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Mikroplastik & Citizen Science: Wenn die Öffentlichkeit die Forschung lenkt

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Der Druck der Öffentlichkeit – ein Beispiel

Wie verändertes Bürgerbewusstsein politisches Handeln beeinflussen kann, wird am Beispiel des Umgangs mit Per- und Polyfluoralkylsubstanzen in den USA deutlich. Diese organisch-chemischen Verbindungen, zu denen Substanzen wie PFOA und PFOS gehören, werden häufig zur Herstellung von Teppichen, Textilien, Lebensmittelverpackungsmaterialien und Antihaft-Kochgeschirr verwendet und sind auch für die Brandbekämpfung auf Flugplätzen und in anderen industriellen Prozessen üblich. Hierbei handelt es sich um persistente synthetische Fluorchemikalien, die in der Umwelt nicht abgebaut werden und in den USA in der Trinkwasserversorgung gefunden wurden [12]. Innerhalb kurzer Zeit und mit dem Engagement von Wissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern und der Öffentlichkeit, wurde die Verunreinigung von Trinkwasser durch PFOA und PFOS aus der Unsichtbarkeit zu einer Angelegenheit intensiven öffentlichen Engagements [13, 14].

In den USA waren die Auswirkungen auf die Gesundheit der EPA und der Industrie seit den frühen 1960er Jahren bekannt, sie blieben jedoch bei Konsum- und Industrieprodukten allgegenwärtig [15]. Diese Fluorchemikalien, insbesondere ihre Präsenz im Grundwasser und in der öffentlichen Wasserversorgung, sind durch verschiedene öffentliche Mechanismen an die Spitze der Umweltdebatten und des politischen Drucks in den USA gerückt [16]. Das veränderte öffentliche Bewusstsein über PFOA und PFAS in den USA führte zu dem dringend benötigten umwelt- und gesundheitssensibleren Umgang mit diesen Substanzen.

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Mittlerweile adressieren viele Forscher auch das Problem der (Mikro-)Plastikverschmutzung nicht nur im wissenschaftlichen Kontext, sondern vermehrt zielen sie auch auf die gesellschaftliche Wahrnehmung ab. Es wird klarer kommuniziert, dass die Verunreinigungen von Süßwasser durch (Mikro-)Plastik und deren umwelt- und gesundheitsrelevanten Auswirkungen eine ebenso stärkere Präsenz im öffentlichen Raum und die Einbindung von Nicht-Wissenschaftlern und Bürgern benötigen [17].

Wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit kann ein Weg zur Einbeziehung der Bürger sein, ein wichtiger Schritt, um politische Veränderungen und Maßnahmen zu bewirken. Mikroplastik im Süßwasser ist ein an sich komplexes Thema. Die Verunreinigungen sind sind teilweise nur schwer mit bloßem Auge sichtbar, haben vielerlei Ursachen und die Auswirkungen sind nicht direkt erkennbar oder spürbar. Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung zu visualisieren, zum Nachdenken anzuregen oder dagegen zu mobilisieren ist desto schwieriger je abstrakter und wenig sichtbar diese sind [18]. Daher ist es nicht unkompliziert, den Großteil der Ansammlung von Süßwasser-Mikroplastik zu adressieren, da dies die Bereiche Industrieverpackung und -reinigung, die Entsorgung von Gewerbe und Behörden, die Bekleidungsindustrie sowie das Verhalten und die Wahl des Verbrauchers umfasst. In Abhängigkeit von dem Frischwasserkörper entsteht eine signifikante Menge an Mikroplastik-Verunreinigung aus den folgenden Punkten:

  • Abbau von Einwegkunststoff, wie Verpackungsmaterial;
  • industrielle Schleifmittel und
  • Abbau bestimmter synthetischer Bekleidungsfasern beim Waschen [19].

Strategien zur Senkung des Mikroplastikanteils im Süßwasser fallen mit der Verringerung der Kunststoffverschmutzung im Allgemeinen zusammen und reichen „von Wiederverwendung, umweltfreundlicher Chemie, Recyclingkonzepten, verbesserter Abfallbewirtschaftung, standardisierter Kennzeichnung, Schulung, Reinigungsprogrammen und nachhaltigem Konsum“ [20].

Angesichts der Komplexität und der Unsicherheit der Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt und der Anzahl der betroffenen Sektoren sollte jegliches Engagement der Öffentlichkeit zu Zwecken der Bildung, kollaborativen Diskussion und politischen Änderungen genutzt werden. Citizen Science, die als Konsenskonferenzen und Diskussionsforen durchgeführt wird, kann Katalysator für mehr Engagement und Aktionen der Öffentlichkeit sein.

Darüber hinaus ist die Wahrnehmung öffentlicher Risiken in Bezug auf die Ansammlung von Plastikverschmutzung in der Meeresumwelt relativ gut entwickelt. Das Süßwasserverunreinigungsproblem könnte möglicherweise darauf aufbauen. Citizen Science schafft als integrativer und partizipativer Ansatz eine Atmosphäre der Transparenz und Bürgerlichkeit bei aufkommenden Umweltproblemen. Er hat das Potenzial sowohl Wissenschaftlern als auch politischen Entscheidungsträgern, Empfehlungen für den Weg zur Verringerung der Mikroplastik-Kontamination im Süßwasser zu geben.

Artikelserie: Mikroplastik im Wasser In der Artikelserie des Projektes „Wasser 3.0“ stellt die Forscherin Dr. Katrin Schuhen Erkenntnisse über die Folgen von Mikroplastik im Wasser vor. Auch Strategien zum Nachweis und zur Beseitigung von Plastikpartikeln sind Thema der Artikelserie.

