Wirkungsbezogene Analytik von Wasserproben Effekte im Blick – eine Frage der Anreicherung
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Tausende Substanzen können unser Wasser kontaminieren. Selbst dann, wenn eine Einzelsubstanz in einer Konzentration unterhalb ihrer Wirkschwelle vorliegt, könnte sie zusammen mit anderen noch gesundheitliche Effekte haben. Das aufzudecken ist Ziel der wirkungsbezogenen Analytik mit effektbasierten Methoden. Doch die richtige Anreicherung der Analyten ist dabei das A und O.

Wasser ist unser höchstes Gut. Entsprechend hoch sollte dessen Qualität sein. Doch die Anzahl der Stoffe, die vom Gesetzgeber vorgeschrieben analysiert werden müssen, um genau das zu gewährleisten, steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Anzahl an potenziellen Kontaminanten. Die Analytik von Schadstoffen nach EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL, 2000/60/EG) beschränkt sich auf eine Liste von 45 prioritären Stoffen und weiteren unter Beobachtung stehenden Substanzen (EU 2018/840, EU 2020/1161). Hinzu kommen national festgelegte spezifische Schadstoffe, die im Rahmen der Einstufung der Gewässer eine Rolle spielen. Diese Stoffe dürfen bestimmte Schwellenwerte in Oberflächengewässern, so genannte Umweltqualitätsnormen (UQN) (2008/105/EG), nicht überschreiten.
Im Hinblick auf das in der EU-WRRL definierte Verschlechterungsverbot müssen auch Abwassereinleitungen betrachtet werden. Eine spezifische Stoffliste und Grenzwerte sind allerdings bisher in der Abwasserverordnung (AbwV) nicht aufgeführt. Braun et al. haben einen ersten Konzeptvorschlag für die Auswahl der zu untersuchenden Spurenstoffe in kommunalen Kläranlagen vorgestellt [5]. Die Begrenzung von Abwassereinleitungen erfolgt indirekt über die Oberflächengewässerverordnung (OgewV).
Neben den hier aufgeführten Einzelstoffgrenzwerten erfolgt die kontinuierliche Fortschreibung von flussgebietsspezifischen Schadstoffen. Übergeordnetes Ziel ist das Erreichen eines guten chemischen und biologischen Zustandes der Gewässer bis 2027. Im Trinkwasser-Sektor sind die einzuhaltenden Grenzwerte über die EG-Trinkwasserrichtlinie (98/83/EG) sowie national über die Trinkwasserverordnung [7] geregelt.
Über 70.000 Verbindungen im täglichen Gebrauch
Der gesetzlichen Betrachtung von vergleichsweise wenigen Einzelstoffen oder Substanzgruppen steht entgegen, dass weltweit über 160 Millionen organische und anorganische Verbindungen [8] bekannt sind. Davon werden laut einer aktuellen Studie etwa 350.000 Substanzen regelmäßig hergestellt und genutzt [9]. In Industrieländern befinden sich davon über 70.000 im täglichen Gebrauch, wodurch sie potenziell in Oberflächengewässer und ins Grundwasser eingetragen werden können. Im Weiteren ist ihr Eintrag über Uferfiltrat und Brunnen in die Trinkwassergewinnung nicht auszuschließen. Diese Stoffe liegen in Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser meist im Ultraspurenbereich (< 10 ng/L) vor. Aus den bisherigen Datenbanken für registrierte Chemikalien werden allerdings erhebliche Datenlücken in Bezug auf die Gefährdungsanalysen von Mensch und Umwelt ersichtlich [9]. Insbesondere im Hinblick auf die Bildung und die Toxizität von Transformations- und Desinfektionsnebenprodukten, wie sie etwa während der Trink- und Badebeckenwasseraufbereitung sowie der Abwasserreinigung entstehen, herrscht noch erheblicher Forschungsbedarf [11, 12].
