Einzigartiges Klimalabor im NOI-Techpark Bozen Höhenforschung im Technologie-Tal
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Ideenfabrik der Zukunft: Im NOI-Techpark im italienischen Bozen arbeiten Unternehmen, Forschungseinrichtungen und die Universität gemeinsam an Lösungen für die Zukunft. Ein Highlight ist das Terra X Cube: Ein Klimalabor, das die Extremklimabedingungen unserer Erde nachstellt, um die Auswirkungen auf den Menschen, die Natur und technische Produkte zu erforschen.

Im Norden Italiens liegt ein einzigartiger Nährboden für eine neue Forschungslandschaft. Hier werden in einem neuen Innovationsviertel private Firmen, Forschungseinrichtungen und die Universität vernetzt, um neue Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Von der Verbesserung der Energieeffizienz, besserem Wohnen bis hin zu nachhaltigen Lebensmitteln und Automatisierung von Alltagsprozessen – an all dem arbeiten hier tagtäglich rund 1.100 Forscher, Wirtschaftler, Startup-Unternehmen, Studierende, Experten und weitere kluge Köpfe.
Die Rede ist vom NOI-Techpark im italienischen Bozen, der 2017 seine Tore geöffnet hat. Er bildet mit den Technologiefeldern Green, Food und Digital Technologies sowie Automotive & Automation Südtirols Schlüsselbranchen ab. NOI steht hierbei als Akronym für „Nature of Innovation“, noi bedeutet auf italienisch jedoch auch „wir“ und klingt ausgesprochen wie das deutsche Wort „neu“. Diese Mehrdeutigkeit ist gewollt, vereinen alle Bedeutungen doch, wofür der NOI-Techpark steht: Er ist als Innovationsviertel konzipiert und unterstützt technologieorientierte, möglichst innovative Unternehmen in ihren Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Forschung und Unternehmen arbeiten hier eng zusammen und sind Teil eines in Südtirol engmaschig geknüpften Netzwerkes, das gleichzeitig weit über die Landesgrenzen hinausreicht und neue Ideen und Projekte auf den Weg bringen soll.
Zurzeit arbeiten rund 90 Unternehmen hier, ebenso die Freie Universität Bozen sowie die wichtigsten Südtiroler Forschungseinrichtungen: Eurac Research, Fraunhofer Italia, das Versuchszentrum Laimburg und die Agentur für Energie Südtirol – Klimahaus. Rund 50 unterschiedliche Labore stehen ihnen dafür zur Verfügung, weitere Bauten sind bereits in Arbeit. So entstehen aktuell die Erweiterungsmodule D2 und D3, die sich den Lebensmitteltechnologien (Food & Health) und den grünen Technologien (Green) widmen und wie die übrigen Labore im Techpark von Waldner Laboreinrichtungen ausgestattet werden.
Der Klima-Kubus
Eines der Labore im NOI-Techpark ist das Zentrum für Extremklima-Simulation von Eurac Research, das Terra X Cube. In seinen Klimakammern werden die extremen Klimabedingungen unserer Erde künstlich nachgestellt – so können deren Auswirkung auf den Menschen, auf ökologische Prozesse und technische Produkte untersucht werden. Temperaturen von -40 bis 60 Grad Celsius, Licht von bis zu 1.000 Lux wie in einem TV-Studio – auch bei Nacht, 60 Millimeter Regen pro Stunde – auch bei Trockenheit, 50 Millimeter pro Stunde Schneefall – auch im Sommer. Der Extremklimasimulator Terra X Cube ist fest am Boden des NOI-Techparks verankert und kann doch bis auf 9.000 Meter über dem Meeresspiegel „ansteigen“ – zumindest klimatisch: Luftdruck und Sauerstoffkonzentration simulieren naturgetreu Bedingungen, die auf den höchsten Gipfeln dieser Erde vorherrschen. Der Extremklima-Simulator bietet damit weltweit die Bedingungen für medizinische, ökologische und industrielle Tests.
Aufgebaut ist das außergewöhnliche Klimalabor als eine große Kammer, dem Large Cube, und vier kleinen Kammern, den Small Cubes. „Während die vier kleinen Kammern vorwiegend alpine Wetterverhältnisse reproduzieren, kann die große Kammer Klimabedingungen bis auf den Gipfel des Mount Everest simulieren“, erläutert Christian Steurer, Leiter des Forschungszentrums. Für die Höhen und alpine Notfallmedizin sei dies ein qualitativer Quantensprung, meint Hermann Brugger, Eurac-Research-Höhenmediziner und einer der Väter dieses weltweit einzigartigen Projekts. Denn bislang konnten Wissenschaftler Untersuchungen in dieser Höhe nur in freiem, schwer zugänglichem Gelände und somit unter nicht kontrollierten Bedingungen vornehmen. „Was in der höhenmedizinischen Forschung noch fehlt, ist die Reproduzierbarkeit, also die Wiederholung eines Tests unter gleichen Bedingungen“, berichtet Brugger.
