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Ultraschnelle Sequenziertechnologien Ultraschnelle Sequenziertechnologien revolutionieren mikrobielle Genomforschung

Redakteur: Olaf Spörkel

Gemeinsam mit den drei bundesweiten GenoMik-Plus Genomforschungsnetzwerken und dem Verbund GenoMik-Plus Industrie hat die Dechema kürzlich einen Statusworkshop zum Thema mikrobielle Genomforschung im Zeitalter ultraschneller Sequenziertechnologien veranstaltet. LaborPraxis sprach exklusiv mit Prof. Dr. Alfred Pühler, Universität Bielefeld, und Prof. Dr. Wolfgang Liebl, TU München, über die Zukunft der mikrobiellen Genomforschung in Deutschland und Möglichkeiten der ultraschnellen Hochdurchsatztechnologien.

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LaborPraxis: Welche Bedeutung hat das Statusseminar für die Mikrobiologie in Deutschland?

Prof. Pühler: Auf dem Gebiet der Mikrobiologie war Deutschland international lange Zeit führend. Um den Anschluss an die internationale Spitze nicht zu verlieren, wurde bereits 1998 und 1999 ein Statusseminar über mikrobielle Genomforschung hier in Deutschland durchgeführt. Damals erzielte man den Konsens, in diesen Bereich einzusteigen. Das Statusseminar erwies sich somit als Initialzündung für verschiedene BMBF-Aktivitäten auf dem Gebiet der mikrobiellen Genomforschung während der vergangenen Jahre. Nach zehn Jahren ist es jetzt Zeit für ein Fazit und eine Bestandsaufnahme.

LaborPraxis: In welchem Umfang haben sich Ihre Erwartungen innerhalb der letzten Jahre erfüllt?

Prof. Pühler: Mit den jetzt zur Verfügung stehenden Technologien treten wir in ein neues Zeitalter der Sequenzierung ein. Unsere Erwartungen sind daher absolut erfüllt worden. Durch die enorme Preisreduktion und den verringerten Sequenzieraufwand revolutionieren die ultraschnellen Sequenziertechnologien alles. Bis Ende des Jahres erwarten wir eine weitere Steigerung des Outputs um den Faktor fünf bei gleichem Preis. Momentan ist ein bakterielles Genom für 50000 Euro zu haben. Zukünftig lassen sich bakterielle Genome für 10000 oder 20000 Euro sequenzieren.

LaborPraxis: Wo liegen für die bakterielle Genomforschung die Vorteile der neuen Sequenziertechnologien?

Prof. Pühler: Aus der Genomsequenz heraus können wir schlagartig den Lebensstil eines Bakteriums interpretieren. Durch Sequenzierung und Annotation sehen wir sofort, ob bestimmte Gene und die entsprechenden Biosynthesewege komplett oder nur teilweise vorhanden sind. Fehlt z. B. die Fettsäuresynthase, muss das Bakterium Fettsäuren aus der Umwelt aufnehmen, um zu überleben. Vergleichbare Informationen mit klassischen Methoden zu erhalten, nimmt enorm viel Zeit in Anspruch und ist in vielen Fällen auch gar nicht möglich.

LaborPraxis: Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich durch die ultraschnellen Sequenziertechnologien

Prof. Liebl: Mit den Hochdurchsatzmethoden hat man jetzt Zugriff auf die genetische Vielfalt der Mikroorganismen, die nicht kultivierbar sind. Es ist möglich, ohne Zwischenschritt der Kultivierung oder Untersuchung einzelner Organismen das Metagenom, also eine komplette Mikroorganismengemeinschaft, zu analysieren.

Prof. Pühler: Wir haben z.B. das Metagenom einer Biogasanlage untersucht. Bisher konnte man die Konzentration der unterschiedlichen Arten nicht bestimmen. Jetzt lässt sich mit einem Experiment nachweisen, welche Mikroorganismen dominant sind und welche untergeordnet vorkommen. Da wir direkt aus der Kultur sequenzieren, vermeiden wir kulturbedingte Verfälschungen.

