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Rheologie Die Rheologie ist im Kommen

Redakteur: Dipl.-Chem. Marc Platthaus

Exklusiv im LP-Online-Interview beschreibt Dr. Karl-Heinz Jacob, Professor für Physikalische Chemie in Nürnberg, wie Lehre und Praxis sich an einer Fachhochschule ergänzen können und wie die Rheologie bei der Entwicklung neuer Werkstoffe hilft.

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Die „Georg-Simon-Ohm-Hochschule für angewandte Wissenschaften – Fachhochschule Nürnberg“ ist in jeder Hinsicht auffallend: Sie ist eine zertifizierte „familiengerechte Hochschule“ und verleiht Förderpreise für gute Leistungen in Kombination mit sozialem Engagement. Ein Schwerpunkt der Ausbildung an den zwölf Fakultäten von „Allgemeinwissenschaften“ bis „Werkstofftechnik“ ist die praxisbezogene Lehre und Forschung. Das sei auch der deutliche Vorteil, den Fachhochschulen haben: Sie vermitteln nicht nur theoretisches Wissen, so Dr. Karl-Heinz Jacob, Professor für Physikalische Chemie und Dekan an der Fakultät für Angewandte Chemie im LP-Online-Exklusivinterview. Er berschreibt, wie Lehre und Praxis sich an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg ergänzen, wie die intensive Zusammenarbeit mit der Industrie aussieht und welche Studienangebote es an der FH seit Neuestem gibt.

LaborPraxis: Herr Prof. Jacob, wofür interessieren sich die Studenten, wenn sie an die FH Nürnberg kommen?

Prof. Jacob: Von den ungefähr 8500 Studierenden hier am Standort studieren etwa 2500 Wirtschaftswissenschaften und Sozialwissenschaften. Mein Bereich, die Angewandte Chemie, hat allerdings auch stark expandiert. Wir haben zurzeit ca. 450 Studierende. Vor vier Jahren, als wir im Jahr 2003 die neue Studienordnung, also einen dreigliedrigen Studiengang eingeführt haben, in dem die Studierenden zwischen Technischer Chemie, Allgemeiner Chemie und Biochemie wählen können, hatten wir 250 Studenten. Die Zahl hat sich nahezu verdoppelt. Letztes Jahr gab es 150 Studienanfänger. Der neue Studiengang ist so attraktiv, weil sich die Studenten erst am Ende des dritten Semesters entscheiden müssen, worauf sie sich spezialisieren wollen.

LaborPraxis: Wie lange dauert dann die Spezialisierung?

Prof. Jacob: Vom vierten bis zum achten Semester. Das sechste Semester ist ein Praxissemester. Die Studierenden gehen dann in die Industriebetriebe und bekommen Einblicke in das Berufsleben. Mit den Betrieben können sie während des Praxissemesters oder im achten Semester während der Diplomarbeit Kontakt aufnehmen. Für die Diplomarbeit suchen sich die Studenten entweder ein Thema im Industriebetrieb und lösen dann das Problem vor Ort oder wir bearbeiten zusammen mit den Diplomanden hier im Haus ein Thema, das die Industrie bei uns deponiert hat.

LaborPraxis: Dort gibt es dann sicherlich Anknüpfungspunkte für Kooperationen.

Prof. Jacob: Natürlich, dadurch gibt es enge Kooperationen mit den Unternehmen in der Umgebung, die Lösungen von uns erarbeitet haben möchten. Wir machen zwar keine klassische Grundlagenforschung wie die Universitäten, aber können die Industrie sehr gut unterstützen, wenn es gilt Produkte zu optimieren und praxisrelevante Probleme in der Produktion oder im Design zu lösen.

LaborPraxis: Um welche Schwerpunkte geht es dann in erster Linie?

Prof. Jacob: Unsere große Stärke ist die angewandte Chemie. Beispielsweise gibt es im Bereich der Verarbeitung von Kunststoffen, Thermoplasten im Speziellen, eine sehr enge Zusammenarbeit mit der lokalen Industrie, weil Kunststoffprodukte überall benötigt werden. Im Umkreis von 50 Kilometern gibt es sehr viele Spritzereien und mit ihnen pflegen wir einen regen Austausch. Wir haben die Firma NIP, die Baby-Schnuller herstellt, beraten. Auch der Firma Staedtler, die Radiergummis produziert, konnten wir Unterstützung anbieten. Zum Beispiel sind viele Verpackungsmaterialien wie Polypropylen, Polyethylen nicht ideal zum Bedrucken geeignet, wir beschäftigen uns dann mit der Frage, was man tun muss, um sie richtig vorzubereiten.

LaborPraxis: Beraten Sie vor allem große Unternehmen?

Prof. Jacob: Nein, kleine und mittlere Betriebe sind unser wichtigsten Adressaten. Das unterscheidet uns von der Universität, an die sich die größeren Betriebe wenden, die etwas völlig Neues machen wollen. Bei uns geht es eher darum, dass wir entsprechend dem Stand der Forschung ganz praktische Probleme lösen.

LaborPraxis: Aber auch für Bosch haben sie ein sehr erfolgreiches Verfahren entwickelt.

