Von Mücken und Mikroplastik Mikroplastik als Stressor für die Artenvielfalt
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Geht es um mögliche Folgen der Verschmutzung unserer Umwelt mit Mikroplastik, werden meist dessen toxikologische Auswirkungen auf Wasserorganismen und nicht zuletzt auch uns Menschen untersucht. Doch die Partikel scheinen auch die Vielfalt der Arten langfristig zu bedrohen.

Biodiversität ist derzeit ein viel diskutiertes Thema, gilt sie doch als ein Inbegriff für eine intakte Umwelt. Herr Prof. Pfenninger, auch Sie beschäftigen sich bei Ihrer Forschung mit der Artenvielfalt – mit welchen Aspekten genau?
Prof. Dr. Markus Pfenninger: Meine Arbeitsgruppe Molekulare Ökologie des Senckenberg Biodiversität und Klimaforschungszentrum ist an den evolutionären und genomischen Reaktionen von Biodiversität auf Umweltveränderungen im Allgemeinen und Klima im Besonderen interessiert. Dazu arbeiten wir im Rahmen des Loewe Translational Biodiversity Genomics Centre (TBG) an der Entwicklung von neuartigen ökotoxikologischen Testmethoden mit genomischen Ansätzen.
Diese neuen Methoden basieren auf der Überlegung, dass sich negative Umweltveränderungen zunächst in physiologischen und evolutionären Veränderungen niederschlagen sollten, lange bevor sich die Artzusammensetzung von Ökosystemen verändert. Es wäre also wünschenswert, wenn man solche negativen Veränderungen zuverlässig und frühzeitig erkennen könnte, noch bevor Arten verschwinden. So haben wir einen Mutagenitätstest für komplexe Tiere entwickelt, mit dem sich das erbgutverändernde Potential von menschengemachten Substanzen überprüfen lässt – man glaubt es kaum, aber so einen Test gab es bisher noch nicht, geschweige denn, dass er bei Einführung einer neuen chemischen Substanz vorgeschrieben ist.
Im Zuge der Entwicklung dieser Methoden haben wir in Zusammenarbeit mit einem Labor in Estland auch Mikroplastik als Stressor untersucht, u. a. weil viele Aspekte von Mikroplastik wenig erforscht sind und die Verschmutzung der Umwelt mit Mikroplastik gerade hohe Aufmerksamkeit genießt.
Inwieweit lassen sich bereits evolutionäre Veränderungen, ausgelöst durch die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln, nachweisen?
Prof. Pfenninger: Wir haben den evolutionären Einfluss von Mikroplastik mit der so genannten „Evolve and Resequence“- Methode untersucht. Diese Methode ist seit einigen wenigen Jahren in der Evolutionsbiologie etabliert; wir haben sie jetzt auf ökotoxikologische Fragestellungen übertragen.
Dabei wird eine genetisch variable Laborpopulation, in diesem Fall von unserem „Haustier“, der Zuckmücke Chironomus riparius, für mehrere Generationen einem sublethalem Stressor ausgesetzt. Es war bereits bekannt, dass Mikroplastik den Mücken nicht gut bekommt, u. a. weil es durch die unvermeidliche Aufnahme mit der Nahrung zu Entzündungen im Verdauungstrakt kommt.
In unserem Versuchsansatz wird zunächst ein gepooltes Genom der Laborpopulation vor der Exposition sequenziert, d. h. wir werfen viele (>80) Larven in einen Topf, isolieren die Erbsubstanz und sequenzieren das Genom. Da jedes Individuum mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu dem Ergebnis beiträgt, erhält man dann quasi einen Schnappschuss der Häufigkeitsverteilung aller genetischen Varianten im gesamten Genom der Population. Diese Messung dient als Referenz, um später Veränderungen feststellen zu können. Gleichzeitig wird durch klassische Ökotoxexperimente der Fitnessverlust der Population durch die Exposition mit Mikroplastik bestimmt, ebenfalls als Basisreferenz.
