Acrylamid Vergolden statt verkohlen – Acrylamid und Glycidamid
Wegen der krebserregenden Stickstoffverbindungen Acrylamid und zuletzt Glycidamid sind frittierte Lebensmittel in die Kritik geraten. Dr. Michael Granvogl, dessen Team im August Ergebnisse zum Glycidamid in Kartoffelprodukten veröffentlichte, erläutert im LP-Exklusivinterview, warum das Frittieröl einen großen Einfluss auf den Glycidamid-Anteil hat.
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LaborPraxis: Herr Dr. Granvogl, im August 2008 konnten Sie erstmals das krebserregende Glycidamid direkt in Kartoffelchips und Pommes frites nachweisen. Welches Verfahren verwendeten Sie zum Nachweis?
Dr. Michael Granvogl: Wir entwickelten eine neue Stabilisotopenverdünnungsanalyse (SIVA) zur qualitativen und quantitativen Bestimmung von Glycidamid in Kombination mit der HPLC-MS. Die SIVA eignet sich besonders zur Bestimmung von Komponenten im Spurenbereich, in dem man sich bei „foodborne toxicants“ (aus Lebensmittelinhaltsstoffen gebildeten, toxikologisch bedenklichen Substanzen) befindet. Hierfür wird zur Quantifizierung einer Substanz wie Glycidamid ein interner Standard verwendet, der sich vom Analyten nur dadurch unterscheidet, dass z.B. das Kohlenstoffisotop C12 durch das ebenfalls stabile Isotop C13 substituiert ist. Demzufolge verwendeten wir zur quantitativen Glycidamid-Bestimmung [13C3]-Glycidamid. Dieser Standard wird zu Analysenbeginn der Lebensmittelprobe zugesetzt, um dadurch in Folge alle auftretenden Aufarbeitungsverluste exakt kompensieren zu können, da das chemische und physikalische Verhalten von stabilisotopenmarkierten Standards fast zu 100 Prozent identisch mit dem jeweils korrespondierenden Analyten ist. Um eine hohe Selektivität und Sensitivität bei der Messung zu erreichen, wurden sowohl Analyt als auch Standard vor der LC-MS/MS-Messung durch Derivatisierung mit 2-Mercaptobenzoesäure in stabile Thioether überführt.
LaborPraxis: Welche genauen Resultate erzielten Sie bei Ihren Untersuchungen?
Dr. Granvogl: Unsere Analysen zeigten, dass in allen untersuchten Proben wie Kartoffelchips, kommerzielle Pommes frites oder nach haushaltsüblichen Methoden zubereitete Pommes frites, Glycidamid nachzuweisen war. Interessant war dabei, dass in länger erhitzten Pommes frites die Glycidamidmenge deutlich anstieg. Beispielsweise konnte bei der Zubereitung von vorfrittierten Pommes im Umluftherd ein Anstieg von 0,29 auf 0,63 µg Glycidamid/kg festgestellt werden, wenn wir die Zubereitungszeit von fünf auf acht Minuten erhöhten.
LaborPraxis: Gab es noch andere Einflussfaktoren?
Dr. Granvogl: In der Tat, eine weitere bemerkenswerte Erkenntnis war, dass das verwendete Frittiermedium einen nicht unerheblichen Einfluss auf die gebildete Glycidamidmenge hatte: Pommes, die in Kokosfett frittiert wurden, enthielten lediglich Spuren an Glycidamid (0,002 – 0,02 µg/kg, abhängig von der Erhitzungsdauer), wohingegen in Sonnenblumenöl zubereitete Pommes Glycidamid in Konzentrationen von 0,21 bis 0,41 µg/kg enthielten. Diese Ergebnisse bestätigten Daten aus Modellversuchen, die wir in unserem Labor durchgeführt hatten, wonach bei Verwendung von Fetten mit hohem Anteil ungesättigter Fettsäuren die Bildung von Glycidamid gefördert wird. Dies steht in Zusammenhang mit der Bildung von Reaktionsprodukten bei der Erhitzung ungesättigter Fettsäuren (Fettsäurehydroperoxide), die dann in einer Folgereaktion anfangs gebildetes Acrylamid in Glycidamid umwandeln können.
