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Klimawandel Soforthilfe fürs Klima – warum CO2-Reduktion nicht die Lösung ist

Von Brigitte Stahl-Busse*

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Wie bremsen wir den Klimawandel? CO2-Emissionen reduzieren ist ein wichtiger Baustein, doch wirken sich Erfolge hierbei erst viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte verzögert aus. Schnellere Hilfe bieten kurzlebige klimawirksame Schadstoffe wie Methan, Ruß und Ozon. Diese haben Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich im Blick. Wie mächtig sind diese Klimastoffe wirklich?

Der Treibhauseffekt wird durch menschengemachte Emissionen verstärkt und beschleunigt so die Erderwärmung. Hier sind Klimaschutzmaßnahmen gefragt, die nicht erst in hunderten Jahren wirken.
Der Treibhauseffekt wird durch menschengemachte Emissionen verstärkt und beschleunigt so die Erderwärmung. Hier sind Klimaschutzmaßnahmen gefragt, die nicht erst in hunderten Jahren wirken.
(Bild: Siberian Art - stock.adobe.com)

Im August 2021 veröffentlichte der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) den ersten Teil seines neuen Sachstandsberichts. Das Fazit ist eindeutig: Der Klimawandel schreitet rasch voran. Und jede Region der Erde ist schon jetzt davon betroffen. Ohne sofortige und umfassende Gegenmaßnahmen wird sich unsere Atmosphäre wahrscheinlich in den kommenden 20 Jahren auf 1,5 °C über vorindustrieller Temperatur erwärmen. Die Folgen von aktuell plus 1,1 °C zeigen sich schon jetzt in Wetterextremen wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen.

Oberstes Gebot ist daher eine rasche CO2-Neutralität. Denn mit der seit vorindustrieller Zeit emittierten Menge von CO2 in unsere Atmosphäre steigen die Temperaturen kontinuierlich an. CO2ist ein sehr langlebiger Stoff. Jede Gigatonne, die wir heute in die Luft entlassen, wird über Hunderte von Jahren in der Atmosphäre verweilen und dem Klima entsprechend lange einheizen.

Aber es gibt noch andere Stellschrauben, um die Fieberkurve der Erde zusätzlich – und vor allem schneller – abzuflachen: das Einsparen kurzlebiger, klimawirksamer Stoffe. Sie bleiben nur wenige Stunden bis maximal rund zehn Jahre in der Atmosphäre. Dazu zählen Methan, Ozon, Kohlenwasserstoffe, Aerosole, halogenierte Verbindungen und Ruß. In der Summe tragen diese Stoffe in gleicher Größenordnung zur Erderwärmung bei wie CO2. Durch ihre umfassende Reduktion ließe sich zügig weitere Erwärmung vermeiden, nämlich um 0,8 °C bis zum Ende des Jahrhunderts, so das Fazit des IPCC im Sachstandsbericht.

Kurzlebige klimawirksame Stoffe einsparen

Maßnahmen zum Einsparen von kurzlebigen klimawirksamen Stoffen sind bereits heute verfügbar:

  • Partikelfilter,
  • konsequenter Umstieg auf moderne Wärmetechnik und erneuerbare Energien,
  • Dämmen von Gebäuden,
  • Reparatur von Gaslecks,
  • Sparen von Strom,
  • reduzierter Fleisch- und Milchkonsum und
  • Nutzen von öffentlichen und alternativen Verkehrsmitteln.
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Um das Ziel von 1,5 °C einzuhalten, müssten mit der flächendeckenden Umsetzung der Maßnahmen bis 2030 rund 40 Prozent weniger Methan und 70 Prozent weniger Ruß ausgestoßen werden im Vergleich zu 2010 und halogenierte Kohlenwasserstoffe müssten bis 2050 um 90 Prozent reduziert werden.