Prof. Jacob: Ja, das war ein sehr schönes Projekt. Es ging darum, für die Firma Bosch die spezifische Verdampfungsenthalpie von Otto- und Dieselkraftstoffen zu bestimmen, also die Wärmemenge, die benötigt wird, um eine bestimmte Masse an Kraftstoff zu verdampfen. Dazu gibt es derzeit am Markt noch kein schlüssiges Konzept. Wir haben uns eineinhalb Jahre mit dieser speziellen Fragestellung beschäftigt und ein Verfahren erarbeitet, mit dem wir die besagte Wärmemenge direkt messen können, und es auch schon am Patentamt eingereicht.

LaborPraxis: Dieser intensive Kontakt mit der Industrie bringt sicher auch den Absolventen große Vorteile. Gibt es „Erfolgsstorys“ von FH-Abgängern?

Prof. Jacob: Ja, natürlich, ein Projekt mit der Firma Siemens, bei dem es um die rheologische Charakterisierung von Elektroisolierwerkstoffen ging, wurde von einem Studierenden so erfolgreich allein weitergeführt, dass der junge Mann gleich „eingekauft“ wurde. Er arbeitet jetzt bei Siemens im Bereich Rheologie, was auch hier sein Spezialgebiet war.

LaborPraxis: In den Lehrveranstaltungen spielt die Rheologie ja neuerdings auch eine sehr wichtige Rolle. Würden Sie sagen, es gibt einen Trend, Probleme vermehrt rheologisch zu lösen?

Prof. Jacob: Ja, mein Kollege Dr. Gerd Wehnert und ich bieten Fächer im Bereich „polymere Werkstoffe“ an. Für die Charakterisierung polymerer Werkstoffe ist die Rheologie ein ganz wichtiges Tool. Gemeinsam mit einem Verfahrenstechniker werde ich über „Rheologie an Suspensionen und Emulsionen“ vortragen. Daneben wird es einen Masterstudiengang „Angewandte Chemie“ geben. In diesem Studiengang wird ein Fach „Disperse Systeme“ heißen: Es geht um Suspensionen, Emulsionen, also um kolloide Systeme. Auch hier spielt die Rheologie eine sehr wichtige Rolle, sowohl für die Charakterisierung des viskoelastischen Verhaltens als auch für die Viskositätsbestimmung.

LaborPraxis: Wie sind Sie zur Rheometrie und Ihren Rheometern gekommen?

Prof. Jacob: Wir hatten ein Projekt bei der Staedtler-Stiftung hier in Nürnberg beantragt. Es ging um den Ersatz von Lacksystemen für die Lackierung von Holzstiften durch thermoplastische Beschichtungsmaterialien. Im Zuge dieses Projektes hat uns die Firma Staedtler ein Rheometer zur Verfügung gestellt. Dann hatten wir laufend kleinere Projekte mit den Stiftherstellern der Umgebung, dazu gehören Schwan-Stabilo, Schwan-Stabilo Cosmetics, Staedtler, Eberhard Faber, Faber-Castell. Sie haben Messaufträge bei uns platziert. Mit dem Geld, das wir so erwirtschaftet haben, konnten wir ein weiteres Gerät kaufen.

LaborPraxis: Wie habe sich diese Geräte im Alltag bewährt?

Prof. Jacob: Seit drei Jahren haben wir das erste Gerät, seit eineinhalb Jahren das zweite. Es gibt Zeiten, in denen könnte ich vier Rheometer betreiben, so viele Aufträge haben wir. Im Grunde genommen laufen die Rheometer bei uns jeden Tag. Wir haben uns die neuen Geräte von Anton Paar zugelegt, weil sie modular aufgebaut sind und wir z.B. zuerst einmal Festkörper untersuchen können, dann viskose Flüssigkeiten, dann können wir wieder umbauen. Weiterhin haben wir eine UV-Kammer, mit deren Hilfe wir UV-sensitive Systeme untersuchen können – wir haben mit diesem Rheometer einen Gerätetyp im Labor, mit dem wir ein sehr breites Spektrum an Fragestellungen beantworten können.

LaborPraxis: Gibt es für die Studenten eigene Schulungen für so komplexe Geräte?

Prof. Jacob: Das heben wir uns für die Leute auf, die einen Master-Studiengang absolvieren möchten. Wir wollen ihnen selbstverständlich Wissen mitgeben, das am Markt gefragt ist – wie etwa über Rheologie. Dass die Rheologie einen Boom erfahren hat, ist eine Tatsache. Und das Interesse wird auch weiter zunehmen.

LaborPraxis: Die Forschung rückt an der FH Nürnberg also immer weiter in den Mittelpunkt?

Prof. Jacob: Die FH Nürnberg ist die forschungsintensivste FH in Bayern. Keine andere FH nimmt so viele Drittmittel ein, wie wir es hier tun. Wir wollen das zukünftig ausbauen. Ich sehe die Zukunft der FH nicht nur in der Lehre, sondern auch in der angewandten Forschung und Entwicklung. Es ist eine sehr effektive Art und Weise, den Studierenden wirklich wichtige Grundlagen beizubringen.

LaborPraxis: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

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