Chronomedizin Fettleibigkeit bringt Hormone aus dem Takt
Menschen sind Gewohnheitstiere: Aufstehen, Essen, Arbeiten, Sport treiben, Schlafen – vieles im Leben folgt einer Regelmäßigkeit. Tatsächlich haben Störungen unseres 24-Stunden-Rhythmus Auswirkungen auf den Stoffwechsel. Wie die Ernährung unseren Hormonhaushalt und damit auch die innere Uhr beeinflusst, haben nun Forscher unter Leitung des Helmholtz Zentrums München untersucht.
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München – Jede Zelle im menschlichen Körper wird von einer inneren Uhr angetrieben, die dem zirkadianen Rhythmus von 24 Stunden folgt. Sie verläuft synchron zum natürlichen Zyklus von Tag und Nacht, hauptsächlich gesteuert durch Sonnenlicht, aber auch durch soziale Gewohnheiten. In einem gesunden System produziert die Nebenniere jeden Morgen Glukokortikoid-Stresshormone. Die hohen Mengen an Glukokortikoid vor dem Aufwachen veranlassen den Körper, Fettsäuren und Zucker als Energiequellen zu nutzen. Dies erleichtert es uns, in den Tag zu starten.
Wird der körpereigene, zirkadiane Rhythmus gestört, z.B. durch Schichtarbeit oder Jetlag, kann dies auf lange Sicht schwerwiegende metabolische Dysregulationen wie Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes oder Fettlebererkrankungen nach sich ziehen. Gleiches droht auch bei Veränderungen des Glukokortikoid-Spiegels, z.B. durch das Cushing-Syndrom oder langfristige klinische Behandlung.
Ein Forscherteam unter Leitung von Prof. Henriette Uhlenhaut vom Helmholtz Zentrum München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) hat sich daher zum Ziel gesetzt, den Einfluss dieser Hormone auf unsere innere Uhr und ihre Rolle für die täglichen Stoffwechselzyklen zu verstehen.
Stoffwechselanalyse am Mausmodell
Um die metabolischen Funktionen der Glukokortikoide in der Leber zu untersuchen, charakterisierten die Forscher um Uhlenhaut die Aktivität des Glukokortikoid-Rezeptors. Alle vier Stunden, Tag und Nacht, analysierten sie die Leber von Mäusen. Die Mäuse wurden entweder mit normaler oder fettreicher Nahrung gefüttert. Mit Verfahren aus der Genomik, Proteomik und Bioinformatik machte sich das Team ein Bild davon, wann und wo der Glukokortikoid-Rezeptor seine metabolische Wirkung entfaltet.
Die Forscher analysierten die Auswirkungen der täglichen Schwankungen der Glukokortikoid-Freisetzung im 24-Stunden-Zyklus des Leberstoffwechsels. Sie veranschaulichten, wie Glukokortikoide den Stoffwechsel durch eine zeitabhängige Bindung an das Genom unterschiedlich regeln: Zum einen beim Fasten (wenn die Mäuse schlafen) und zum anderen bei der Nahrungsaufnahme (wenn sie aktiv sind).
Hormonwirkung im 24-Stunden-Takt
„Wenn wir verstehen, wie Glukokortikoide die 24-Stunden-Zyklen der Genaktivität in der Leber und damit den Zucker- und Fettspiegel im Blut kontrollieren, gewinnen wir neue Erkenntnisse für die ‚Chronomedizin‘ und die Entstehung von Stoffwechselerkrankungen“, sagt Studienleiterin Uhlenhaut. So zeigte sich in der Studie ein neuer Zusammenhang zwischen Lebensstil, Hormonen und Physiologie auf molekularer Ebene. „Dieser deutet darauf hin, dass adipöse Menschen unterschiedlich auf die tägliche Hormonausschüttung reagieren könnten.“ Auch die Wirkung von medizinischen Glukokortikoidpräparaten könnte bei diesen Patienten unterschiedlich sein. Daher stellen die Wechselwirkungen zwischen Hormonen und Ernährung die Grundlage für die Entwicklung künftiger Therapien dar.
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Die Studie zeigt außerdem, wie die Mehrheit der rhythmischen Genaktivität durch Glukokortikoide gesteuert wird. Bei Verlust dieser Kontrolle (bei so genannten Knockout-Mäusen) wirkt sich dies auf die Zucker- und Fettwerte im Blut aus. Damit erklären die Forscher, wie die Leber den Zucker- und Fettgehalt im Blut bei Tag und Nacht unterschiedlich steuert.
Da der Glukokortikoid-Rezeptor in der Immuntherapie häufig zum Einsatz kommt, untersuchte das Team in einem nächsten Schritt seine genomischen Auswirkungen nach der Injektion des Wirkstoffs Dexamethason, einem synthetischen Glukokortikoid, das auch diesen Rezeptor aktiviert. „Mit diesem Experiment fanden wir heraus, dass sich die Wirkstoffreaktion bei fettleibigen Mäusen von der bei schlanken Mäusen unterscheidet. Damit konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass die Ernährung die hormonellen und medikamentösen Reaktionen des Stoffwechsels verändern kann“, erklärt Dr. Fabiana Quagliarini aus dem Arbeitskreis von Uhlenhaut.
Originalpublikation: Quagliarini et al., 2019: Cistromic reprogramming of the diurnal glucocorticoid hormone response by high-fat diet, Molecuar Cell, DOI: 10.1016/j.molcel.2019.10.007
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