635 Millionen Jahre alte Moleküle identifiziert Raubplankton als Wegbereiter der Evolution?
Vor über 600 Millionen Jahren war die Erde vollständig vereist. Doch schon in der Tauphase regte sich offenbar wieder Leben auf dem Schneeball Erde. Denn Forscher fanden nun Spuren organischen Lebens aus dieser Zeit. Und die frühzeitlichen Organismen könnten entscheidenden Einfluss auf die spätere Evolutionsgeschichte gehabt haben.
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Jena – Wer heute durch die flimmernde Hitze des Grand Canyon wandert, kann es sich kaum vorstellen: Vor rund 635 bis 720 Millionen Jahren waren die Gesteinsformationen noch tief unter Gletschereis verborgen. Vermutlich war in der heftigsten Vergletscherungsperiode der Erdgeschichte – man spricht vom Schneeball Erde – fast der gesamte Planet wiederholt vereist (s. Video unten). Welche Organismen diese bis zu 50 Millionen Jahre langen, ununterbrochenen Frostphasen überdauerten und wie sich das Leben danach weiterentwickelte, hat nun ein internationales Team unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena untersucht.
Spuren aus der Erdfrühzeit
Dass man heute noch überhaupt organische Spuren von urzeitlichen Organismen findet, ist erstaunlich. Denn gewöhnlich zersetzen sich die entsprechenden Substanzen in kürzester Zeit. Manche Fette sind aber unversehrt erhalten geblieben – selbst aus dem Präkambrium, das vor 541 Millionen Jahren endete. Das internationale Forscherteam hat aus fossilen Gesteinsproben nun einen solchen seltenen Fund gesichert: 635 Millionen Jahre alte Moleküle, die aus der Auftauphase der globalen Vereisung stammen. Die Wissenschaftler haben die Moleküle isoliert und die Struktur der Verbindung charakterisiert.
„Alle höheren Lebewesen, die Menschen eingeschlossen, produzieren Cholesterin, und auch Plankton und Bakterien erzeugen ähnlich charakteristische Fettmoleküle“, erklärt Dr. Lennart van Maldegem vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie, der maßgeblich an den Arbeiten beteiligt war. „Diese Fettmoleküle können im Gestein Millionen Jahre überdauern und uns Aufschluss darüber geben, welche Lebensformen vor langer Zeit im Ozean gediehen.“
Rätselhaftes Urzeit-Molekül identifiziert
Die jetzt entdeckten fossilen Fette waren jedoch nicht das, womit die Forscher gerechnet hatten. „Wir waren völlig verblüfft, denn diese Moleküle sahen anders aus als alles, was wir je zuvor gesehen hatten“, sagt Teamleiter Dr. Christian Hallmann. Mithilfe komplexer Trennverfahren erhielt das Team winzige Mengen der Moleküle. Die Struktur der Verbindung klärten Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, auf. „Noch nie wurde eine neue Struktur anhand einer derart geringen Menge eines so alten Moleküls entschlüsselt“, erklärt Dr. Klaus Wolkenstein, der am Göttinger Max-Planck-Institut und am geowissenschaftlichen Zentrum der Uni Göttingen forscht. Die Verbindung identifizierten die Forscher als 25,28-Bisnorgammaceran, oder abgekürzt BNG.
Der Ursprung der chemischen Verbindung blieb allerdings zunächst rätselhaft. „Wir forschten natürlich nach, ob diese neue Substanz noch irgendwo anders vorkommt“, sagt van Maldegem, der dafür Hunderte alter Gesteinsproben unterschiedlichster Herkunft untersuchte. Die Analysen hatten schließlich überraschenden Erfolg. Außer in den Gesteinen, die das Ende der weltweiten Vergletscherung miterlebten, kommt BNG besonders häufig in noch älteren Gesteinen des Grand Canyon vor. „Die Proben des Grand Canyon haben uns wirklich die Augen geöffnet“, sagt Hallmann. BNG stammt höchstwahrscheinlich von heterotrophem Plankton ab, also von Organismen, die ihre Energie nicht durch Photosynthese gewinnen, sondern sich von Pflanzen oder Fleisch ernähren. Diesen Schluss legen die Untersuchungen über wahrscheinliche BNG-Vorläufer-Moleküle sowie über die Anteile verschiedener Kohlenstoff-Isotope in den Molekülen aus den Gesteinen des Grand Canyon nahe, wie die Forscher berichten.
Räuberisches Plankton machte den Weg für Evolutionslinien frei
„Die BNG-haltigen Organismen waren demnach echte Räuber, die ihren Energiebedarf deckten, indem sie andere Algen und Bakterien jagten und verschlangen“, sagt van Maldegem. Solch räuberisches Plankton ist in den heutigen Weltmeeren keine Seltenheit. Doch die Entdeckung, dass es auch schon vor 635 Millionen Jahren, also unmittelbar nach der weltweiten Vergletscherung, so häufig vorkam, ist für die Wissenschaft ein bedeutender Fortschritt, betonen die Autoren der Studie.
„Parallel zum Auftreten des rätselhaften BNG-Moleküls beobachten wir weitreichende Veränderungen der Ökosysteme: Den Übergang von einer Welt, deren Meere praktisch ausschließlich von Bakterien bevölkert waren, zu einem stärker der heutigen Erde ähnelnden Ökosystem mit deutlich mehr Algen im Ozean“, ergänzt van Maldegem. Die Forscher gehen davon aus, dass das massive Auftreten von räuberischem Verhalten dazu beigetragen hat, die Ozeane von Bakterien zu säubern und so Raum für Algen und anderes Plankton zu schaffen. In der Folge schufen komplexere Nahrungsketten die Ernährungsgrundlage für größere, höher entwickelte Lebensformen. Daraus entstanden letztlich auch die Evolutionslinien, die Menschen und Tiere hervorbrachten. Das massenhafte Aufkommen von räuberischem Verhalten spielte also wahrscheinlich eine wesentliche Rolle im Wandel unseres Planeten und seiner Ökosysteme, bis zu dem Zustand, den wir heute kennen.
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Originalpublikation: Lennart M. van Maldegem, Pierre Sansjofre, Johan W. H. Weijers, Klaus Wolkenstein, Paul K. Strother, Lars Wörmer, Jens Hefter, Benjamin J. Nettersheim, Yosuke Hoshino, Stefan Schouten, Jaap S. Sinninghe Damsté, Nilamoni Nath, Christian Griesinger, Nikolay B. Kuznetsov, Marcel Elie, Marcus Elvert, Erik Tegelaar, Gerd Gleixner und Christian Hallmann: Bisnorgammacerane traces predatory pressure and the persistent rise of algal ecosystems after Snowball Earth. Nature Communications, 29 January 2019; DOI: 10.1038/s41467-019-08306-x
* S. Héjja, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, 07745 Jena
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