Wirkungsbezogene Analytik mit effektbasierten Methoden
Um eine Gefährdung durch Chemikalien für den Menschen über die Aufnahme von Trinkwasser auszuschließen, wird in Deutschland das Konzept des gesundheitlichen Orientierungswertes [13] angewendet. Sobald teil- oder nicht bewertete Stoffe im Trinkwasser den allgemeinen Vorsorgewert von 0,1 µg/L überschreiten, erfolgt eine toxikologische Bewertung dieses Stoffes durch das Umweltbundesamt. Dazu steht eine Batterie von verschiedenen toxikologischen Testsystemen [14] zur Verfügung, um humanrelevante Endpunkte (endokrine Wirkung, Gen-, Immun- und Neurotoxizität, subchronische und chronische Toxizität) abzudecken. In Abhängigkeit der festgestellten Effekte wird dann nach einem Stufenkonzept der GOW zwischen 0,01 und 3,0 µg/L für den untersuchten Stoff abgeleitet [13, 15]. Somit wird durch die Nutzung von in-vitro Testsystemen das konventionelle Gefährdungsmanagement dem wissenschaftlichen Fortschritt angepasst. Die bisherige Bewertung von Oberflächen- und Trinkwasser basiert auf der Einzelstoffanalytik. Diese werden derzeit allerdings ausschließlich mittels instrumenteller Target-Analytik überwacht. Mischungseffekte und die Toxizität der Gesamtprobe werden somit nicht betrachtet.
Hier kann die wirkungsbezogene Analytik (WBA) Abhilfe schaffen, welche mittels effektbasierter Methoden (EBM) die Wirkung der Gesamtprobe wiedergibt und somit auch Effekte von Stoffmischungen abbildet (s. Abb. 2). Entgegen der Annahme, dass Stoffe, welche in einer Konzentration unterhalb ihrer Wirkschwellen vorliegen, keine Effekte verursachen, konnten zahlreiche Studien ein anderes Bild zeichnen. Sie beschreiben diesen Zusammenhang als „Something from nothing effect“ [16]. So konnten deutliche Effekte in Mischungen nachgewiesen werden, in denen jede Einzelsubstanz in einer Konzentration unterhalb ihrer Wirkschwelle vorlag (NOEC oder EC01).
Die Fähigkeit der EBM diese Mischungseffekte aufzuzeigen macht sie zu einem wertvollen Werkzeug in der Bewertung von Wasserqualitäten, insbesondere wenn chemisch analytische Methoden nicht sensitiv genug sind, um Konzentrationen von Substanzen unterhalb ihrer Wirkschwellen zu quantifizieren. Dies ist im Speziellen bei hormonell wirkenden Substanzen der Fall. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird für die Überwachung von Oberflächengewässern im Rahmen der EU-WRRL der Einsatz einer Batterie aus EBM, welche mehrere relevante Wirkungspfade abdeckt, als sinnvolle Ergänzung zur chemischen Analytik erachtet und von der Wissenschaft gefordert [17, 18]. Zum Beispiel findet WBA in einem relativ neuen Ansatz – der effektdirigierten Analytik (EDA) (s. Abb. 2) – Anwendung. Dieser kombiniert EBM mit chemischer Analytik, um unbekannte toxikologisch relevante Substanzen zu identifizieren. Die WBA wird hier eingesetzt um Probenfraktionen mit toxikologischen Wirkungen zu identifizieren, welche dann effizienter, mittels hochauflösender Massenspektrometrie, auf effektverursachende Substanzen untersucht werden können.
Wo werden derzeit noch Nachteile im Einsatz der WBA gesehen?
Der größte Nachteil von WBA ist die oft zu geringe Sensitivität (Empfindlichkeit) einzelner EBM. Vor diesem Hintergrund ist eine Anreicherung möglichst aller in der Wasserprobe enthaltenen organischen Spurenstoffe notwendig. Bislang existiert kein genormtes oder allgemein anerkanntes diskriminierungsfreies Anreicherungsverfahren. Bestehende Verfahren sind meist nur auf die Zwecke der instrumentellen Analytik für ein zuvor spezifiziertes Stoffspektrum ausgerichtet. Für umfassende instrumentelle als auch wirkungsbezogene Analysen mit unterschiedlichen toxikologischen Endpunkten sind derzeit immer mehrere spezifische Anreicherungsverfahren erforderlich. Dies führt zu einem erheblichen Aufwand in punkto Zeit sowie technischer und personeller Ressourcen. Zudem gibt es bislang keine Erkenntnisse darüber, ob die Ergebnisse der gleichen EBM durch die Verwendung unterschiedlicher Anreicherungsverfahren in den jeweiligen Laboren überhaupt vergleichbar sind. In der wissenschaftlichen Literatur sind ebenso wie in Normen derzeit nur individuelle Verfahren zu finden, die einen Vergleich der erzielten Daten erschweren oder gar unmöglich machen.