Am Ende des Experiments wird dann sowohl der Fitnesstest wiederholt als auch nochmals das Populationsgenom sequenziert und das Vorher-Nachher verglichen. Nach nur drei Generationen waren die Ergebnisse im Falle der Mikroplastikexposition frappierend: die Mortalität der Larven, die mit 50 % mehr als 30 % über der der Kontrolle gelegen hatte, war wieder zurück im normalen Bereich. Gleichzeitig hatten sich die Genhäufigkeiten an sehr vielen Stellen im Genom in einem Ausmaß verschoben, der nur durch positive Selektion zu erklären ist – die Mücken hatten sich innerhalb von drei Generationen an das Mikroplastik angepasst! Das hatte bis dato noch niemand nachweisen können. Die Analyse der Genorte, die sich verändert hatten, deutete in der Tat darauf hin, dass u. a. entzündliche Prozesse eine Rolle gespielt haben.
Warum haben Sie gerade die Zuckmücke Chironomus riparius für Ihre Studie ausgewählt?
Prof. Pfenninger: Diese Zuckmücke ist sowohl in der Ökotoxikologie als Versuchsorganismus als auch bei uns im Labor gut etabliert. Obendrein ist die Art durch ihre große Abundanz und Verbreitung im Nahrungsnetz von kleinen Süßgewässern tatsächlich relevant und auch im Feld haben im Laufe der Jahre viele Erkenntnisse über ihre Ökologie gesammelt. Durch die kurze Generationszeit von ca. 28 Tagen kann man Multigenerationenstudien durchführen. Außerdem haben wir im Laufe der Jahre für diese Art umfassende genomische Ressourcen wie ein Referenzgenom geschaffen und damit sehr viel Erfahrung bei der genomischen Analyse gewonnen. Für uns ist diese Art somit ein ideales „Haustier“ – und außerdem mal etwas anderes als immer nur Drosophila.
Kann man die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen auf die verschiedenen Ökosysteme übertragen?
Prof. Pfenninger:Gute Frage; es war zunächst nicht einmal klar, was unsere Ergebnisse tatsächlich für natürliche Populationen auch nur der von uns untersuchten Art bedeuten. Zunächst erscheint die Tatsache, dass sich die Zuckmücken innerhalb kürzester Zeit an das Mikroplastik anpassen konnten, als gute Nachricht. Zwar ist Mikroplastik zunächst schädlich, aber nach wenigen Generationen macht es den Tieren offenbar nichts mehr aus – Problem gelöst!?
Tatsächlich aber spiegelt das Experiment ganz sicher nicht nicht die Situation in natürlichen Populationen und Ökosystemen wider. Erstens hat die Versuchssituation nicht alle negativen Auswirkungen von Mikroplastik auf die Fitness aufgezeigt. Zum Beispiel beeinflusst die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln die Nährstoffaufnahme im Darm direkt oder indirekt und könnte in nährstoffarmen Phasen, z. B. im Winter, negative Auswirkungen haben. Zweitens könnte die Anpassung an Mikroplastik wichtige andere Anpassungen, wie die Kontrolle der Mutationsrate, außer Kraft setzen. Diese hängt u. a. an Entzündungsreaktionen bzw. deren Unterdrückung, so dass es dort Wechselwirkung geben könnte. Drittens ist bekannt, dass sich nicht alle Arten so schnell anpassen können wie die Zuckmücken. Auf diese hätte Mikroplastik auch längerfristig schädliche Auswirkungen.
Nicht zuletzt zeigte die Studie, dass das Vorhandensein von Mikroplastik das Potenzial hat, die evolutionäre Entwicklung von damit konfrontierten Populationen für immer zu verändern. Mit unserem Plastikmüll vergiften wir unsere Umwelt nicht nur - was sich mit viel Aufwand eventuell rückgängig machen ließe - wir greifen vielmehr unumkehrbar und in unvorhersehbarer Weise in ihre Zukunft ein. Dies zeigt, dass Mikroplastik eine unterschätzte Bedrohung für Ökosysteme darstellt, auch wenn unmittelbar schädliche Auswirkungen scheinbar ausbleiben.
Herr Prof. Pfenninger, vielen Dank für das Gespräch.
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