Viele kurzlebige klimawirksame Stoffe beeinträchtigen massiv die Luftqualität und damit die Gesundheit von Mensch und Natur. Sie verursachen unter anderem Herz-Kreislauf-Krankheiten, Asthma oder Lungenkrebs und werden in Zusammenhang mit Schlaganfällen und Demenzerkrankungen gebracht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass durch Luftverschmutzung pro Jahr sieben Millionen Menschen vorzeitig versterben. Zudem schädigt beispielsweise Ozon Pflanzen auf vielfältige Weise und verursacht jährliche Ernteverluste in Höhe von 50 Millionen Tonnen.

<b><big>Methan (CH<sub>4</sub>)</big></b><br> <b>Lebensdauer:</b> acht bis zwölf Jahre<br> <b>Quellen:</b> Nutzung von fossilen Energieträgern, lecks in Gaspipelines, Mülldeponien, Tierhaltung (vor allem Rinder), Reisfelder, Sümpfe, tauender Permafrostboden<br> <b>Effekt:</b> absorboiert Strahlungsenergie, die somit nicht in den Weltraum entweicht, sondern die Erdatmosphäre aufheizt, 25-fach stärkere Klimawirkung als CO<sub>2</sub>, trägt zur Bildung des bodennahen Ozons bei, reduktion um 45 Prozent bedeutet 0,3 °C weniger Erwärmung bis 2045
Methan (CH4)
Lebensdauer: acht bis zwölf Jahre
Quellen: Nutzung von fossilen Energieträgern, lecks in Gaspipelines, Mülldeponien, Tierhaltung (vor allem Rinder), Reisfelder, Sümpfe, tauender Permafrostboden
Effekt: absorboiert Strahlungsenergie, die somit nicht in den Weltraum entweicht, sondern die Erdatmosphäre aufheizt, 25-fach stärkere Klimawirkung als CO2, trägt zur Bildung des bodennahen Ozons bei, reduktion um 45 Prozent bedeutet 0,3 °C weniger Erwärmung bis 2045
(Bild: Honglouwawa)

Jülicher Forscher haben wichtige Informationen zu dem IPCC-Bericht beigesteuert: Daten, die sie in umfangreichen Messkampagnen sammelten. Bislang unbekannte Reaktionswege, die sie durch aufwendige Berechnungen entdeckten. Neue und verbesserte globale Klimamodelle, in die ihre Erkenntnisse über die komplexe Welt der Atmosphärenchemie einflossen. Gerade diese Komplexität macht es aber schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Denn über verschiedene Reaktionen und Prozesse in der Atmosphäre hängen viele Stoffe voneinander ab und beeinflussen sich gegenseitig. Drei Beispiele aus der Klimaforschung zeigen, was es alles zu beachten gilt.

1. Stellschraube: Ozon

In der Atmosphäre gilt der Leitspruch des 2012er Blockbusters Cloud Atlas: „Alles ist verbunden“. „Ein guter Beleg dafür, wie stark sich einzelne Stoffe und Prozesse gegenseitig beeinflussen ist Ozon, das nach CO2 und Methan wichtigste anthropogene Treibhausgas“, sagt Prof. Andreas Petzold vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-8). Das fängt mit der Entstehung an: Das Spurengas wird nicht direkt emittiert, sondern entsteht in den unteren Regionen der Atmosphäre durch den photochemischen Abbau von Kohlenwasserstoffen, die aus dem Straßenverkehr, aber auch aus der Industrie und von Pflanzen stammen.

<b><big>Bodennahes Ozon (O<sub>3</sub>)</big></b><br> flüssige oder feste Schwebstoffe<br> <b>Lebensdauer:</b> Stunden bis mehrere Wochen<br> <b>Quellen:</b>entsteht durch UV-Licht aus Vorläufersubstanzen wie Kohlenwasserstoffen – eta Methan – und Stickoxiden, z. B. aus dem Transportwesen, fossilen Kraftwerken, Heizungen, Raffinerien und anderen Industrien<br> <b>Effekt:</b> absorbiert Strahlungsenergie, die somit nicht in den Weltraum entweicht, sondern die Erdatmosphäre aufheizt, schädigt die Gesundheit aller Lebewesen und führt zu Ernteeinbußen
Bodennahes Ozon (O3)
flüssige oder feste Schwebstoffe
Lebensdauer: Stunden bis mehrere Wochen
Quellen:entsteht durch UV-Licht aus Vorläufersubstanzen wie Kohlenwasserstoffen – eta Methan – und Stickoxiden, z. B. aus dem Transportwesen, fossilen Kraftwerken, Heizungen, Raffinerien und anderen Industrien
Effekt: absorbiert Strahlungsenergie, die somit nicht in den Weltraum entweicht, sondern die Erdatmosphäre aufheizt, schädigt die Gesundheit aller Lebewesen und führt zu Ernteeinbußen
(Bild: Honglouwawa)

