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Chemie im Nano-Maßstab Das Matrjoschka-Molekül: So entstehen im Nano-Reaktor Fullerene

Redakteur: Dominik Stephan

Bringt ein Nano-Reaktor die ersehnte Produktion von Fullerenen ohne unerwünschte Nebenprodukte? Bisher waren die komplexen Molekül-„Fußbälle“ wenn überhaupt nur aufwändig und unter Inkaufnahme großer Mengen an Neben- und Beiprodukten möglich. Doch das könnte sich jetzt ändern: Ein europäisches Forscherteam will mit einer Nano-Matrjoschka die chemische Synthese der komplexen Kohlenstoffstrukturen funktionalisieren.

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Die Abbildung zeigt die molekulare Matrjoschka zur Funktionalisierung des C60-Fullerens. Der mehrschalige Reaktor basiert auf drei ineinander verschachtelten molekularen Strukturen die Ähnlichkeit haben mit einem Fußball (Fulleren-Molekül, innen), einem Hula-Hoop-Reifen und einem Käfig.
Die Abbildung zeigt die molekulare Matrjoschka zur Funktionalisierung des C60-Fullerens. Der mehrschalige Reaktor basiert auf drei ineinander verschachtelten molekularen Strukturen die Ähnlichkeit haben mit einem Fußball (Fulleren-Molekül, innen), einem Hula-Hoop-Reifen und einem Käfig.
(Bild: Dr. Johannes Richers; mit freundlicher Genehmigung von Jo Richers Studio https://jorichers.com)

Fullerene, räumlich komplexe, geschlossene Kohlenstoffmoleküle, sollen die Welt verändern: Als Katalysator oder Schmiermittel, zur Herstellung künstlicher Diamanten, in der Medizin, als Halbleiter und Supraleiter sind nur einige der möglichen Anwendungen für die fußballförmigen Moleküle. Aber bei der Bindung von Radikalen oder Elektronen haben die meist symmetrischen Moleküle großes Potenzial, etwa beim Einsatz für organische Solarzellen der neuesten Generation. Das die kugelförmigen Kohlenstoffhohlkörper nicht schon viel häufiger eingesetzt werden, hat einen Grund: „Bisher war die Herstellung gezielt funktionalisierter Fullerene sehr aufwändig. Aufgrund einer Vielzahl unerwünschter Nebenprodukte müssen die Zielmoleküle erst mühevoll aufgereinigt werden“, erklärt Professor Max von Delius, Leiter des Instituts für Organische Chemie I der Universität Ulm.

Gemeinsam mit Professor Xavi Ribas von der Universität Girona (Spanien) und seiner Arbeitsgruppe haben Ulmer Chemiker um von Delius ein hochselektives Verfahren zur Synthese des funktionalisierten C60-Fullerens entwickelt, das ohne aufwändige Aufreinigung auskommt und eine Ausbeute von über 90 Prozent erreicht – ein neuer Rekord. Die Forscher stellten einen mehrschaligen Nano-Reaktor vor, der konstruiert ist wie eine molekulare „Matrjoschka“ (die bekannte russische Holzpuppe, in deren Inneren sich weitere, kleinere Puppen verbergen).

„Unserem gemeinsamen Forschungsteam ist es mit der molekularen Matrjoschka gelungen, unterschiedliche chemische Reaktionsräume auf ähnliche Weise ineinander zu verschachteln“, erläutert Professor Xavi Ribas. Im Zentrum dieses Reaktionsraums befindet sich das fußballförmige Fulleren-Molekül, das chemisch modifiziert werden soll. Dieses ist umgeben von einem rotierenden „Reifen“, der in seiner Drehung eingeschränkt ist und auf diese Weise Teile der Fulleren-Oberfläche von den Reagenzien abschirmt.

Der chemische „Hula-Hoop“-Reif besteht aus zyklischen organischen Verbindungen, die eine stabile ringförmige molekulare Struktur formen. Diese chemische Konstruktion ist wiederum eingelagert in eine käfigartige Struktur, die ebenfalls aus komplexen organischen Verbindungen besteht. Der „Käfig“, der den äußeren Reaktionsraum des Mini-Reaktors bildet, ist nach oben und unten hin geschlossen, hat aber an vier Seiten jeweils ein „Fenster“, durch das die Reagenzien für die Funktionalisierung in den Nanoreaktor gelangen können.