LaborPraxis: Wie sehen Sie die toxikologischen Risiken von Glycidamid im Vergleich zu Acrylamid?
Dr. Granvogl: In verschiedenen in vitro-Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Glycidamid im Vergleich zu Acrylamid seine karzinogene Wirkung in viel geringeren Mengen verursacht. Jedoch gibt es zum jetzigen Zeitpunkt, meines Wissens nach, keine Studien, die eine fundierte toxikologische Aussage ermöglichen. Zudem muss man wissen, dass Glycidamid in der Leber auf enzymatischem Weg aus Acrylamid gebildet wird, d.h. Glycidamid ist für unseren Körper kein unbekanntes Molekül. Aufgrund unserer neuen Studie ist jedoch die Tatsache zu beachten, dass ein oral aufgenommenes Karzinogen ein völlig anderes Wirkungsspektrum mit sich bringen kann als ein Karzinogen, das in der Leber gebildet wird. Eine endgültige toxikologische Bewertung ist aber auf Basis der aktuellen Datenlage nicht möglich.
LaborPraxis: Was bedeuten Ihre Forschungsergebnisse für Industrie und Endverbraucher?
Dr. Granvogl: Für die Zubereitung von gebratenen und frittierten Speisen empfehlen wir nach unseren Ergebnissen daher die Regel: „Vergolden statt verkohlen.“ Acrylamid und Glycidamid entstehen erst ab Temperaturen um 120 °C. Oberhalb von 180 °C entstehen deutlich größere Mengen an Acrylamid. Mit einer Frittiertemperatur von 175 °C und kurzen Frittierzeiten hält der Verbraucher die Belastung durch Acrylamid nach derzeitigem Wissen in tolerierbaren Grenzen. Zudem sollte man zum Erhitzen von Speisen lieber auf gesättigte Fette zurückgreifen und die ungesättigten Öle und Fette zur Zubereitung von Kaltspeisen oder von Speisen, für die nur geringe Temperaturen notwendig sind, einsetzen.
LaborPraxis: Sie arbeiten am Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der TU München in Garching. An welchen Forschungsprojekten wird hier zurzeit gearbeitet? Bitte nennen Sie unseren Lesern einige aktuelle Beispiele.
Dr. Granvogl: Am Lehrstuhl für Lebensmittelchemie werden in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (Univ.-Prof. P. Schieberle, Prof. P. Köhler) verschiedene Schwerpunktthemen bearbeitet. Dazu zählen neben der Bildung von toxikologisch bedenklichen Verbindungen in Lebensmitteln (Acrylamid, Glycidamid, Mykotoxine) die Aromastoffanalytik, d.h. die Charakterisierung von geruchsaktiven Inhaltsstoffen, die einen Beitrag zum Qualitätsparameter „Genusswert“ von Lebensmitteln leisten. Beispielhaft seien hier die Analytik von sensorischen Qualitätsveränderungen in Abhängigkeit vom Rohstoff und von technologischen Verfahrensschritten, die Klärung chemischer und biochemischer Reaktionsabläufe zur Bildung von Aromastoffen bei Verarbeitung und Lagerung sowie die Charakterisierung von Aromavorstufen genannt. So gelang es kürzlich die wichtigsten Aromastoffe für Whisky zu identifizieren und zu quantifizieren, womit das Whiskyaroma rekonstituiert werden konnte. Einen weiteren Themenschwerpunkt stellt die Klärung von Struktur/Wirkungsbeziehungen bei Biopolymeren dar. Hierbei ist das Ziel eine Qualitätsverbesserung durch gezielte chemische, enzymatische sowie physikalisch-chemische und technologische Maßnahmen.
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