Forschung in 9.000 Metern – ohne Aufstieg
Dies ist im Terra X Cube nun möglich: Bis zu zwölf Testpersonen können sich gemeinsam mit drei Wissenschaftlern über einen Zeitraum von bis zu 45 Tagen im Large Cube aufhalten. Die Testbedingungen lassen sich beliebig oft deckungsgleich wiederholen. Verlassen können die Teilnehmer während der Testzeit den Raum über eine Druckluftschleuse, ohne den Testverlauf zu stören. Die sanitären Anlagen können auch auf 9.000 Meter benutzt werden. Bei Bedarf kann in dieser Schleuse auch ein schneller Druckabfall simuliert werden, wie er bei Flugrettungseinsätzen im Hochgebirge vorkommt. Ein medizinisches Überwachungssystem kontrolliert kontinuierlich Herzaktivität, Sauerstoffsättigung, Blutdruck und Körpertemperatur der Testpersonen und stellt deren körperliche Unversehrtheit sicher. Brugger und seine Forscherkollegen aus aller Welt erwarten sich von den Arbeiten im Klimalabor einen Durchbruch in der Erforschung von Hypoxie (Sauerstoffmangel) und dessen Auswirkungen auf den menschlichen Organismus.
„Die Möglichkeit, den Luftdruck zu verändern, macht den Terra X Cube weltweit einzigartig und eröffnet nicht nur der alpinen Notfallmedizin neue Perspektiven“, sagt der Biologe Georg Niedrist, der mit seinen Kollegen von Eurac Research im Terra X Cube die Funktion von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen des alpinen Raums unter veränderten Klimabedingungen erforschen wird. „Auch wir hoffen darauf, Antworten auf bisher ungeklärte Fragestellungen zu bekommen. Etwa, wie reagieren alpine Organismen auf Druckveränderungen? Bis in welche Höhenlagen können Arten vordringen, wenn sie aufgrund des Klimawandels Flucht nach oben ergreifen? Wie schnell können sie sich an die geringeren Sauerstoffverhältnisse anpassen? Wenn überhaupt?“ Der Terra X Cube kann auch von Unternehmen aus dem In- und Ausland genutzt werden, die ihre Produkte, technischen Geräte und Maschinen unter Extrembedingungen testen möchten. Das Zentrum für Extremklima-Simulation unterstützt die Unternehmen bei der Produktentwicklung und -erprobung, von der Technologieentwicklung über die frühe Testphase, das Upscaling, das Prototyping, die Validierung bis hin zur Demonstration.
Um den Nutzen der Forschungsprojekte im Extremklimalabor zu veranschaulichen, werfen wir einen Blick auf konkrete Projekte im Terra X Cube. Eine Studie beschäftigte sich etwa mit medizinisch-biologischen Aspekten der Höhenakklimatisierung.
Höhenakklimatisierung im Labor
Die wichtigste Herausforderung, der sich der Mensch in großer Höhe gegenübersieht, ist die verminderte Sauerstoffverfügbarkeit (Hypoxie), die zu schlechterer körperlicher und kognitiver Leistungsfähigkeit führt. Wenn eine solche hypoxische Exposition über Tage anhält, passt sich der Körper den neuen Bedingungen an. Er verringert das Plasma-Volumen (PV) im Blut und erhöht so die arterielle Hämoglobin-Konzentration, was wiederum die arterielle Sauerstoffkonzentration normalisiert. Bislang war die Lehrmeinung, dass dieser Mechanismus der Plasmavolumenreduktion über die Niere gesteuert wird und in direktem Zusammenhang mit der so genannten Höhendiurese steht, einer als typisch für die Höhe angenommenen vermehrten Harnausscheidung. Diese These wurde in Experimenten im Terra X Cube überprüft.
Dort hatten die Forscher genaue Kontrolle der experimentellen Bedingungen. Zwölf gesunde Tieflandbewohner wurden in dem Klimalabor auf 3.500 Meter künstliche Höhe gebracht. Täglich wurden Blutproben entnommen und die Aktivität (anti-)diuretischer Hormone sowie die zirkulierenden Konzentrationen von Elektrolyten und Proteinen gemessen. Im von Waldner eingerichteten Alpine Medicine Labor wurden eine Blutgas- und Viskositätsanalyse durchgeführt und die Proben zur Protein-, Hormon- und Elektrolytenbestimmung in Blut und Urin für die Analysen im Zentrallabor in Bozen aufbereitet. Das Ergebnis: Bei keinem Probanden stellten die Forscher eine Höhendiurese fest. Wie sich zeigte, wurde die Plasmareduktion im Blut nicht über die Niere gesteuert, sondern von Proteinen, die sich im Blut befinden [1-2].
Alpine Pflanzenwelt im Klimawandel
Auch die Naturforschung profitiert vom Extremklima-Labor in Bozen. Terra X Cube ermöglicht es, komplexe Ökosysteme unter authentischen Bedingungen zu konstruieren und diese simulierten Systeme im Zeitraffer Umweltbedingungen auszusetzen. Ein erstes, noch nicht publiziertes hydrologisches Experiment hat beispielsweise die Reaktion der Vegetation auf Veränderungen des Wasserhaushalts erfasst. Ob nun Experimente mit Pflanzen, medizinische Studien oder Materialforschung: Das Klimalabor im NOI-Techpark bietet mit seinen kontrollierbaren Bedingungen den idealen Ort, neue Erkenntnisse zu Phänomenen in extremen klimatischen Umgebungen zu finden. All das ohne aufwändige Forschungsexkursionen, sondern inmitten der norditalienischen Stadt Bozen, dem „Tor zu den Dolomiten“.
Literatur
[1] M. Schlitter et al.: Regulation of plasma volume in male lowlanders during 4 days of exposure to hypobaric hypoxia equivalent to 3500 m altitude, J Physiol 0.0 (2020) pp 1–14, DOI: 10.1113/JP280601
[2] J. Roche et al.: Hypoxia briefly increases diuresis but reduces plasma volume by fluid redistribution in women, Am J Physiol Heart Circ Physiol 323: H1068–H1079, 2022; DOI:10.1152/ajpheart.00394.2022
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