Petzold und sein Team sammeln seit Jahrzehnten Daten zu vielen verschiedenen Stoffen in der Atmosphäre. Er koordiniert das europäische Projekt Iagos – kurz für „In-service Aircraft for a Global Observing System“. Die Geräte der beteiligten Einrichtungen reisen seit fast 30 Jahren mit kommerziellen Linienflugzeugen rund um die Welt. Während des Fluges messen sie kurzlebige Treibhausgase wie Ozon, Wasserdampf und Methan, Spurengase wie Kohlenmonoxid und Stickoxide sowie Feinstaub, Eis und Wolkenteilchen, aber auch das langlebige Kohlendioxid.

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„Durch diese langjährigen Messreihen können wir langfristige Trends von kurzfristigen Schwankungen unterscheiden und Zusammenhänge im komplexen Klimageschehen verstehen“, sagt der Jülicher Forscher. Die Daten zeigen zum Beispiel, dass sich die jahreszeitlichen Spitzenwerte beim Ozon in der unteren Atmosphäre verschieben. „Sie treten immer früher im Jahr auf“, erläutert Petzold. Diesen Trend schreiben die Forscher dem Klimawandel zu: „Es wird früher im Jahr wärmer und es gibt mehr Sonnenstunden“, erklärt er. „Beides begünstigt die Ozonbildung: Die höhere Temperatur kurbelt alle Prozesse der Ozonbildung an, das UV-Licht liefert die Energie dafür.“

Das Lockdown-Paradoxon: Weniger Verkehr und trotzdem mehr Ozon

Ein weiterer wichtiger Zusammenhang zeigte sich während des Lockdowns in der Coronapandemie. Ausgerechnet in den Monaten März, April und Mai 2020, in denen wirtschaftlicher Stillstand und damit der Verkehrsrückgang auf den Straßen besonders stark war, kam es zu einem Anstieg der bodennahen Ozonwerte: nachts um bis zu 41 Prozent und tagsüber um bis zu 19 Prozent. „Durch den Lockdown gab es zwar weniger Verkehrsabgase als Quelle für Ozon, doch gleichzeitig fehlte dem Ozon wohl ein anderer Stoff aus den Abgasen als Reaktionspartner: das Stickstoffmonoxid. Dadurch wurde weniger Ozon abgebaut und unter dem Strich stieg die Ozonkonzentration in den Ballungsgebieten leicht an“, analysiert Petzold.

Dies sei ein wichtiger Hinweis darauf, dass kurzlebige Klimaschadstoffe sehr schnell auf Veränderungen reagieren, aber zugleich nur als Teile eines Gesamtsystems betrachtet werden können, ergänzt der Forscher. Und es bedeutet, dass infolge einer Verkehrswende erst einmal die Ozonwerte in den Städten steigen könnten. „Werden aber parallel die anderen starken Klimatreiber wie Methan und die Kohlenwasserstoffe reduziert, setzt nach rund 20 Jahren die Trendwende ein. Bis 2100 könnte so insgesamt 0,8 Grad Erderwärmung vermieden werden. Das zeigen die Berechnungen des IPCC“, sagt Petzold.

