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Blutkrebs besser verstehen Gefährliche Rezeptorpaarung auf Leukämiezellen

Redakteur: Christian Lüttmann

Durchschnittlich alle 15 Minuten erhält in Deutschland jemand die Diagnose Blutkrebs, heißt es von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei. Noch immer sind die zugrunde liegenden Mechanismen nicht vollständig verstanden. Ein internationales Forscherteam hat nun neue Details über die Entstehung der Blutkrebsart Leukämie aufgedeckt. Demnach spielt die Paarung bestimmte Rezeptoren bei der Krankheit eine wichtige Rolle.

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Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien, Finnland und den USA entdecken, wie fehlgeleitete Kommunikation zwischen Zellen zu Leukämie-Erkrankungen führen.
Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien, Finnland und den USA entdecken, wie fehlgeleitete Kommunikation zwischen Zellen zu Leukämie-Erkrankungen führen.
(Bild: University of Helsinki / Ilpo Vattulainen and Joni Vuorio)

Osnabrück – Bei einem erwachsenen Menschen werden täglich Milliarden reifer Blutzellen gebildet. Die Entwicklung und Vermehrung der verschiedenen Zelltypen des Bluts aus blutbildenden Stammzellen im Knochenmark wird durch Botenstoffe der Familie der Zytokine kontrolliert. Diese binden an Rezeptoren auf der Oberfläche von Vorläufer-Zellen. Dadurch werden Signalkaskaden aktiviert, die sowohl Wachstum und Zellteilung als auch die Ausdifferenzierung in verschieden Zelltypen steigern.

Verschiedene Leukämie-Erkrankungen werden mit Genmutationen in Verbindung gebracht, bei denen diese Signalwege auch ohne Botenstoffe, also unkontrolliert, aktiviert sind. Bislang war es unklar, wie einzelne Mutationen diese Signale auf molekularer Ebene auslösen und damit zu diesen schwerwiegenden Fehlern des blutbildenden Systems führen.

Vorgänge an Zellmembran aufgedeckt

Ein wichtiger Schritt zur Erklärung von Leukämie ist nun einem Projektteam der Universität Osnabrück gelungen. Mithilfe von Einzelmolekülmikroskopie an lebenden Zellen warfen sie einen genaueren Blick auf die beteiligten Rezeptoren der Vorläufer-Blutzellen.

Bislang wurde angenommen, dass die Rezeptoren als inaktive Paare vorliegen. Die Forscher haben nun aber gezeigt, dass die Rezeptoren erst durch Botenstoffe zu Paaren verbunden werden. Aus ihren Beobachtungen an höchstauflösenden Fluoreszenzmikroskopen schlossen sie, dass die Paarbildung selbst der grundlegende Schalter zur Aktivierung der Signalvermittlung in der Zelle ist.

„Durch die direkte mikroskopische Visualisierung einzelner Rezeptoren unter physiologischen Bedingungen konnten wir eine Kontroverse klären, die dieses Forschungsgebiet seit mehr als 20 Jahren beschäftigt“, sagt Biophysiker Prof. Dr. Jacob Piehler von der Universität Osnabrück.

Gefährliche Rezeptorpaarung

In Kombination mit biomedizinischen Untersuchungen an den Universitäten York und Dundee fanden die Wissenschaftler heraus, dass viele krankheitsrelevante Mutationen bereits ohne Botenstoff zur Paarbildung bestimmter Rezeptoren führten. Diese Beobachtungen brachten die Forscher auf die Spur eines bislang unbekannten Mechanismus, wie einzelne Mutationen an den Zellmembran-Rezeptoren zu Leukämie-Erkrankungen führen.

Kooperationspartner an der Universität Helsinki nutzten diese Ergebnisse, um über Simulationsrechnungen und molekulare Modellierung ein vollständiges Strukturmodell auf atomarer Skala zu entwickeln, das die unterschiedlichen Wirkungsweisen verschiedener Mutationen erklären konnte. Diese grundlegenden Einsichten in die Funktionsweise von Rezeptoren ermöglichen nicht nur neue und gezieltere Strategien zur Bekämpfung von Leukämie-Erkrankungen. Darüber hinaus vermuten die Forscher, dass sich eine Reihe von entzündlichen und allergischen Erkrankungen ebenfalls auf ähnliche Mechanismen zurückführen lassen.

Originalpublikation: Stephan Wilmes, Maximillian Hafer, Joni Vuorio, Julie A. Tucker, Hauke Winkelmann, Sara Löchte, Tess A. Stanly, Katiuska D. Pulgar Prieto, Chetan Poojari, Vivek Sharma, Christian P. Richter, Rainer Kurre, Stevan R. Hubbard, K. Christopher Garcia, Ignacio Moraga, Ilpo Vattulainen, Ian S. Hitchcock, Jacob Piehler: Mechanism of homodimeric cytokine receptor activation and dysregulation by oncogenic mutations, Science, 07 Feb 2020: Vol. 367, Issue 6478, pp. 643-652; DOI: 10.1126/science.aaw3242

(ID:46356052)