 361, Issue 6398, eaat1378; DOI: 10.1126/science.aat1378

* Eva Prost, TU-Dortmund, 44227 Dortmund ,**Dr. J. Weiler, Ruhr-Universität Bochum, 44801 Bochum

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