Meilenstein Labordiagnostik Labordiagnostik im Wandel: Die Hebel richtig ansetzen
Welche Chancen liegen in der Labordiagnostik von heute und morgen, welche Herausforderungen sind zu bewältigen? Im Interview spricht Dr. Thomas Schinecker über demografischen Wandel, gesundheitspolitische Rahmenbedingungen und wie sich steigender Komplexität im Sinne von Patient, Arzt, Labor und Gesundheitssystem begegnen lässt. Das Gespräch führte LP-Redakteurin Dr. Ilka Ottleben.
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LP: Die Labordiagnostik im Wandel der letzten 25 Jahre – was hat sich verändert?
Dr. Thomas Schinecker: Die Labordiagnostik war früher extrem manuell und damit fehleranfälliger. Zudem wäre die Breite an Diagnostikmöglichkeiten, die wir heute haben, ohne die gleichzeitige Weiterentwicklung des Automationsgrades für das System nicht bezahlbar gewesen. Mittlerweile sind die Analysensysteme so automatisiert, dass die Fehleranfälligkeit praktisch nicht existent und gleichzeitig eine Skalierbarkeit gegeben ist, die früher so nicht möglich gewesen wäre. Das System hat es geschafft, im Kostenrahmen letztlich mehr zu leisten.
LP: Aber die Entwicklung geht weiter ...
Dr. Schinecker: Beim Thema Automation haben wir das Ende sicherlich noch nicht erreicht. Darüber hinaus gibt es noch immer viele Krankheiten, für die es noch keine Diagnostikmöglichkeiten gibt. Wir bringen jedes Jahr über das Gesamtportfolio zahlreiche neue Parameter auf den Markt, um dieses Spektrum auszuweiten. Je früher ich den Krebs beispielsweise erkenne, desto besser ist er behandelbar.
LP: Wie weit ist die Automation in klinischen Laboren heute vorangeschritten?
Dr. Schinecker: In vielen Bereichen sind wir heute schon so weit, dass eine Probe im Labor eintrifft, nahezu ohne manuelle Schritte bearbeitet und analysiert wird und auf dieser Basis dann die Befunde erstellt werden. Dieser Trend wird sich noch weiter fortsetzen. Hier spielt natürlich auch die IT eine große Rolle. Das beinhaltet, wie die zunehmend großen Datenmengen gemanagt und transferiert werden und geht bis dahin, dass IT-basiert automatisierte Entscheidungshilfen für Ärzte generiert werden. Auf der anderen Seite gibt es aber immer wieder aufstrebende neue Technologien, wo dieser Automationsgrad noch nicht erreicht ist.
LP: Wie muss ich mir solche Entscheidungshilfen für Ärzte vorstellen? Stellt bald der Rechner die Diagnosen?
Dr. Schinecker: Wir werden einen hohen Automationsgrad sehen, aber letztendlich trifft immer der Arzt die Entscheidung. Man muss sich solche Entscheidungshilfen eher wie bei einem Navigationssystem im Auto vorstellen: Der Arzt bekommt im übertragenen Sinne einen Rat, in welche Richtung er fahren soll, aber die Entscheidung ob er nach links oder nach rechts fährt, liegt bei ihm und er trägt dafür die Verantwortung. Es gibt sicher Menschen, die hier noch Vorbehalte haben, aber wenn wir nicht in diese Richtung denken, werden wir der Welle an Anforderungen, die auf uns zukommt, nicht standhalten können.
LP: Inwiefern spielt der demografische Wandel hierbei ein Rolle?
Dr. Schinecker: Im Jahr 2020 sind 40% aller Deutschen älter als 60 Jahre. Diese Entwicklung wird auch dazu führen, dass die Breite des Portfolios und damit die Komplexität der Anforderungen und die Menge der erzeugten Daten weiter zunehmen werden. D.h. wir müssen es irgendwie schaffen, dies in den Laboren, teilweise mit den bestehenden Ressourcen, so gut wie möglich abzudecken. Dabei wird die Automation ein wichtiger Bestandteil sein und die Verfügbarkeit der richtigen Parameter. Ältere Menschen haben häufig mehrere Erkrankungen gleichzeitig. Hier kann aus medizinischer Sicht sicherlich noch viel zum Verständnis von deren Zusammenspiel beigetragen werden. Durch den drohenden, zum Teil auch demografisch bedingten, Ärztemangel in Deutschland werden zudem auch solche Fragen wichtiger werden, wie man Patienten möglichst gut dezentral – zuhause oder beim Hausarzt – medizinisch überwachen kann. Auch hier werden natürlich digitale Lösungen und die Vernetzung der Daten über Point-of-Care-Devices an Bedeutung zunehmen.