2. Stellschraube: Aerosole – nicht nur bei Corona relevant

Noch komplexer wird es bei Aerosolen, einer weitverzweigten Familie von kurzlebigen klimawirksamen Stoffen. Sie sind ein Gemisch aus winzigen festen oder flüssigen Schwebeteilchen und seit der Coronapandemie zumindest im virologischen Sinn vielen Menschen ein Begriff. Im Klima-Kontext stammen Aerosole nicht vom Husten und Niesen, sondern von Emissionen aus dem Verbrennen von Biomasse, aus Abgasen, von Wüstenstaub oder der Meeresgischt. Sie können sich darüber hinaus durch chemische Reaktionen aus Stoffen bilden, die von Pflanzen in die Atmosphäre abgegeben werden.

<b><big>Aerosole</big></b><br> flüssige oder feste Schwebstoffe<br> <b>Lebensdauer:</b> Minuten bis Wochen<br> <b>Quellen:</b> Pflanzen, Verkehr, Energieversorgung, synthetische Duftstoffe, VUlkanausbrüche, Wüstenstaub, Seegischt<br> <b>Effekt:</b> reflektieren oder absorbieren je nach Beschaffenheit Sonnenstrahlen, wirken kühlend oder wärmend, können als Wolkenkeime dienen.
Aerosole
flüssige oder feste Schwebstoffe
Lebensdauer: Minuten bis Wochen
Quellen: Pflanzen, Verkehr, Energieversorgung, synthetische Duftstoffe, VUlkanausbrüche, Wüstenstaub, Seegischt
Effekt: reflektieren oder absorbieren je nach Beschaffenheit Sonnenstrahlen, wirken kühlend oder wärmend, können als Wolkenkeime dienen.
(Bild: Honglouwawa)

„Generell gehen wir davon aus, dass Aerosole das Klima überwiegend kühlen, aber in der Klimaforschung sind Aerosole nach wie vor die großen Unbekannten“, sagt Dr. Alexandra Tsimpidi vom IEK-8. „Aufgrund der komplexen Zusammenhänge sind noch viele Fragen offen, etwa ob die Teilchen je nach Zusammensetzung die Sonnenstrahlung reflektieren oder absorbieren, ob sie wärmend oder kühlend wirken und inwieweit sie an der Wolkenbildung beteiligt sind.“ Tsimpidi hat es sich mit ihrem Team zur Aufgabe gemacht, organische Aerosole für die Klimaforschung berechenbarer zu machen.

Tests in nachgestellter Atmosphäre

Aerosole in Klimamodellen zu berücksichtigen ist ein anspruchsvolles Ziel, wie etwa der Blick auf die Eigenschaften zeigt, die entscheiden, wie die Aerosole wirken: „Das fängt bei ihrem physikalischen Zustand an – flüssig oder fest – und reicht über die chemische Zusammensetzung bis hin zur Eigenschaft, Wasser liebend oder Wasser abstoßend zu sein“, zählt Tsimpidi auf. Und die Wissenschaftler müssen beachten, dass Aerosole Lebenszyklen durchlaufen. „Sie werden oxidiert, lagern sich zusammen, brechen auseinander, nehmen auf ihrer Reise weitere Stoffe auf, reagieren mit ihnen, und verlieren andere. All das berücksichtigen bisherige Klimamodelle nur unzureichend“, sagt die Forscherin.

Den Jülicher Wissenschaftlern ist es aber gelungen, die grundlegenden Prozesse aufzudecken, die bestimmen, wie Aerosole entstehen und wachsen. Dazu führen sie Experimente in der Jülicher Atmosphärenkammer Saphir durch. Im riesigen Volumen der Kammer lassen sich verschiedenste Luftgemische nahezu natürlich nachbilden, von sauberer Waldluft bis zu stark belasteter Stadtluft. In diesen Szenarien analysieren Forscher dann, wie und aus welchen Vorläufern sich Aerosole bilden, wie sie altern, mit welchen weiteren Stoffen sie reagieren und ob sie als Wolkenkeime taugen. „Diese und weitere Erkenntnisse haben wir auf unsere globalen Modelle übertragen und können nun berechnen, wie sich Luftverschmutzung und natürliche Schwebstoffe auf die Luftqualität und das Klima auswirken. In anschließenden Simulationsrechnungen können wir dann Prognosen für verschiedene Zukunftsszenarien ableiten“, sagt Tsimpidi.

