Meilenstein Gase im Labor Innovationen im Gasemarkt: „Wir drehen die Innovationspyramide um“
Air Liquide will Kunden dabei unterstützen, wettbewerbsfähiger zu werden. Deutschland-Geschäftsführer Gilles Le Van und Direktor Research & Analysis Julien Sauveplane schildern, was dies für Märkte wie die Automobilindustrie, die Forschung oder die Großchemie bedeuten kann.
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LP: Der Gasemarkt wird von einigen sehr großen Anbietern geprägt. Bremst das den Antrieb zur Innovation in der Branche, Herr Le Van?
Gilles Le Van: Die Wettbewerbsintensität und damit die Marktdynamik sind höher, als viele denken. Vor allem treibt uns die Vielfalt der Kundenbranchen und deren Innovationswille. Die Unternehmen der Gaseindustrie waren schon in der Vergangenheit immer gezwungen, am Puls der Entwicklung vieler Industrien zu sein. Das gilt nach wie vor auch in Deutschland. Air Liquide hat seinerzeit Aktivitäten von Messer Griesheim aufgekauft. Die Airgas-Akquise durch uns brachte viel Bewegung in den USA. Nun fusionieren Linde und Praxair. Der Konsolidierungsprozess ist Ausdruck des großen Willens, sich ständig weiterzuentwickeln – insofern fördert dies Innovation sogar. Denn jeder der Branchenriesen versucht ständig, die Bedürfnisse sämtlicher Kundenzielgruppen am besten zu befriedigen.
LP: Air Liquide ist derzeit weltweit Nummer 1. Was wollen Sie noch erreichen?
Le Van: Unser Anspruch ist es, stärker zu wachsen als der Markt, insbesondere auch in Deutschland. Dieses Ziel verfolgen wir, indem wir den Kunden in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Wir meinen das sehr ernst. Dazu haben wir unsere Organisation weltweit verändert. In Clustern sind wir nah am Markt und können flexibler handeln. Ein Cluster wie die DACH-Region hat heute beispielsweise größere Entscheidungsbefugnisse als jemals zuvor.
Wir schauen außerdem in die einzelnen Marktsegmente, die wir bedienen, und richten neue Angebote und Prozesse an ihrem Bedarf aus. In bestimmten Märkten wie etwa Research & Analysis wollen wir besonders stark wachsen. Hier eröffnen sich viele Gelegenheiten, noch stärker als bisher mit Kunden zu kooperieren und neue Leistungen anzubieten.
LP: Herr Sauveplane, welche Chancen sehen Sie als Direktor für Research & Analysis, Kunden in diesem Bereich mit Mitteln der Digitalisierung besser gerecht zu werden?
Julien Sauveplane: Ein Beispiel sind die Möglichkeiten, die wir im Vertrieb für Gasgemische geschaffen haben. Gerade Forscher benötigen immer neue Gemische für diverse Experimente, wollen sich oft aber nicht detailliert mit der Zusammensetzung auseinandersetzen. Dafür haben wir im Mai als weltweites Pilotprojekt unseren Mixture Guide in Deutschland eingeführt, eine Industriepremiere. Er leitet in wenigen Schritten zum passenden Gasgemisch mit bis zu 40 Komponenten aus 500 reinen Stoffen. Drei Klicks reichen oft schon: die Angabe der Applikation, der zu messenden Komponente und deren Zielkonzentration. Alternativ können Kunden auch direkt die gewünschten Gasanteile angeben. Anschließend erhält der Nutzer eine Empfehlung inklusive Auswahl der Liefermöglichkeiten, die er nach Flaschengröße, Trägergas und benötigtem Analysenzertifikat, etwa mit Rückführbarkeit oder mit Kalibrierschein, filtern kann.
LP: Und dann folgt unmittelbar die Bestellung?
Sauveplane: Fast. Schon die Software verhindert Inkompatibilitäten in der Mischung. Zwei Gase, die zusammen ein explosives Gemisch bilden, lassen sich zum Beispiel nicht kombinieren. Die zweite Sicherheitsstufe bildet unser Expertencenter für Gemische. Ist das Gemisch so wie gewählt machbar, erhält der Kunde innerhalb von zwei Tagen ein Angebot. Das Tool wird sehr gut angenommen, insbesondere von jungen Forschern, die keine Lust mehr haben, mit einem Call Center zu telefonieren.
LP: Für viele Prozesse ist die Zugänglichkeit zu Analysenzertifikaten von großer Bedeutung.
Sauveplane: Auch dies haben wir stark vereinfacht. Die digitale Version des Zertifikats ist beispielsweise über unsere E-DATA App zugänglich. Dazu muss lediglich ein QR-Code an der Gasflasche gescannt werden. Alternativ kann der Anwender über die Eingabe einer Nummer am Laptop auf die Zertifikate zugreifen.
LP: Das hört sich sehr einfach an.
Le Van: Ja, und diese Einfachheit ist besonders wichtig. In einer Welt, in der alles komplexer und schneller wird, kann man sich in umständlichen Prozessen verlieren. Wir versuchen, die Pyramide umzudrehen. Wir überlegen nicht, was wir dem Kunden anbieten können, sondern wir achten darauf, was er möchte. Seine Bedürfnisse schnell und simpel zufrieden zu stellen, ist uns wichtig. Und das bei der hohen Komplexität unserer Produkte. Es gibt nur wenige Player, die wie wir derart viele reine Stoffe und Gemische in extrem hoher Qualität liefern können. Und unter denen differenzieren wir uns über Zusatzangebote wie Anwendungs-Know-how, Sicherheit der Zertifikate und Beratung.
LP: Gibt es neben den digitalen Tools weitere neue Angebote?
Sauveplane: Ein Beispiel sind unsere Kalibriergemische für Motorprüfstände. Europäische Autobauer exportieren auch in die USA, müssen also neben den EU-Richtlinien auch die US-Richtlinien bezüglich Emissionen einhalten. Bislang musste ein Prüfstandingenieur dazu zweimal kalibrieren. Das kostete ihn ein bis zwei Stunden – und eine Stunde Prüfstand kommt auf bis zu 1500 Euro. Wir bieten nun Kalibriergasflaschen an, die beiden Richtlinien gerecht werden. Unsere Kunden können damit ohne zusätzlichen Kalibrieraufwand und Zeitverlust die Messung für den EU-Markt und unmittelbar danach die für den US-Markt durchführen.
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