Molekulare Wirt-Gast-Beziehungen sorgen für Halt und Bewegungsspielraum zugleich

Für die chemische Realisation des Matrjoschka-Prinzips machen sich die Supramolekül-Spezialisten besondere chemische Kräfte zunutze. Die Nanoreaktor-Schalen interagieren untereinander über sogenannte nicht-kovalente Kräfte. Besonders wichtig sind dabei sogenannten π-π-Wechselwirkungen (Pi-Pi-Wechselwirkungen), die zwischen „Fußball“, „Reif“ und „Käfig“ wirken und somit der Konstruktion gleichzeitig Halt und einen gewissen Grad an Beweglichkeit geben.

„In der supramolekularen Chemie, einem Spezialgebiet der Organischen Chemie, bezeichnet man die Interaktion zwischen solchen über- und untergeordneten Strukturen als Wirt-Gast-Beziehung. Mit unserem `Matrjoschka´-Design ist es gelungen, erstmals ein dreiteiliges hierarchisches System für die chemische Synthese zu verwenden“, freuen sich auch Ernest Ubasart (Universität Girona) und Oleg Borodin (Universität Ulm), die als Hauptautoren an der Studie beteiligt waren.

Der mehrschalige Nano-Reaktor hat die Aufgabe, Kohlenstoff-Bindungsstellen des Fullerens für die chemische Modifikation zielgenau zu selektieren. Die Funktionalisierung der hohlkugelförmigen Kohlenstoffkugeln erfolgt schließlich über sogenannte Additionsreaktionen mit chemischen Anhängseln, die spezielle funktionelle Gruppen tragen. „Mithilfe der `Matrjoschka´-Architektur konnten wir bestimmte Fulleren-Bisaddukte – diese tragen zwei funktionelle Anhängsel – in bisher unerreichter Reinheit synthetisieren. Während bei herkömmlichen Reaktionen dieser Art mehr als ein Dutzend unerwünschter Reaktionsprodukte entstehen“, heben die Forschenden hervor.

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Bingt Zusammenarbeit den Durchbruch bei der Fulleren-Fertigung?

Das deutsch-spanische Forschungsprojekt zur Fulleren-Funktionalisierung hat auch eine besondere Entstehungsgeschichte. „Xavi Ribas und ich haben uns auf einer internationalen Tagung getroffen und auf der Poster-Session umgeschaut. Dabei ist mir ein Projektposter aus seiner Arbeitsgruppe aufgefallen. Es hatte die gleiche Zielstellung wie das Projekt auf unserem Poster, basierte allerdings auf einem ganz anderen Konstruktionsdesign“, erzählt Professor Max von Delius. Es ging dabei um die zielgenaue Funktionalisierung des C60-Fulleren-Moleküls: Während das Ulmer Team an einer passenden „Reifen“-Lösung forschte, wurde in der Arbeitsgruppe von Professor Xavi Ribas an der Universität Girona an einem „Käfig“-Konzept gearbeitet. Doch beide Designs für sich lieferten nur mittelprächtige Ergebnisse. Warum nicht also die zwei Konstruktionen miteinander verbinden?

„Diese wissenschaftliche Kooperation war für uns alle unglaublich spannend. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir aufgeregt zwischen den Postern hin- und her gelaufen sind“, erinnert sich von Delius an dieses besondere Aha-Erlebnis. So reifte nicht nur die „Fußball, Reifen und Käfig“-Lösung, sondern auch die schöne Erkenntnis, dass eine wissenschaftliche Kooperation eben viel mehr ist, als die Summe ihrer Teile.

Originalpublikation: Ernest Ubasart, Oleg Borodin, Carles Fuertes-Espinosa, Youzhi Xu, Cristina García-Simón, Laura Gómez, Judith Juanhuix, Felipe Gándara, Inhar Imaz, Daniel Maspoch, Max von Delius and Xavi Ribas:A three-shell supramolecular complex enables the symmetry-mismatched chemo- and regioselective bis-functionalization of C60, Nature Chemistry, 2021, DOI: 10.1038/s41557-021-00658-6

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