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Die Jagd nach Sensationen
Der Publikationsdruck spielt nicht nur den Raubverlagen zu, er beeinflusst auch, welche Forschung überhaupt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vordringt. Denn während es Raubverlegern prinzipiell egal ist, wie gut ein Artikel bei den Lesern ankommt – sie sind nur auf die Publikationsgebühr aus –, sind bekannte Wissenschaftsjournale wie Nature und Science auch von den Wünschen ihrer Leserschaft abhängig. Schließlich heben sich die High-Impact-Journale durch ihren großen Einfluss – gemessen am Impact-Faktor – von der Konkurrenz ab. Und der kann nur erreicht werden, wenn die Artikel besonders viele Leser ansprechen und möglichst oft zitiert werden.
So entsteht eine fragwürdige Synergie zwischen den Lesern auf der einen Seite, die von packenden Wissenschaftsdurchbrüchen lesen wollen, und den Verlagen auf der anderen Seite, die sich mit Vorliebe eben solche Artikel aus ihrem Angebot an Einreichungen herauspicken. In diesem sich gegenseitig verstärkenden Wechselspiel werden die Wissenschaftler geradezu getrieben, ihre Ergebnisse den Anforderungen von Verlagen und Lesern anzugleichen und möglichst Sensationelles zu präsentieren. Unter Umständen werden dafür die Daten sehr wohlwollend ausgewertet und lineare Regressionen gemacht, wo eigentlich keine hingehören. Gelegentlich müssen daher einzelne Artikel korrigiert oder gar vollständig revidiert werden. Ein Prozess, der besonders bei den High-Impact-Journalen einen größeren Anteil der Publikationen betrifft (s. Abbildung).
Das Fordern von Verlagen und Leserschaft nach großen wissenschaftlichen Durchbrüchen hat vermutlich auch eine weitere kritisch zu hinterfragende Entwicklung begünstigt: Es gibt immer weniger Veröffentlichungen von widerlegten Arbeitshypothesen; stattdessen ist der Anteil an Positiv-Ergebnissen signifikant gewachsen – laut einer Untersuchung von Daniele Fanelli [1] um durchschnittlich 20% zwischen 1990 und 2007.
Aber Fehlschläge und deren detaillierte Aufarbeitung sind ein wichtiger Bestandteil guter Wissenschaft. Alleine schon, um Nachwuchswissenschaftlern kein verzerrtes Weltbild zu liefern. Denn misslungene Experimente gehören schließlich ebenso oder gar stärker zum Alltag eines Forschers wie die von Erfolg gekrönten. Doch es liegt wohl in der menschlichen Natur, dass neue und positiv formulierte Ergebnisse einen gefühlt höheren Wert haben als die Auseinandersetzung mit bereits Bekanntem oder Fehlgeschlagenem.
[1] Daniele Fanelli, https://link.springer.com/article/10.1007/s11192-011-0494-7, Negative results are disappearing from most disciplines and countries, Scientometrics, March 2012, Volume 90, Issue 3, pp 891–904; DOI: 10.1007/s11192-011-0494-7
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