Toxikologisches Monitoring in deutschen Küstengewässern Munitionsreste mit Miesmuscheln nachweisen
Anbieter zum Thema
In deutschen Küstengewässern liegt ein mahnendes Erbe verborgen: Über eine Million Tonnen Munitionsreste aus dem ersten und zweiten Weltkrieg verrosten dort langsam und setzen mitunter giftige Verbindungen frei. Um diese toxische Gefahr besser bewerten zu können, hat sich eine Forscherin der Uni Kiel Hilfe bei den Meeresbewohnern selbst geholt – und Stoffe aus Munitionsresten in Miesmuscheln untersucht.

Kiel – Geschätzte 1,6 Millionen Tonnen Kriegsmunition liegen heute noch in deutschen Küstengewässern. Diese Überreste aus den beiden Weltkriegen behindern Offshore-Installationen, gefährden den Schiffsverkehr und sind ein Risiko für Mensch und Umwelt. Die ökologischen Folgen werden in Zukunft sogar zunehmen, weil durch die weiter fortschreitende Korrosion der Munition mehr und mehr Schadstoffe aus den Munitionsresten freikommen. Sprengstofftypische Verbindungen aus dieser Munition wirken oft noch in sehr geringen Konzentrationen toxisch. Sie reichern sich in der Meeresfauna und -flora an und können über den Eintrag in die Nahrungskette letztendlich auch die Gesundheit des Menschen gefährden.
Schädliche Wirkung auf genetischer Ebene analysiert
Wie sich Sprengstofftypische Verbindungen (STV) im Meer überwachen lassen, hat Dr. Jennifer Strehse am Institut für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) untersucht. Die Forscherin entwickelte eine Analysemethode zum Nachweis von STV, die aus den korrodierenden Munitionskörpern austreten und dadurch in die marine Nahrungskette gelangen. Die Tatsache, dass STV ihre Schadwirkung durch oxidativen Stress entfalten, führte die Wissenschaftlerin dazu, deren toxischen Effekt auf genetischer Ebene zu untersuchen.
Strehse erarbeitete ein Biomonitoring-System, basierend auf der Erkenntnis, dass Miesmuscheln (Mytilus spp.) aktive Wasserfiltrierer sind und die Sprengstofftypischen Verbindungen in ihrem Gewebe anreichern. Durch die Analyse dieses Gewebes können über längere Zeiträume selbst sehr niedrige Konzentrationen im Meerwasser erfasst werden. Hierbei etablierte Strehse das Carbonyl-Reduktase-Gen in Muscheln als spezifischen Biomarker für eine STV-Kontamination. Da die Miesmuschel Teil der marinen Nahrungskette ist, kann durch die neue Methode auch eine toxikologische Risikobewertung für den Verzehr von Meeresfrüchten durchgeführt werden.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1782900/1782990/original.jpg)
Meeresfrüchte weltweit belastet
PET statt Perle: Mikroplastik in Muscheln
Apell gegen Sprengung von Altmunition im Meer
Mit ihren Arbeiten hat die Forscherin zum ersten Mal ein weltweit anerkanntes Biomonitoring-System für sprengstofftypische Verbindungen im Meerwasser entwickelt sowie den Grundstein für einen molekularen Biomarker als Basis eines Effektmonitorings legen. Dabei werden die Wirkungen bestimmt, die durch einen Fremdstoff im Körper auftreten können.
Aufgrund der Forschungsergebnisse rät Strehse dringend dazu, auf Sprengungen von Altmunition im Meer zu verzichten, weil sich dadurch die STV noch stärker in der Meeresumwelt verteilen und in größerem Ausmaß in die marine Nahrungskette gelangen. Ihre Arbeit auf dem Gebiet der Toxikologie ist auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT) mit dem „Young Scientist Merck Award 2021“ ausgezeichnet worden.
Originalpublikationen: Edmund Maser & Jennifer S. Strehse: “Don’t Blast”: blast-in-place (BiP) operations of dumped World War munitions in the oceans significantly increase hazards to the environment and the human seafood consumer,Archives of Toxicology volume 94, pages1941–1953(2020); DOI: 10.1007/s00204-020-02743-0
Jennifer S. Strehse, Matthias Brenner, Michael Kisiela & Edmund Maser: The explosive trinitrotoluene (TNT) induces gene expression of carbonyl reductase in the blue mussel (Mytilus spp.): a new promising biomarker for sea dumped war relicts?, Archives of Toxicology volume 94, pages4043–4054(2020); DOI: 10.1007/s00204-020-02931-y
* C. Beeck, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 24118 Kiel
(ID:47282724)