Ein anderes Beispiel ist das Bodenbakterium Corynebacterium glutamicum. Das Bakterium ist der Standard bei der industriellen Aminosäureproduktion und wird in Fermentern unter strikter Kontrolle der Prozessbedingungen angezogen. Ich kann jetzt den Organismus während der Produktion beobachten und sehen, welche Gene aktiv sind und welche Produkte gebildet werden. Mithilfe dieser Informationen lassen sich effizientere Produktionsstämme konstruieren. Zudem können wir weitere Spezies der Familie untersuchen. Um Corynebakterien komplett zu verstehen, können wir jetzt die 80 vorhandenen Stämme komplett sequenzieren.

LaborPraxis: Roche Diagnostics, Applied Biosystems und Illumina Inc. bieten eigene Lösungen zur ultraschnellen Hochdurchsatz-Sequenzierung an. Wodurch unterscheiden sich die drei Systeme?

Prof. Pühler: Der Genome Analyzer von Illumina und SOLID von Applied Biosystems bestimmen die Sequenz kleiner DNA-Fragmente. Sie zeichnen sich durch eine hohe Kapazität von großem Datenoutput aus. Die Techniken können z. B. zum Nachweis von Mutationen wie SNPs eingesetzt werden. Für De-novo-Sequenzierungen bietet sich dagegen die 454-Technologie an. Wir nutzen diese Technologie für die Sequenzierung von kompletten bakteriellen Genomen.

LaborPraxis: Wie schätzen Sie die Reproduzierbarkeit der Systeme ein?

Prof. Pühler: Nach unserer Erfahrung ist die Reproduzierbarkeit und Zuverlässigkeit der 454-Technologie vergleichbar mit der Sequenzierung nach Sanger. Die Angst vor Sequenzierfehlern ist unberechtigt. Bei der 454-Sequenzierung beispielsweise werden die Fragmente nicht nur einmal sequenziert, sondern bis zu 30-Mal. Je höher die Abdeckung ist, desto effektiver kann man Fehler korrigieren. Falsch gelesene Basen mitteln sich heraus.

LaborPraxis: Wie viel Zeit nimmt die Sequenzierung eines bakteriellen Genoms derzeit in Anspruch?

Prof. Pühler: Mit der 454-Technik können wir ein komplettes Genom in einem einzigen Gerätelauf von sieben Stunden sequenzieren. Allerdings ist ein Team erforderlich, das in drei bis vier Tagen das Experiment vorbereitet. Insgesamt stehen die Rohdaten so nach einer Woche zur Verfügung.

Prof. Liebl: Die Annotation der komplettierten Genomsequenz nimmt natürlich noch viel Zeit in Anspruch. Mittlerweile existieren zwar Programme, die Sequenzen automatisch annotieren, zur Bestätigung der Daten müssen jedoch Spezialisten die Sequenzen kontrollieren und interpretieren. Das komplette Zeitfenster von der Sequenzierung bis zur Publikation der Daten liegt derzeit bei weniger als einem halben Jahr.

Prof. Pühler: Früher haben wir vier bis fünf Jahre benötigt, um zehn Genome zu sequenzieren. Für unser derzeitiges Vorhaben, 13 neue Genome zu sequenzieren, planen wir nur noch bis zu zwölf Monate ein.

LaborPraxis: Wie beurteilen Sie die Zukunft der mikrobiellen Genomforschung?

Prof. Liebl: In Deutschland befinden wir uns an der Schwelle zu einer Phase, in der Bakterienstämme nacheinander im Hochdurchsatz sequenziert werden. Noch muss man wissenschaftlich begründen, warum ein bestimmtes Genom sequenziert werden soll. Erst dann kann man die GenoMik-Netzwerke initiieren, die dann - wie man sieht - auch gute Arbeit leisten.

Wir sequenzieren z.B. zurzeit ein einzelnes Bakterium, das Zellulose abbauen kann. Die amerikanischen Sequenzierzentren dagegen werden finanziell stark gefördert und sequenzieren die wichtigen Zellulose-abbauenden Bakterien en Bloc.

Neben der Sequenzierkapazität braucht man vor allem aber auch bioinformatische Methoden und das Management, um die Daten verarbeiten zu können. Hier muss noch Entwicklungsarbeit geleistet werden. Um die erzielten Daten auswerten und interpretieren zu können, ist auch wieder die Mikrobiologie gefragt, die dahinter steckt. Das ist eine große Chance für Deutschland.

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