LP: Künftig werden zudem sicherlich auch neue Technologien in den Fokus rücken?
Dr. Schinecker: Natürlich, denken Sie z.B. an die Mikrochip-Technologie, über die Multiplexanalysen möglich sind. Es gibt andere interessante Technologien, die aufstrebend sind, ob es die Liquid Biopsy ist oder das Next Generation Sequencing z.B. für personalisierte Ansätze und zum Screening und Monitoring in der Onkologie. Natürlich arbeiten wir auch an Technologien, die vielleicht erst in 10 bis 15 Jahren in den Fokus rücken werden. Hier muss man als Organisation breit aufgestellt sein und auf der einen Seite an wirklich innovativen Dingen arbeiten – wir sind in der Diagnostik-Branche die Firma, die mit Abstand am meisten in F&E investiert. Auf der anderen Seite muss man immer offen sein für Kooperationen, Fusionen oder Übernahmen. Die Balance im Portfolio ist sehr wichtig und hier ist Roche aus meiner Sicht sehr gut aufgestellt.
LP: Was sich für Sie auszuzahlen scheint.
Dr. Schinecker: Unbedingt. Wir haben im Sommer die Marktzahlen für das erste Halbjahr veröffentlicht und erfreulicherweise wachsen wir sechs- bis siebenmal schneller als der Markt. Letztlich liegt das auch daran, dass wir nicht nur Produkte verkaufen, sondern Lösungen, die das Gesundheitssystem entlasten, indem sie einen medizinischen Mehrwert liefern und dadurch an anderen Stellen im Gesundheitssystem Kosten sparen. Und indem sie Prozessverbesserungen ermöglichen, die in den Laboren selbst noch einmal Kosten reduzieren. Leider resultiert der steigende Kostendruck im deutschen Gesundheitssystem auch in Bestrebungen, in der Labordiagnostik weiter Kosten einzusparen.
LP: LP: Was auch Limitationen schafft?
Dr. Schinecker: Es ist für mich nicht verständlich, warum man in Deutschland bei neuen, innovativen Technologien mit medizinischem wie wirtschaftlichem Mehrwert 10, 12, 13 Jahre warten muss, bis diese Technologien wirklich in die Regelversorgung kommen. Und gleichzeitig versucht man genau dort Geld einzusparen, wo man einen Hebel hätte, auf ganz anderem Niveau Kosten zu senken. Hier sollte man dazu übergehen, langfristiger zu denken. Wenn ich mehr in die Früherkennung von Krankheiten investiere, werden manche Erkrankungen gar nicht zustande kommen, die ansonsten kostenintensiv therapiert werden müssen. Wenn man gute Diagnosen stellt, hat man bessere Möglichkeiten zielgerichteter zu therapieren, hat weniger Kosten durch Übertherapien oder falsche Therapien. Das Thema HPV in der Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge oder die Präeklampsie sind aktuelle Beispiele. Hier gibt es große Chancen, bei denen die Diagnostik natürlich eine große Rolle spielen wird. Derzeit hat man in Deutschland im europäischen Vergleich allerdings die mit Abstand niedrigste Vergütung. Es gibt schon heute Parameter, bei denen die Labore nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Bleibt diese Situation bestehen, wird sie letztlich dazu führen, dass die Qualität sinkt und z.B. falsche Therapien eingeleitet werden, die dem System enorme Kosten verursachen.
LP: Wo sehen Sie die Labordiagnostik, sagen wir in 30 Jahren?
Dr. Schinecker: Ich denke, dass in 30 Jahren viel mehr Monitoring stattfinden wird, von teilweise wahrscheinlich auch gesunden Menschen. Möglicherweise werden die Patienten über Point-of-Care-Devices oder andere Sensoren kontinuierlich überwacht, die Daten entsprechend übermittelt, sodass Ärzte eingreifen können, bevor eine Erkrankung weiter fortschreitet. Wenn man die Erkrankung frühzeitig erkennt, kann man häufig schnelle, unkomplizierte und kostengünstige Lösungen finden und aus meiner Sicht sollte das in 30 Jahren auch möglich sein.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Dr. Schinecker.
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