Bioinspirierte Robotik Ein biomechanisches Meisterwerk: Der Fangapparat von Libellenlarven
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Wo bei Menschen die Unterlippe sitzt, haben Libellenlarven ein groteskes Fangwerkzeug. Eingeklappt unter ihrem Kopf, schnellt es in Sekundenbruchteilen nach vorn und packt die überraschte Beute. Forscher der Uni Kiel haben nun den Mechanismus dieser Fangmaske entschlüsselt und in Form eines Roboters nachgebaut.

Kiel –Libellenlarven könnten Modell für so manches Alien-Design aus Hollywood gestanden haben. Denn ihr Kiefer ist verdeckt von einer Art Maske, die an einem eingeklappten Gelenk nach vorne schnellen kann und wie eine Greifzange unachtsame Beutetiere schnappt. Es ist eine Hochgeschwindigkeitsbewegung in Sekundenbruchteilen
Jahrzehntelang waren Forscher davon ausgegangen, dass es sich bei dem Mechanismus des Fangapparates um einen hauptsächlich hydraulischen Vortrieb handeln müsse. Nun ist es Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) erstmals gelungen, das biomechanische Funktionsprinzip der so genannten Fangmaske der Libellenlarve vollständig zu entschlüsseln.
Das Katapultsystem der Libellenlarve
Mithilfe verschiedener interdisziplinärer Analysetechniken entschlüsselte das Team zunächst die Funktionsweise der Fangmaske. So ergaben Berechnungen, dass die Muskulatur der Libellenlarve nicht über ausreichend Leistung verfügt, um die beobachteten Bewegungen ohne zusätzliche Energiespeicher auszuführen. Der Vortrieb der Mundwerkzeuge funktioniere demnach vielmehr über ein steuerbares Katapultsystem: eine innere, elastische Struktur im Libellenkopf, die wie eine Sprungfeder von einem Muskel gespannt wird. Hierbei werde die Energie des Muskels gespeichert. Die beiden Segmente der Fangmaske sind miteinander verbunden und werden durch einen gemeinsamen Mechanismus arretiert und ausgelöst.
Derartige Systeme seien im Tierreich zwar weit verbreitet und fänden sich beispielsweise bei Heuschrecken, Zikaden oder Fangschreckenkrebsen, wie die Kieler Forscher erklären. Die Besonderheit bei der Libellenlarve liege jedoch darin, dass hier erstmals ein synchronisiertes, duales Katapultsystem beschrieben sei. „Zwei Katapulte liegen in einer Struktur, können aber individuell vorgespannt werden. Sie arbeiten zusammen, um die Fangmaske präzise zu steuern“, führt Alexander Köhnsen aus, der als Student an dem Projekt mitgewirkt hat.
Wie die Fangmaske der Libellenlarve in Aktion aussieht, zeigt dieses Video (Quelle: Dr. Sebastian Büsse, Zoologisches Institut, Uni Kiel):
Bioinspirierte Roboter
Maßgeblich zum Projekterfolg beigetragen hat die Entwicklung eines bioinspirierten Roboters, den die Forscher im 3D-Druckverfahren gefertigt haben (s. Bildergalerie). Das Team um Dr. Sebastian Büsse vom Zoologischen Institut hat dabei die Funktionsweise des komplexen Mundwerkzeugs adaptiert, um die Hypothesen aus ihrer Studie zu überprüfen.
„Einer der großen Vorteile von bioinspirierten Robotern ist die Möglichkeit, Ideen über biologische Funktionsprinzipien zu testen, die anders sehr schwer zu überprüfen wären“, sagt Büsse. „Robotik funktioniert idealerweise in zwei Richtungen. Wir lernen etwas über die Biologie und entwickeln etwas technisch Anwendbares.“
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Mithilfe von Libellen zu effizienteren Robotersystemen
Die Forscher nutzten 3D-Animationen, um die Fangtechnik der Libellenlarve zu visualisieren. Dabei wurde deutlich, dass die unabhängige Steuerung von zwei Katapulten innerhalb eines Systems eine bessere Kontrolle bedeutet. Diese Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung besonders agiler Roboter helfen. „Unser System erlaubt eine bessere Steuerung eines katapultgetriebenen Vorganges, zum Beispiel dem Springen, wodurch zusätzliche Kontroll- und Stabilisationssysteme kleiner und leichter ausfallen sollten. Dies könnte die Leistung und Effizienz solcher Roboter erhöhen“, sagt Projektleiter Büsse.
Originalpublikation: Büsse, S., Koehnsen A., Rajabi H., Gorb S.N.: A controllable dual-catapult system inspired by the biomechanics ofthe dragonfly larvae’s predatory strike, Science Robotics 20 Jan 2021, Vol. 6, Issue 50; DOI 10.1126/scirobotics.abc8170
* A.-K. Pries,Christian-Albrechts- Universität zu Kiel (CAU), 24118 Kiel
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