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Wechselwirkungen in künstlichen Systemen Nanopartikel formieren sich durch Informationsaustausch

Autor / Redakteur: Susann Huster* / Christian Lüttmann

Wie können Vögel in einem Schwarm agieren, ohne sich gegenseitig anzustoßen? Das Geheimnis liegt im ständigen Informationsaustausch mit den nächsten Nachbarn. Inwieweit eine Selbstorganisation in künstlichen Systemen möglich ist, haben nun Forscher der Universitäten in Leipzig und Princeton untersucht. Sie ließen Nanopartikel in definierten Formationen schwimmen, als wären sie zusammengesetzte Einheiten.

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Illustration der verwendeten Mikroschwimmer und dem Informationsfluss zwischen diesen.
Illustration der verwendeten Mikroschwimmer und dem Informationsfluss zwischen diesen.
(Bild: Prof. Dr. Frank Cichos)

Leipzig, Princeton/USA – Die Physik untersucht Wechselwirkungen, die die elementaren Bausteine der Materie zusammenhalten und Materialien mit all ihren Eigenschaften erzeugen. Neben diesen fundamentalen Kräften existieren aber auch Mechanismen, die Strukturen bilden, ohne dass zwischen den Objekten eine direkte Kraft wirken muss. Die Rede ist von Selbstorganisationsprozessen.

Selbstorganisationsprozesse existieren zum Beispiel in einem Schwarm von Bienen oder Vögeln, ohne dass es eine direkte physikalische Kraft zwischen den Individuen des Schwarms geben muss. Möglich wird dies nur durch den Informationsfluss: Lebendige Organismen nehmen Informationen aus ihrer Umwelt auf, verarbeiten und reagieren auf diese. Bereits Zellen oder Bakterien registrieren Informationen aus ihrer Umgebung über Rezeptoren und steuern so unter anderem ihre Bewegung. Informationen und deren Verarbeitung sind also ein wichtiger Teil lebender Systeme.

In Bewegung formen sich „Mikroschwimmer-Moleküle“

Wie auch in unbelebten Systemen durch Informationsaustausch zwischen einzelnen Objekten neue Strukturen mit besonderen Eigenschaften entstehen können, haben nun Wissenschaftler der Universitäten in Leipzig und Princeton haben in Experimenten herausgefunden. Es gelang ihnen nach eigenen Angaben, mit gezielten Informationen Objekte aneinanderzubinden – so genannte künstliche Mikroschwimmer. Diese kleinsten mit Goldnanopartikeln beschichteten Polymerkugeln können sich zielgerichtet in Flüssigkeiten bewegen.

Die Physiker und Chemiker fanden bei ihren Experimenten heraus, dass diese Mikroschwimmer, die wie lebende Systeme Energie in eine aktive Bewegung umwandeln, durch diese Bewegung aneinander gebunden werden können. Sie bildeten zusammenhängende Einheiten oder sozusagen Mikroschwimmer-Moleküle aus, solange sie durch einen Laserstrahl bewegt wurden.

Laser als Richtungsweiser

Künstliche Systeme wie die von den Forschern untersuchten Mikroschwimmer können Informationen allerdings nicht selbst verarbeiten und auf sie reagieren, wie Utsab Khadka sagt, der Postdoc in der Arbeitsgruppe von Haw Yang an der Universität in Princeton in den USA ist. Um die Mikroschwimmer „schlauer“ zu machen, verwenden die Forscher daher einen Laser, der anhand der Information über die Entfernung anderer Schwimmer entscheidet, in welche Richtung die Schwimmer sich bewegen sollen. „Sobald man Informationen aus seiner Umgebung wahrnimmt, verarbeitet und auf diese reagiert, hat man die Möglichkeit, über die Wirkung physikalischer Kräfte hinaus zu gehen“, erläutert Physiker Prof. Dr. Frank Cichos von der Universität Leipzig. „Es lassen sich Strukturen erzeugen, die nicht mehr einfach nur vom komplexen Zusammenspiel der Wechselwirkung zwischen Ladungen entstehen“, fügt er hinzu.

Der Maxwell‘sche Dämon – ein Gedankenexperiment

In der Physik gibt es dazu ein berühmtes von James Clerk Maxwell ersonnenes Gedankenexperiment – den Maxwell‘schen Dämon: Ein kleiner Dämon ist in der Lage, eine Tür zwischen zwei Räumen zu öffnen und zu schließen, ohne dabei Arbeit zu verrichten. Er beobachtet die Gasmoleküle in den zwei Räumen und aufgrund seiner Beobachtung lässt er die schnellen Gasmoleküle durch die Tür in einen der beiden Räume und lässt die langsamen im anderen Raum.

Dadurch entsteht ein Temperaturunterschied zwischen beiden Räumen, ohne dass der Dämon Arbeit verrichtet hat. Der Prozess verstößt folglich gegen die Gesetze der Physik, denn man könnte mit dem „kostenlos“ generierten Temperaturunterschied wieder eine Maschine betreiben, die Arbeit verrichtet. „Eine Lösung des Problems erhält man nur, wenn man die Information, die der Dämon über die Gasmoleküle sammelt, in seine physikalische Beschreibung mit einbezieht“, sagt Physiker Dr. Viktor Holubec von der Universität Leipzig.

Intelligente Schwärme künstlicher Schwimmer?

Die Forscher aus Leipzig und Princeton nutzten in ihren Experimenten die Information über den Abstand der Mikroschwimmer zueinander. Die Polymerkugeln reagierten auf diesen Abstand und organisierten sich allein dadurch zu einer Art Mikroschwimmer-Molekül, wie die Wissenschaftler berichten. Diese Strukturen existieren nur, solange die Schwimmer sich aktiv bewegen. Sie weisen eine Dynamik auf, wie man sie von echten Molekülen kennt.

Aus ihren Modelluntersuchungen erhoffen sich die beteiligten Chemiker und Physiker neue Erkenntnisse über die Rolle von Informationen für das kollektive Verhalten von lebendigen Organismen. Die von den Forschern entwickelten Kontrollstrategien können außerdem mit Algorithmen des Maschinenlernens verknüpft werden, um intelligente Schwärme künstlicher Mikroschwimmer künftig nutzbringend einzusetzen, etwa zur Therapie von Krankheiten oder bei der Reinigung von Gewässern.

Originalpublikation: Utsab Khadka, Viktor Holubec, Haw Yang & Frank Cichos: Active particles bound by information flows. Nature Communications volume 9, Article number: 3864 (2018) ; DOI: 10.1038/s41467-018-06445-1

* S. Huster, Universität Leipzig, 04109 Leipzig

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