Neues Biomaterial unterstützt die Zellregeneration Nanofasern für die Wundheilung
Verletzte Nervenbahnen lassen sich nicht mit einem Pflaster behandeln. Stattdessen haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung eine Flüssigkeit entwickelt, die bioabbaubare Nanofasern enthält. Damit sollen getrennte Nerven leichter zusammenwachsen. Wie das funktionieren kann, erklärt der folgende Beitrag.
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Mainz – Das periphere Nervensystem sorgt für die Reizweiterleitung im Körper, außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Wenn die Nervenstränge geschädigt werden, z.B. durch einen Unfall, sind Taubheitsgefühl oder auch Muskellähmungen die Folge. Die Heilungschance hängt dabei sehr stark davon ab, ob die Nervenbahnen noch teilweise verbunden sind bzw. wie groß die Lücke zwischen zwei Nervenenden ist. Bei Lücken im Bereich von Millimetern bis Zentimetern ist heute eine Operation die Standard-Behandlungsmethode, die zumindest eine teilweise Regeneration verspricht. Bei dieser werden die getrennten Nervenenden wieder miteinander vernäht. So kommen die Nervenenden wieder nahe zusammen, damit der Körper die verbleibende kleine Lücke durch die Bildung von Zellen schließen kann.
Unter der Leitung von Dr. Christopher Synatschke vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung haben Wissenschaftler um Prof. Tanja Weil Flüssigkeiten entwickelt, die Nanofasern enthalten. Diese Fasern sind in Wasser gelöste Molekülstränge mit einer Dicke im Bereich von einigen milliardstel Metern. Sie dienen als Gerüst bzw. Haftgrund für Zellen und sind für den menschlichen Körper ungiftig. Eine solche Faser besteht aus Peptiden – kurzen Ketten von Aminosäuren, wie sie auch in menschlichen Proteinen vorkommen. Diese Ketten können ein zweidimensionales Gitter bzw. dreidimensionales Netzwerk bilden, an dem Zellen wie Nervenzellen oder auch Muskelzellen anhaften können. Solch ein peptidbasiertes Bionetzwerk unterstützt also die Regeneration der Nervenbahnen.
Die Flüssigkeit, an deren Entwicklung auch Forscher um Prof. Bernd Knöll vom Institut für Physiologische Chemie der Universität Ulm mitwirkten, kann durch Spritzen in Wunden eingebracht werden. Dort verbleibt sie für viele Wochen, bevor sie durch körpereigene Prozesse abgebaut wird.
Rankgitter für Nervenzellen
Ein peptidbasiertes Bionetzwerk herzustellen ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung: Aus der Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten von Molekülen gilt es, die Sequenzen zu finden, welche eine gute Biokompatibilität mit optimaler Zellanhaftung vereinen. Hierzu haben die Wissenschaftler zunächst eine Reihe von Nanofasern hergestellt und in Zellkulturen getestet, wobei sie die Peptidsequenz der Fasern systematisch veränderten. Mittels molekularer Analysen und einem computergestützten Algorithmus identifizierten die Forscher wiederkehrende Merkmale in der Molekülstruktur, die eine hohe Eignung für die Regeneration von Nervenzellen erwarten lassen. Die vielversprechenden Peptidsequenzen wurden anschließend in einer Reihe von Zelltests auf ihre Fähigkeit untersucht, neuronales Wachstum zu unterstützen.
„Unser Bionetzwerk kann man sich ähnlich wie ein Rankgitter für Tomatenpflanzen vorstellen“, vergleicht Synatschke. „Ohne Gitter können die Pflanzen nicht in die Höhe wachsen. Wir haben – übertragen auf Tomatenpflanzen – ein Gitter ausgewählt, an dem die Pflanze besonders gut haften kann. In einem miniaturisierten Maßstab hilft unser Material den Nervenzellen, die Kluft zwischen zwei Nervenenden zu überbrücken.“
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Mäuse-Experiment bestätigt Hypothese
Gesteigerte Aktivität von Nervenzellen kann Anzeichen für Alzheimer sein
Mäuse beim Wackeln mit den Schnurrhaaren beobachten
Um die Funktionsfähigkeit des besten Materials realitätsnah zu überprüfen, führten die Wissenschaftler Versuche mit Mäusen durch. In einem minimalen chirurgischen Eingriff durchtrennten sie einen Gesichtsnerv, der den für die Schnurrhaare zuständigen Muskel steuert. Einigen Mäusen injizierten sie danach die Nanofasern in den künstlich erzeugten Zwischenraum zwischen den Nervenenden. Über Videoaufnahmen beobachteten die Forscher die Mäuse dann mehrere Wochen. Dabei stellten sie fest, dass die Tiere mit der Injektion schneller und umfassender genasen als ihre nicht behandelten Artgenossen.
Langfristig wollen die Forscher eine alternative Methode entwickeln, die auch beim Menschen Nervenschädigungen mithilfe eines Bionetzwerk-Gerüsts in der Wunde behandeln kann. Die Wissenschaftler vermuten, dass körpereigene, wachstumsfördernde Proteine durch die hergestellten Peptid-Ketten länger in der Wunde verbleiben. In Zukunft wäre es daher denkbar, die Ketten so zu funktionalisieren, dass zusätzlich zu der Gerüststruktur auch zellwachstumsfördernde Moleküle mit in das Biomaterial eingebracht werden, um das Heilungspotenzial noch weiter zu erhöhen.
Originalpublikation: Schilling, C., Mack, T., Lickfett, S., Sieste, S., Ruggeri, F. S., Sneideris, T., Dutta, A., Bereau, T., Naraghi, R., Sinske, D., Knowles, T. P. J., Synatschke, C. V., Weil, T., Knöll, B.: Sequence‐Optimized Peptide Nanofibers as Growth Stimulators for Regeneration of Peripheral Neurons. Advanced functional materials (2019). DOI: 10.1002/adfm.201809112
* Dr. C. Schneider, Max-Planck-Institut für Polymerforschung, 55128 Mainz
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