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Wirkung von Bisphenolen auf Nervenzellen Bisphenole: Hirnschäden durch BPA und Co.

Von Christian Wißler*

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Bisphenole wie das allseits bekannte Bisphenol A (BPA) sind in etlichen Produkte des Alltags zu finden. Ihre Risikobewertung war und ist in der Wissenschaft ein viel diskutiertes Thema. Nun haben Bayreuther Forscher herausgefunden, dass mindestens zwei dieser Weichmacher Nervenzellen im Gehirn schädigen können.

Bisphenole sind Weichmacher, die weltweit in einer großen Zahl von Kunststoff-Produkten enthalten sind – beispielsweise in Lebensmittelverpackungen, Plastikgeschirr, Trinkflaschen, Spielzeug, Zahnfüllungen – oder Babyschnullern.
Bisphenole sind Weichmacher, die weltweit in einer großen Zahl von Kunststoff-Produkten enthalten sind – beispielsweise in Lebensmittelverpackungen, Plastikgeschirr, Trinkflaschen, Spielzeug, Zahnfüllungen – oder Babyschnullern.
(Bild: ©Tobias - stock.adobe.com)

Bayreuth – Bisphenole sind in vielen Produkten des Alttags enthalten. Bisphenol A (BPA) beispielsweise dient vor allem als Ausgangsstoff zur Synthese polymerer Kunststoffe auf der Basis von Polyestern, Polysulfonen, Polyetherketonen, Polycarbonaten und Epoxidharzen. Polycarbonate werden u.a. für Behälter und Flaschen für Lebensmittel verwendet. Auch für die Herstellung von Innenbeschichtungen von Getränke- und Konservendosen wird Bisphenol A eingesetzt. Und bis Ende des Jahres 2019 war die Substanz auch in Thermopapieren enthalten, die beispielsweise als Kassenbons, Fahrkarten oder Parktickets verwendet werden. Ferner wird BPA als Antioxidans in Weichmachern und zum Verhindern der Polymerisation in Polyvinylchlorid (PVC) verwendet.

Auch wenn sich die zuständigen Behörden mit einer Risikobewertung von Bisphenolen schwertun, ist klar, dass sie - wohl je nach Konzentration– der Gesundheit wenig zuträglich sind. Nun warnen Forscher der Universität Bayreuth in einer aktuellen Publikation, dass die Weichmacher wichtige Hirnfunktionen des Menschen beeinträchtigen können. Wie ihre Studie zeigt, wird die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn von Fischen schon durch geringe Mengen der Weichmacher Bisphenol A und Bisphenol S gestört.

Die Forscher halten es für sehr wahrscheinlich, dass ähnliche Schädigungen auch im Gehirn erwachsener Menschen auftreten können. Sie fordern daher eine beschleunigte Entwicklung alternativer Weichmacher, von denen keine Gefahren für das zentrale Nervensystem ausgehen.

Fokus Bisphenol A

Bei Bisphenol A handelt es sich um die Industriechemikalie 2,2-Bis(4-hydroxyphenyl)propan, die vor allem als Ausgangssubstanz für die Herstellung von Polycarbonat-Kunststoffen und Epoxid-Kunstharzen verwendet wird. Die Substanz wurde unter anderem als Farbbildner in sogenannten Thermopapieren für Thermodrucker und -faxgeräte eingesetzt. Diese Verwendung ist seit Januar 2020 verboten. Weiterhin wird Bisphenol A für die Herstellung des thermoplastischen Kunststoffs Polycarbonat und von Epoxidharzen verwendet. Polycarbonat ist sehr hart, bruchsicher, chemikalienbeständig und transparent.

Die Substanz hat eine geringe akute Giftigkeit. Allerdings wird sie bei langfristiger Aufnahme (Exposition) im Tierversuch mit einer Reihe von Effekten in Zusammenhang gebracht. Als sensitivsten Endpunkt hat die EFSA im Jahr 2015 eine Schädigung der Nieren und der Leber identifiziert. In hohen Dosen war Bisphenol A im Tierversuch fortpflanzungsschädigend.

Als zugrundeliegender Mechanismus wird die Beeinflussung einer Reihe zellulärer Steuerungspfade angesehen, die Auswirkungen auf die Hormonkonzentration und die Produktion bestimmter körpereigener Proteine haben. Aufgrund dieser hormonähnlichen (insbesondere östrogenähnlichen) Wirkungsweise wurde Bisphenol A von der Europäischen Chemikalienagentur als besonders besorgniserregende Substanz (SVHC) mit hormonell schädigenden Eigenschaften (endokriner Disruptor) identifiziert. Quelle: Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

Bisphenole – problematisch und global weit verbreitet

Bisphenole sind Weichmacher, die weltweit in einer großen Zahl von Kunststoff-Produkten enthalten sind – beispielsweise in Lebensmittelverpackungen, Plastikgeschirr, Trinkflaschen, Spielzeug, Zahnfüllungen oder Babyschnullern. In den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche gesundheitliche Risiken, insbesondere von Bisphenol A (BPA), aufgedeckt.

Das Bayreuther Forschungsteam um Dr. Peter Machnik am Lehrstuhl für Tierphysiologie (Prof. Dr. Stefan Schuster) hat jetzt erstmals die Auswirkungen von Weichmachern auf die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im erwachsenen Gehirn untersucht. Die Studie erstreckt sich nicht nur auf BPA, sondern auch auf Bisphenol S (BPS), das häufig als weniger gesundheitsschädlich angesehen wird. Das Ergebnis: Beide Weichmacher beeinträchtigen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen des Gehirns.