3. Stellschraube: OH-Radikale – Waschmittel der Atmosphäre

Zu beachten sind aber nicht nur die Klimaschadstoffe, sondern auch Stoffe, die für deren chemischen Abbau sorgen. Ein bedeutender Stoff in der Atmosphärenchemie ist das OH-Radikal, auch bekannt als das „Waschmittel“ der Atmosphäre. Es hat die Fähigkeit, mit nahezu allen atmosphärischen Spuren- und Schadgasen zu reagieren. Je nach Stickoxidbelastung erzeugt oder zerstört es Ozonmoleküle, es zerlegt Verkehrsemissionen ebenso wie Methan, den Spitzenreiter unter den klimawirksamen Stoffen. „Um verlässliche Prognosen zu den kurzlebigen Klimaschadstoffen zu machen, kommt man daher am OH-Radikal nicht vorbei“, sagt Prof. Hendrik Fuchs vom IEK-8.

Auch hier gibt es immer wieder neue Einsichten über komplexe Zusammenhänge, die es dann in den Modellen zu berücksichtigen gilt. So ist es Jülicher Forschern gelungen, Unstimmigkeiten zwischen Messergebnissen und Modellberechnungen aufzuklären und aufgrund ihrer Erkenntnisse die Vorhersagen globaler Modelle zu verbessern. Mit dem neuen Ansatz lassen sich nun die OH-Werte – und somit die Reinigungskapazität der Atmosphäre – konkreter berechnen.

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Angepasste Klimamodelle

Gefunden wurden die großen Unterschiede bei Kampagnen der Jülicher Forscher zusammen mit Kollegen der Peking-Universität in China. Die gemessenen OH-Werte waren bis zu fünfmal höher als die Modellvorhersagen. Daraufhin haben die Wissenschaftler ihre Modelle noch einmal überprüft und über möglicherweise fehlende Reaktionen nachgedacht.

Die Kombination aus Experimenten in der Jülicher Atmosphärenkammer Saphir und umfangreichen chemischen Berechnungen lüftete dann das Geheimnis der zusätzlichen OH-Radikale: „Isopren ist der Grund“, sagt Atmosphärenforscher Fuchs und meint damit den bedeutendsten Kohlenwasserstoff, der von Pflanzen in die Atmosphäre abgegeben wird. „Wenn andere Reaktionspartner nicht vorhanden sind – wie zum Beispiel Stickoxide aus dem Verkehr –, reagiert das OH-Radikal mit Isopren in einer zuvor nicht bekannten Kaskade von Reaktionen, an deren Ende erheblich mehr OH entsteht, als man dachte“, erklärt er. Sein Kollege Dr. Domenico Taraborrelli hat diese Erkenntnisse in das neue globale Modell für die Atmosphärenchemie gepackt, sodass Messwerte und Modellberechnungen nun übereinstimmen.

Das neue Modell wurde verwendet, um zum Beispiel Daten von Messflügen mit dem Zeppelin NT über Europa auszuwerten. Dabei zeigte sich, dass es in bewaldeten Regionen erheblich mehr OH-Radikale gibt, als bisherige Modelle vorhergesagt hatten.

Wald und Hitze

Einen Punkt, den Forscher in ihren Modellen ebenfalls berücksichtigen müssen, sind die Folgen des Klimawandels. Denn auch die wirken sich auf Stoffe und Atmosphärenchemie aus. Dr. Thorsten Hohaus vom IEK-8 untersucht das am Beispiel von Wäldern. „Bei Dürre- oder Hitzeperioden, wie wir sie 2018 und 2019 in Europa hatten, geraten Bäume unter Stress. Das bedeutet, die Emissionen von Wäldern ändern sich und das wiederum beeinflusst Prozesse mit den wichtigen Stoffen wie das OH-Radikal und Aerosole“, sagt der Jülicher Forscher. Er und seine Kollegen am IEK-8 untersuchen dazu Kiefern in einem klimatisierten Container, der an die Atmosphärenkammer Saphir angeschlossen ist.