Was braucht es für eine aussagekräftige wirkungsbezogene Analytik?
Was ist also nötig um Wasserproben mittels wirkungsbezogener Analytik umfassend zu bewerten und dabei ihre Stärken – die Erfassung von Mischungstoxizitäten und die Wirkung der Gesamtprobe – auszuspielen?
Zentraler Punkt des IGF-Forschungsvorhabens Nr. 21954 DA-EDA ist die Entwicklung eines praxistauglichen, diskriminierungsarmen und wirtschaftlich vertretbaren Anreicherungsverfahrens (s. Abb. 3), angepasst an EBM zur Roh- und Trinkwasserbewertung, welches von der Breite der Labore routinemäßig durchgeführt werden kann. Dies trägt dazu bei, die Aussagekraft, Akzeptanz und Vergleichbarkeit wirkungsbezogener Untersuchungen von Wasserproben deutlich zu steigern und Kosten zu senken.
Im Rahmen dieses Projekts werden zunächst weitere für den Umweltbereich relevante Testsysteme etabliert und in der Biotestbatterie ergänzt. Zur abschließenden Validierung werden die unterschiedlichen Anforderungen, Lösemittelverträglichkeiten und mögliche Anreicherungsfaktoren der EBM zusammengetragen. Auf Basis dessen, wird eine Referenz-Substanzliste mit dem projektbegleitenden Ausschuss abgestimmt, die die Eigenschaften und Informationen über relevante Stoffe für verschiedene Matrices enthält. Im nächsten Schritt werden verschiedene Materialkombinationen zur Anreicherung evaluiert und zusammen mit der ausgewählten Biotestbatterie zur toxikologischen Bewertung verwendet. Das toxikologische Screening beinhaltet sowohl die Blindwerttestung der Anreicherungsmaterialien als auch die toxikologische Validierung des Verfahrens an sich. Stabilitätsuntersuchungen und der potentielle Einfluss von Matrixeffekten schließen die Verfahrensvalidierung ab. Ziel ist es, in einer Laborvergleichsuntersuchung die Tauglichkeit und Robustheit der Verfahren im Hinblick auf eine breite Praxisanwendung zu erfassen.
Literatur:
[1] Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. Nr. L 327 vom 22/12/2000 S. 0001 – 0073). http://data.europa.eu/eli/dir/2000/60/oj
[2] Durchführungsbeschluss (EU) 2018/840 der Kommission vom 5. Juni 2018 zur Erstellung einer Beobachtungsliste von Stoffen für eine unionsweite Überwachung im Bereich der Wasserpolitik gemäß der Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/495 der Kommission. (ABl. Nr. L 141 vom 07/06/2018, S. 0009 – 0012). http://data.europa.eu/eli/dec_impl/2018/840/oj
[3] Durchführungsbeschluss (EU) 2020/1161 der Kommission vom 4. August 2020 zur Erstellung einer Beobachtungsliste von Stoffen für eine unionsweite Überwachung im Bereich der Wasserpolitik gemäß der Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2020) 5205). (ABl. Nr. L 257 vom 06/08/2020, S. 0032 – 0035). http://data.europa.eu/eli/dec_impl/2020/1161/oj
[4] Richtlinie 2008/105/EG Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und86/280/EWG sowie zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG (ABl. Nr. L 348 vom 24/12/2008 S. 0084 – 0097). http://data.europa.eu/eli/dir/2008/105/oj
[5] Braun U., Lukas M., Obermaier N., Rickling M., Bachem G., Bannick C. G., Konzeptvorschlag für die Auswahl zu untersuchender Mikroverunreinigungen in kommunalen Abwässern mittels physiko-chemischer Untersuchungsverfahren. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall, 2022, 69 (6): 500-511.
