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Neurobiologie des Wohlbefindens Treppensteigen gegen Winterblues

Von Dr. Sabine Fodi*

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Sport macht glücklich. Und schon ein wenig Bewegung im Alltag, wie Treppensteigen oder zu Fuß einkaufen gehen, steigern das Wohlbefinden. Welche Bereiche im Gehirn dabei eine Rolle spielen, haben nun Forscher in einer Kombinationsstudie aus Befragungen und MRT-Experimenten untersucht.

Selbst Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen können sich sich positiv auf das seelische Wohlbefinden auswirken.
Selbst Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen können sich sich positiv auf das seelische Wohlbefinden auswirken.
(Bild: Markus Breig, KIT)

Karlsruhe, Manheim, Heidelberg – Die Tage werden kürzer, es ist dunkel und kalt. Das kann so manchem aufs Gemüt drücken und schlechte Laune oder sogar eine saisonal abhängige Depression hervorrufen, den so genannten Winterblues. Um dem vorzubeugen, raten Experten schon lange zu einer einfachen Maßnahme: Bewegung. Sie verbessert das körperliche Wohlbefinden und die geistige Gesundheit erheblich.

Allerdings war bisher wenig untersucht, wie genau sich alltägliche Aktivitäten wie Treppensteigen, Spazierengehen oder Zur-Straßenbahn-Laufen auf die eigene Befindlichkeit auswirken – speziell: welche Gehirnstrukturen daran beteiligt sind. Dies haben nun Forscher des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, des Instituts für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) am KIT und des Geoinformatischen Instituts der Universität Heidelberg untersucht. „Schon das alltägliche Treppensteigen kann helfen, sich wach und energiegeladen zu fühlen und damit das Wohlbefinden zu steigern“, lautet eine zentrale Erkenntnis der Wissenschaftler.

Dem „Wohlbefinden durch Bewegung“ auf der Spur

Gerade in der derzeitigen Situation mit Kontaktbeschränkungen und weiteren Coronamaßnahmen sind die Erkenntnisse der Studie relevant. „Aktuell leiden wir unter starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens und unserer sozialen Kontakte, was sich auf unser Wohlbefinden niederschlagen kann“, sagt Professorin Heike Tost, Leiterin der Arbeitsgruppe Systemische Neurowissenschaften in der Psychiatrie am ZI. „Da kann es helfen, öfter mal Treppen zu steigen, um sich besser zu fühlen.“

Was bei solchen Alltagsaktivitäten im Kopf passiert, haben die Forscher mit einer neuartigen Kombination verschiedener Methoden im Alltag und im Labor untersucht. Sie nutzten Alltagserhebungsverfahren (so genannte Ambulante Assessments) mit Bewegungssensoren. Dazu gehörten auch Fragen zum Wohlbefinden, die abhängig von Geolokalisationsdaten ans Smartphone der Probanden geschickt wurden, sobald diese sich bewegten.

Mit diesen Alltagserhebungsverfahren wurde bei 67 Personen der Einfluss der Alltagsaktivität auf die Wachheit und Energiegeladenheit über sieben Tage hinweg erfasst. Dabei zeigte sich, dass die Studienteilnehmer sich direkt nach alltäglicher Aktivität wacher und energiegeladener fühlten. Wachheit und Energiegeladenheit wiederum waren nachweislich wichtige Komponenten des Wohlbefindens und der psychischen Gesundheit.

Graue Substanz zeigt Empfänglichkeit für Bewegungsglück an

Die Ergebnisse aus den Alltagstests kombinierten die Wissenschaftler mit Magnetresonanztomografie (MRT)-Analysen einer weiteren Gruppe von 83 Personen. Dabei untersuchten sie das Volumen der grauen Hirnsubstanz, um herauszufinden, welche Areale im Gehirn für diese Alltagsprozesse eine Rolle spielen.

Wichtig für das Zusammenspiel von Alltagsbewegung und affektivem Wohlbefinden ist ein Bereich der Großhirnrinde, der subgenuale Anteil des Anterior Cingulären Cortex. Diese Hirnregion beeinflusst Emotionen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber psychiatrischen Erkrankungen. Die Autoren der Studie haben diese Hirnregion nun als ein entscheidendes neuronales Korrelat identifiziert, das den Zusammenhang von körperlicher Aktivität und subjektiver Energiegeladenheit vermittelt. „Personen, die ein geringeres Volumen an grauer Hirnsubstanz in dieser Region aufwiesen und ein erhöhtes Risiko haben, an psychiatrischen Erkrankungen zu leiden, fühlten sich einerseits weniger energiegeladen, wenn sie körperlich inaktiv waren“, beschreibt Neurowissenschaftlerin Tost die Ergebnisse, „aber andererseits fühlten sie sich nach alltäglicher Bewegung deutlich energiegeladener als Personen mit größerem Hirnvolumen.“

Per App zu mehr Aktivität und Wohlbefinden?

Professor Andreas Meyer-Lindenberg, Vorstandsvorsitzender des ZI und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, schlussfolgert, dass „die Ergebnisse damit auf einen spezifischen Nutzen von körperlicher Aktivität im Alltag für das Wohlbefinden hinweisen, insbesondere bei Menschen, die anfällig für psychiatrische Erkrankungen sind.“

Die Studienergebnisse könnten z.B. in die Entwicklung einer Gesundheits-App fließen. Diese würde die Nutzer bei sinkender Energie zu Bewegung stimulieren, um das Wohlbefinden zu steigern. „Langfristig ist in Studien zu klären, ob sich durch Alltagsbewegung kausal das Wohlbefinden und das Hirnvolumen verändern lassen und inwieweit diese Ergebnisse helfen könnten, psychiatrische Erkrankungen zu vermeiden und zu therapieren“, schließt Dr. Urs Braun, Leiter der Arbeitsgruppe Komplexe Systeme in der Psychiatrie am ZI.

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Originalpublikation: Markus Reichert, Urs Braun, Gabriela Gan, Iris Reinhard, Marco Giurgiu, Ren Ma, Zhenxiang Zang, Oliver Hennig, Elena Koch, Lena Wieland, Janina Schweiger, Dragos Inta, Andreas Hoell, Ceren Akdeniz, Alexander Zipf, Ulrich Ebner-Priemer, Heike Tost and Andreas Meyer-Lindenberg: A neural mechanism for affective well-being: Subgenual cingulate cortex mediates real-life effects of nonexercise activity on energy, Science Advances, Vol. 6, no. 45, 2020. DOI: 10.1126/sciadv.aaz8934

* Dr. S. Fodi, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 76131 Karlsruhe

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