Strategie gegen Resistenzen Warum natürliche Antibiotika besser wirken als chemisch synthetisierte
Neue antimikrobielle Wirkstoffe sind im Zeitalter multiresistenter Keime gefragter den je. Gesucht wird dabei nicht nur im chemischen Werkzeugkasten, sondern auch in der Natur. In ihrer Wirkung scheinen „natürliche“ Antibiotika den chemisch produzierten sogar überlegen zu sein, wie ein Tübinger Forscherteam nun anhand eines viel versprechenden Kandidaten darlegte. Die Wissenschaftler konnten auch zeigen warum.
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Tübingen – Die Entwicklung von Antibiotika zählt zu den großen Erfolgsgeschichten der Medizin, sie retten jährlich Millionen von Menschen das Leben und haben entscheidend zur enormen Erhöhung der Lebenserwartung beigetragen. Viele Experten befürchten jedoch, dass wir schon bald in eine Ära ohne Antibiotika eintreten könnten, weil immer mehr der verfügbaren Medikamente ihre Wirkung aufgrund von Resistenzen verlieren. Antibiotika sind jedoch keine Erfindung der pharmazeutischen Industrie.
„Vielmehr bilden zahlreiche Bakterien solche Wirkstoffe natürlicherweise, vermutlich bereits über lange evolutionäre Zeiträume hinweg, ohne dass sie ihre Effektivität verlieren“, sagt Birgit Schittek von der Universitäts-Hautklinik Tübingen.
Natürliches Antibiotikum – keine bekannten Resistenzen
Ein solches natürliches Antibiotikum haben Forscher der Universität Tübingen vor drei Jahren entdeckt: Lugdunin. Es wird von gutartigen Bakterien auf der menschlichen Nasenschleimhaut produziert, um den Infektionserreger Staphylococcus aureus fernzuhalten. „Warum Lugdunin bis heute hochwirksam ist, war bislang völlig rätselhaft“, sagt Schittek.
Nun konnte ein Forschungsteam unter ihrer sowie der Leitung von Professor Andreas Peschel vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen sowie dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) nachweisen, dass das natürliche Antibiotikum Lugdunin krankheitserregende Bakterien gleichzeitig auf mehreren unterschiedlichen Wegen angreift. Dabei wirkt es auch mit Abwehrmechanismen des menschlichen Körpers zusammen.
Die Forscher vermuten, dass Lugdunin wegen dieser vielseitigen Angriffsfähigkeit über einen langen Zeitraum bis heute wirksam blieb und sich keine Resistenzen gegen das Antibiotikum bilden konnten.
Unerwartete Eigenschaften des neuen antimikrobiellen Wirkstoffs
Erst kürzlich hatten Chemikerinnen der Universität Tübingen berichtet, dass Lugdunin den Energiehaushalt von krankheitserregenden Bakterien stören und sie dadurch töten kann.
In der aktuellen Arbeit, die in Nature Communications veröffentlicht wurde, entdeckten die Wissenschaftler, dass Lugdunin nicht nur direkt antimikrobiell auf S. aureus wirkt, sondern noch zwei weitere, völlig unerwartete Eigenschaften aufweist: „Zum einen wirkt es im Verein mit antimikrobiellen Peptiden, die unsere menschlichen Zellen bilden“, sagt Andreas Peschel. Das erhöhe die Wirksamkeit und erschwere die Resistenzbildung. „Zum anderen bindet es an ein menschliches Rezeptorprotein namens TLR2“, sagt er. „Dadurch werden die Immunzellen stimuliert und die Immunantwort so aktiviert, dass S. aureus keine Chance hat, sich anzusiedeln und Infektionen zu verursachen.“
Angriff auf mehreren Ebenen führt zur Überlegenheit
Die weitgehend voneinander unabhängigen Angriffsebenen machten deutlich, warum ein natürliches Antibiotikum wie Lugdunin einem chemisch hergestellten Stoff, der nur ein einzelnes Angriffsziel in der Bakterienzelle hat, in Sachen Resistenzvermeidung überlegen ist, fassen Schittek und Peschel ihre Erkenntnisse zusammen.
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Strategie gegen Antibiotika-Resistenzen
Sie können den Forschern helfen, neue therapeutische Wirkstoffe zu entwickeln, die ähnlich effektiv funktionieren und kaum Resistenzen hervorrufen. Die Erkenntnisse wurden auch über Kooperationen im Sonderforschungsbereich Transregio „Die Haut als Sensor und Initiator von lokaler und systemischer Immunität“ (SFB/TRR 156) erzielt.
Im Rahmen des seit Anfang 2019 laufenden Tübinger Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ werden sie aufgegriffen, um die natürlichen Abwehrmechanismen des Mikrobioms, das ist die Gesamtheit der den Menschen besiedelnden Mikroorganismen, genauer aufzuklären. Beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) wird das von der Universität patentierte Lugdunin weiterentwickelt, damit es künftig therapeutisch eingesetzt werden kann.
Originalpublikation: Katharina Bitschar, Jule Focken, Hanna Dehmer, Sonja Moos, Martin Konnerth, Nadine Schilling, Stephanie Grond, Hubert Kalbacher, Florian C. Kurschus, Friedrich Götz, Bernhard Krismer, Andreas Peschel and Birgit Schittek. Lugdunin amplifies innate immune responses in the skin in synergy with host- and microbiota-derived factors. Nature Communicationsvolume 10, Article number: 2730 (2019)
* Dr. K. G. Rijkhoek, A. Karbe: Eberhard Karls Universität Tübingen, 72074 Tübingen
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