Dauerhafte Schädigungen des Nervensystems durch Bisphenol A und S

Dr. Peter Machnik in einem Labor für Tierphysiologie der Universität Bayreuth. Im Hintergrund: Aufbau zur elektrophysiologischen Untersuchung von Nervenzellen im Gehirn von Fischen.
Dr. Peter Machnik in einem Labor für Tierphysiologie der Universität Bayreuth. Im Hintergrund: Aufbau zur elektrophysiologischen Untersuchung von Nervenzellen im Gehirn von Fischen.
(Bild: Christian Wißler, Universität Bayreuth)

Die schädlichen Auswirkungen auf das Gehirn betreffen vor allem das empfindliche Gleichgewicht unterschiedlicher Nervenfunktionen: Einige Hirnzellen übertragen Signale, die in nachgeschalteten Zellen einen Erregungszustand auslösen; andere Hirnzellen wiederum haben die Funktion, nachgeschaltete Zellen zu hemmen. Nur wenn beide Funktionen aufeinander abgestimmt sind, ist das zentrale Nervensystem intakt.

„Es ist bekannt, dass zahlreiche Störungen im Nervensystem von Wirbeltieren dadurch ausgelöst werden, dass Erregungssignale und Hemmungssignale nicht oder nur unzulänglich koordiniert sind. Umso bedenklicher ist es, dass die Weichmacher BPA und BPS genau diese Koordination erheblich beeinträchtigen“, erklärt Dr. Peter Machnik, Hauptautor der Studie.

„Es hat uns überrascht, wie viele lebenswichtige Hirnfunktionen der Fische durch die in zahlreichen Industriebranchen verwendeten Weichmacher geschwächt werden. Diese Schädigungen treten, wie wir zeigen konnten, nicht sofort ein. Aber wenn die Gehirnzellen einen Monat lang geringen Mengen von BPA oder BPS ausgesetzt sind, sind die Schäden unübersehbar“, sagt die Bayreuther Doktorandin Elisabeth Schirmer, Erstautorin der Studie. Wie sich herausgestellt hat, beeinflussen die Weichmacher das Aktionspotenzial von Gehirnzellen. Sie verändern die chemische und elektrische Übertragung von Signalen durch die Synapsen. Zudem stören sie die Schaltkreise, die für die Wahrnehmung und Verarbeitung von akustischen und visuellen Reizen wichtig sind.

Untersuchungen an Mauthnerzellen in Goldfischen

Mikroskopische Aufnahme der Mauthnerzelle eines Goldfisches (Maßstabbalken: 200 Mikrometer entsprechen 0,2 Millimeter). Durch Neurobiotin/Streptavidin-Cy3 wurde die Zelle sichtbar gemacht.
Mikroskopische Aufnahme der Mauthnerzelle eines Goldfisches (Maßstabbalken: 200 Mikrometer entsprechen 0,2 Millimeter). Durch Neurobiotin/Streptavidin-Cy3 wurde die Zelle sichtbar gemacht.
(Bild: Peter Machnik, Universität Bayreuth)

Die Entdeckung der Schädigungen durch Weichmacher sind aus detaillierten Untersuchungen an lebenden Goldfischen hervorgegangen. Im Fokus standen die beiden größten Nervenzellen im Gehirn der Fische, die Mauthnerzellen. Hier laufen alle Sinnesreize zusammen, die rasch und auf präzise koordinierte Weise verarbeitet werden müssen, wenn sich Fressfeinde nähern. In diesem Fall lösen die Mauthnerzellen lebensrettende Fluchtreaktionen aus.

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Aufgrund dieser überlebenswichtigen Funktion haben sie im Verlauf der Evolution eine ausgeprägte Robustheit entwickelt. Mauthnerzellen sind imstande, schädigende Einflüsse bis zu einem gewissen Grad abzuwehren oder nachträglich zu kompensieren. Umso stärker fällt es ins Gewicht, dass Weichmacher in der Lage sind, beträchtliche Schäden in diesen Zellen anzurichten.

Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen

„Die durch Untersuchungen an Fischgehirnen gewonnenen Erkenntnisse rechtfertigen die Einschätzung, dass BPA und BPS das Gehirn erwachsener Menschen ebenfalls in gravierender Weise schädigen können. Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, dass Wissenschaft und Industrie neue Weichmacher entwickeln, die diese Bisphenole ersetzen können und gesundheitlich unbedenklich sind“, sagt Dr. Peter Machnik. Prof. Dr. Stefan Schuster fügt hinzu: „Die Effizienz der Forschungstechniken, die wir bei unserer Studie angewendet haben, kann bei der Entwicklung alternativer Weichmacher eine wertvolle Hilfe sein. Diese Techniken machen es möglich, schnell und kostengünstig zu testen, wie sich die dafür infrage kommenden Substanzen auf Gehirnzellen auswirken.“

Originalpublikation: Elisabeth Schirmer, Stefan Schuster, Peter Machnik: Bisphenols exert detrimental effects on neuronal signaling in mature vertebrate brains. Communications Biology (2021), DOI: https://doi.org/10.1038/s42003-021-01966-w.

* C. Wißler: Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth

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