Organoide aus menschlichem Darmgewebe Gezüchtete Mini-Därme statt Tierversuche
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Zu Risiken und Nebenwirkungen werden Medikamente oft zunächst an Tieren getestet. Dabei wäre es besser, wenn man die Wirkstoffe direkt an menschlichem Gewebe testen würde, da die Übertragbarkeit der Ergebnisse sonst nur begrenzt möglich ist. Münchener Forscher haben nun Darmmodelle aus menschlichem Darmgewebe gezüchtet und als Alternative zu Tierversuchen geprüft.

Freising-Weihenstephan – Der menschliche Darm ist essenziell für die Verdauung und die Aufnahme von Nährstoffen und Medikamenten. Für die Forschung rund um den Darm benötigen Wissenschaftler Modelle, die die physiologische Situation beim Menschen möglichst gut widerspiegeln.
Gewöhnliche Zelllinien und Tierversuche haben in dieser Hinsicht einige Nachteile. Ein Hauptproblem ist – von den ethischen Bedenken bei Tierversuchen einmal abgesehen – die mangelnde Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse auf den Menschen. Besser wäre es, wenn man direkt an einem menschlichen Darm Versuche die molekularen Vorgänge untersuchen könnte. Dazu hat ein Forscherteam der Technischen Universität München jetzt ein modernes in vitro Modell getestet, das aus menschlichen Darmbiopsien hergestellt wird – also quasi aus Gewebe-„Abfall“, der routinemäßig bei Operationen anfällt.
Darm en miniature
Vor einigen Jahren haben die Forscherinnen Eva Rath und Tamara Zietek bereits Anwendungsmöglichkeiten von Darmorganoiden untersucht. Dabei handelt es sich um Mikrostrukturen, die dem Darm ähneln. Die Mini-Därme eignen sich zum Beispiel als Modelle für Untersuchungen von Hormon-Ausschüttungen und von Transportmechanismen von Nahrung oder Medikamenten im Verdauungstrakt.
Die darmähnlichen Mikrostrukturen wurden damals aus Mausgewebe gezüchtet. Nun ist es dem Team gelungen, diese Methodik auf Mini-Därme zu übertragen, die aus menschlichem Gewebe gezüchtet werden. Damit haben sie das Methodenspektrum nochmals erweitert.
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Vollständige künstliche Retina aus dem Labor
Das Auge aus der Petrischale
Organoide erlauben Medikamententests
Organoide bestehen aus so genannten Epithelzellen, der Zellschicht, die die Barriere zwischen dem Darminhalt mitsamt der Darmflora und dem Körperinneren bildet. Diese Zellen sind nicht nur für die Aufnahme von Nährstoffen und Medikamenten verantwortlich, ihr Stoffwechsel beeinflusst auch Funktionen des gesamten restlichen Körpers. „Viele molekulare Aspekte der Nährstoffaufnahme im Darm sind noch unbekannt. Wir wissen aber, dass einige Nährstofftransporter auch an der Aufnahme von Medikamenten beteiligt sind“, sagt Rath, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie an der TUM.
Die Forscherin und ihre Kollegen zeigen jetzt in ihrer neuen Publikation, wie man in Organoiden den Transport von Nährstoffen und Medikamenten und daraus resultierende Veränderungen im Stoffwechsel messen kann. „Dies ebnet dem Modellsystem den Weg für medizinische und pharmakologische Anwendungsbereiche wie beispielsweise Arzneimitteltestungen“, sagt Rath.
Humanbasierte Ersatzmethode zum Tierversuch
Die Darm-Organoide können nicht nur umstrittene Tierversuche ersetzen, sondern versprechen auch aussagekräftigere Ergebnisse. „Für die Erforschung von Krankheiten oder auch für Medikamententests ist es sehr wichtig, auf ein humanes Testsystem, also auf menschliche Organoide, zurückgreifen zu können, um speziesspezifische Versuchsergebnisse zu vermeiden“, erklärt Raths Kollegin Zietek vom Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie an der TUM. „Organoide haben sich aufgrund ihrer hohen physiologischen Relevanz in den vergangenen Jahren zu einem der zukunftsträchtigsten in vitro-Modelle überhaupt entwickelt, auch als humanbasierte Ersatzmethoden zum Tierversuch.“
Die von der Forschungsgruppe etablierten Verfahren haben daher einen hohen Stellenwert, sowohl für die Grundlagenforschung, als auch für die Medikamentenentwicklung und für den regulatorischen Bereich, also die Sicherheitstestung von Chemikalien und anderen Stoffen.
Originalpublikation: Zietek et al.: Organoids to Study Intestinal Nutrient Transport, Drug Uptake and Metabolism - Update to the Human Model and Expansion of Applications, Frontiers in Bioengineering and Biotechnology (2020); DOI: 10.3389/fbioe.2020.577656
* Dr. K. Baumeister-Krojer, Technische Universität München (TUM), 85748 Garching b. München
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