Ziel ist es, die Auswirkung auf die Aerosolbildung und -zusammensetzung aufgrund von typischen Stressbedingungen besser zu verstehen. So wollen die Wissenschaftler herausfinden, welche möglichen Feedbackmechanismen sich daraus auf die Interaktion von Vegetation und Klima ergeben können.

Fazit: Wie viel Grad lassen sich einsparen?

Ob nun Ozonschwankungen in der Bodennähe, die wahre Einfluss von Aerosolen auf das Klima oder der reinigende Effekt von OH-Radikalen, die Chemie des Klimawandels ist komplex und voller Rätsel. „Die Beispiele zeigen, wie wichtig jedes Detail in der Atmosphärenchemie ist“, sagt Prof. Astrid Kiendler-Scharr, Direktorin am IEK-8 und Leitautorin des Kapitels zu kurzlebigen klimawirksamen Stoffen des aktuellen IPCC-Berichts. „Je genauer wir verstehen, wie einzelne Stoffe zusammenhängen und welche Reaktionen miteinander verknüpft sind, desto zuverlässiger sind Prognosen für die Zukunft.“ Daher sind die Daten, Erkenntnisse und Modelle der Jülicher Forscher eine wichtige Basis für die Aussagen des IPCC.

„Durch die Erkenntnisse und die gestiegene Rechenpower von Computern können wir inzwischen Simulationen durchführen, mit denen wir zum Beispiel die Temperaturentwicklung der nächsten 80 bis 100 Jahre detailliert berechnen können. Genau das wurde auch für den IPPC-Bericht gemacht“, erklärt Kiendler-Scharr. Das Ergebnis: Verfährt die Menschheit einfach weiter wie bisher, wird der unverminderte Ausstoß kurzlebiger klimawirksamer Stoffe bis zum Jahr 2100 mit 0,8 Grad zum Temperaturanstieg beitragen. „Wenn wir nur die reflektierenden Aerosole aus dem System nehmen, kommt es zu einer leichten Erwärmung des Klimas. Die Wegnahme von Methan, Ruß und halogenierten Kohlenwasserstoffen führt hingegen zu einer Reduktion der Temperatur von rund 0,6 Grad. Fahren wir alle kurzlebigen klimawirksamen Stoffe herunter, ließen sich sogar 0,8 Grad einsparen“, fasst die Jülicher Forscherin zusammen.

Allerdings: Selbst wenn alle Auflagen sofort umgesetzt werden, würde es bis 2040 zunächst weiter wärmer, bevor ein nachhaltig kühlender Effekt einsetzt. Das habe mit den unterschiedlichen Lebenszyklen und Reaktionsprozessen der Stoffe zu tun: „Es dauert ein paar Jahre, bis sich schrittweise alle Einsparungen auswirken, aber die Modellrechnungen zeigen, es ist möglich“, betont Kiendler-Scharr. Jetzt sei es an der Politik, aus den Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen und zu handeln.

Abgasreinigung mit giftigem Nebeneffekt

Dank hochentwickelten Katalysatorsystemen in Kraftfahrzeugen sind die Emissionen von klimaschädlichen Gasen heute deutlich geringer als noch zu frühen Zeiten der Automobilindustrie. So sorgen etwa Harnstoffverbindungen in der Abgasnachbehandlung von Dieselfahrzeugen dafür, dass bis zu 90 Prozent weniger Stickoxide ausgestoßen werden. Allerdings hat diese Maßnahme einen unangenehmen Nebeneffekt. So kann aus Harnstoffverbindungen Isocyansäure entstehen, die als Zellgift im Verdacht steht, entzündliche Prozesse im Körper zu verursachen – wie Herz-Kreislauferkrankungen oder Rheuma. Wie diese Stoffe sich in der Atmosphäre verhalten untersucht Dr. Domenico Taraborrelli vom IEK-8 am Forschungszentrum Jülich.

* B. Stahl-Busse, Pressereferentin im Forschungszentrum Jülich, www.text-und-pr.de

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