[6] Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch. (ABl Nr. L 330 vom 05/12/1998 S. 0032 – 0054). http://data.europa.eu/eli/dir/1998/83/oj
[7] TrinkwV (2018). Verordnung zur Neuordnung trinkwasserrechtlicher Vorschriften vom 3. Januar 2018 (4. Änderungsverordnung zur TrinkwV). Bundesgesetzblatt, Teil I, 2018-01 (2): S. 99-114
[8] CAS (2020). Chemical Abstract Service, https://www.cas.org/support/documenta-tion/chemical-substances
[9] Wang Z., Walker G.W., Muir D.C.G., Nagatani-Yoshida K. (2020). Toward a Global Understanding of Chemical Pollution: A First Comprehensive Analysis of National and Regional Chemical Inventories. Environmental science & technology, 54(5):2575-84.
[10] Richardson, S.D., DeMarini, Kogevinas, M., Fernandez, P., Marco, E., Lourencetti, C., Ballesté, C., Heederik, D., Meliefste, K., McKague, A.B., Marcos, R., Font-Ribera, L., Grimalt, J.O., Villanueva, C.M. (2010). What’s in the pool? A comprehensive identification of disinfection by-products and assessment of mutagenicity of chlorinated and brominated swimming pool water. Environ. Health Perspect., 118, 1523–1530.
[11] Richardson, S.D., Plewa, M.J., Wagner, E.D., Schoeny, R., DeMarini, D.M. (2007). Occurrence, genotoxicity, and carcinogenicity of regulated and emerging disinfection by-products in drinking water: A review and roadmap for research. Mutation Research/Reviews in Mutation Research, The Sources and Potential Hazards of Mutagens in Complex Environmental Matrices - Part II 636, 178–242. doi:10.1016/j.mrrev.2007.09.001
[12] Dopp E., Pannekens H., Gottschlich A., Schertzinger G., Gehrmann L., Kasper-Sonnenberg M., Richard J., Joswig M., Grummt T., Schmidt T., Wilhelm M., Tuerk J. (2021). Effect-based evaluation of ozone treatment for removal of micropollutants and their transformation products in waste water. J. Toxicol. Environ. Health, Part A, 2021:1-22, doi:10.1080/15287394.2021.1881854
[13] UBA - Umweltbundesamt (2013). Bewertung der Anwesenheit teil- oder nicht bewertbarer Stoffe im Trinkwasser aus gesundheitlicher Sicht. Empfehlung des Umweltbundesamtes nach Anhörung der Trinkwasserkommission beim Umweltbundesamt. Bundesgesundheitsbl. – Gesundheitsforsch. – Gesundheitsschutz, 46:249–251. DOI 10.1007/s00103-002-0576
[14] Grummt T., Braunbeck T., Hollert H., Kramer M. (2018) Gefährdungsbasiertes Risiko-management für anthropogene Spurenstoffe zur Sicherung der Trinkwasserversorgung (Tox Box). Leitfaden (BMBF-Fördermaßnahme RiSKWa). Herausgeber: Umwelt-bundesamt.
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/374/doku-mente/toxbox_leitfaden_2018.pdf
[15] UBA – Umweltbundesamt (2019). Liste der nach GOW bewerteten Stoffe – Stand März 2019;
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/374/dokumente/liste_der_nach_gow_bewerteten_stoffe_201903.pdf. Abgerufen: 26.03.2020
[16] Escher B., Neale P., Leusch F. (2021) Bioanalytical Tools in Water Quality Assessment, 2nd edition. IWA Publishing, ISBN electronic: 9781789061987. https://doi.org/10.2166/9781789061987
[17] Wernersson A., Carere M., Maggi C. et al. (2015).The European technical report on aquatic effect-based monitoring tools under the water framework directive. Environ. Sci. Eur., 27, 7, https://doi.org/10.1186/s12302-015-0039-4
[18] Brack W., Ait Aissa S., Backhaus T., Dulio V., Escher B.I., Faust M., Hilscherova K., Hollender J., Hollert H., Müller C., Munthe J., Posthuma L., Seiler T-B., Slobodnik J., Teodorovic I., Tindall A.J., de Aragão Umbuzeiro G., Zhang X., Altenburger R. (2019). Effect‑based methods are key. The European Collaborative Project SOLU-TIONS recommends integrating effect‑based methods for diagnosis and monitoring of water quality. Environ. Sci. Eur., 31, 10.
* M. Klein, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Umwelthygiene & Pharmazeutika, Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. (IUTA)
* *Dr. G. Schertzinger, Leiter IWW Geschäftsfeld Toxikologie, IWW Zentrum Wasser
* **Dr. J. Türk, Spezialist GC-MS/MS, Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. (IUTA)
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