Teil 1: Mikroplastik & Citizen Science: Wenn die Öffentlichkeit die Forschung lenkt

Teil 2: Eine Frage, viele Meinungen: Mikroplastik, was ist das?

Teil 3: Mikroplastikanalytik: Was bin ich, und wenn ja wie viele

Teil 4: Mikroplastik gesucht

Teil 5: Problemklärung – Mikroplastik im Abwasser

Literatur:

[1] Statista (2019) https://www.statista.com/statistics/282732/global-production-of-plastics-since-1950/

[2] Jambeck JR, Geyer R, Wilcox C., Siegler TR, Perryman M, Andrady A, Narayan R, Law KL, (2015) Plastic waste inputs from land into the ocean. In: Science. 347, 2015, S. 768–771.

[3] OrbMedia (2017), https://orbmedia.org/stories/Invisibles_plastics

[4] Mason (2018)

[5] Mintenig SM., Löder MGJ, Primpke S, Gerdts G. Low numbers of microplastics detected in drinking water from ground water sources (2019) Science of The Total Environment, Volume 648, 15 January 2019, Pages 631-635, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2018.08.178.

[6] Lewenstein, BV What does citizen science accomplish? (2004), Cornell University, https://hdl.handle.net/1813/37362

[7] Gordienko, Y (2013). Green Paper on Citizen Science. SOCIENTIZE Consortium, 2013

[8] Bonn, A., Richter, A., Vohland, K., Pettibone, L., Brandt, M., Feldmann, R., Goebel, C., Grefe, C., Hecker, S., Hennen, L., Hofer, H., Kiefer, S., Klotz, S., Kluttig, T., Krause, J., Küsel, K., Liedtke, C., Mahla, A., Neumeier, V., PremkeKraus, M., Rillig, M. C., Röller, O., Schäffler, L., Schmalzbauer, B., Schneidewind, U., Schumann, A., Settele, J., Tochtermann, K., Tockner, K., Vogel, J., Volkmann, W., von Unger, H., Walter, D., Weisskopf, M., Wirth, C., Witt, T., Wolst, D. & D. Ziegler (2016): Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Leipzig, Museum für Naturkunde Berlin, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (MfN), Berlin-Brandenburgisches Institut für Biodiversitätsforschung (BBIB), Berlin.

[9] Jamieson AJ, Brooks LSR, Reid WDK, Piertney SB, Narayanaswamy BE, Linley TD (2019) Microplastics and synthetic particles ingested by deep-sea amphipods in six of the deepest marine ecosystems on earth. R Soc Open Sci 6:180667. https://doi.org/10.1098/rsos.180667

[10} Eerkes-Medrano D, Thompson RC, Aldridge DC (2015) Microplastics in freshwater systems: a review of the emerging threats, identification of knowledge gaps and prioritisation of research needs. Water Res 75:63–82. https://doi.org/10.1016/j.watres.2015.02.012

[11] Li J, Liu H, Paul Chen J (2018) Microplastics in freshwater systems: a review on occurrence, environmental effects, and methods for microplastics detection. Water Res 137:362–374. https://doi.org/10.1016/j.watres.2017.12.056

[12] Andrews D (2019) Report: Up to 110 million Americans could have PFAS-contaminated drinking water

[13] Cordner A, De La Rosa VY, Schaider LA et al (2019a) Guideline levels for PFOA and PFOS in drinking water: the role of scientific uncertainty, risk assessment decisions, and social factors. J Expo Sci Environ Epidemiol 29:157–171. https://doi.org/10.1038/s41370-018-0099-9

[14] Cordner A, De La Rosa VY, Schaider LA et al (2019b) Correction: guideline levels for PFOA and PFOS in drinking water: the role of scientific uncertainty, risk assessment decisions, and social factors. J Expo Sci Environ Epidemiol. https://doi.org/10.1038/s41370-019-0134-5

[15] Richter L, Cordner A, Brown P (2018) Non-stick science: sixty years of research and (in)action on fluorinated compounds. Soc Stud Sci 48:691–714. https://doi.org/10.1177/0306312718799960

[16] Bruton TA, Blum A (2017) Proposal for coordinated health research in PFAS-contaminated communities in the United States. Environ Health 16:120. https://doi.org/10.1186/s12940-017-0321-6

[17] Frickel S, Gibbon S, Howard J, Kempner J, Ottinger G, Hess DJ (2010) Undone science: charting social movement and civil society challenges to research agenda setting. Sci Technol Hum Values 35:444–473. https://doi.org/10.1177/0162243909345836

[18] Syberg K, Hansen SF, Christensen TB, Khan FR (2018) Risk perception of plastic pollution: importance of stakeholder involvement and citizen science. In: Wagner M, Lambert S (eds) Freshwater microplastics. Springer International Publishing, Cham, pp 203–221.

[19] Dris R, Imhof H, Sanchez W, Gasperi J, Galgani F, Tassin B, Laforsch C (2015) Beyond the ocean: contamination of freshwater ecosystems with (micro-)plastic particles. Environ Chem 12:539. https://doi.org/10.1071/EN14172

[20] Kramm J, Völker C (2018) Understanding the risks of microplastics: a social-ecological risk perspective. In: Wagner M, Lambert S (eds) Freshwater microplastics. Springer International Publishing, Cham, pp 223–237.

* Dr. K. Schuhen: Wasser 3.0, 76187 Karlsruhe, E-Mail: schuhen@wasserdreinull.de

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