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Blaugrüne Felskugel ist Alge des Jahres 2017 Alge besiedelt alle Regionen der Erde

Redakteur: Dipl.-Chem. Marc Platthaus

Sie besiedelt die heißen Wüsten der Erde und die kalte Antarktis – die Alge Chroococcidiopsis oder Blaugrüne Felsenkugel. Das Cyanobakterium kann nicht nur große Temperaturunterschiede kompensieren sondern auch ausgezeichnet auf Wassermangel reagieren. Algenforscher haben den nur Tausendstel Millimeter großen Einzeller nun zur Alge des Jahres 2017 gekürt.

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Nach dem Aufbrechen der Beacon-Sandstein genannten Felsformation in der Antarktis wird die in den obersten Millimetern lebende Blaugrüne Felskugel (Chroococcidiopsis) sichtbar (siehe Pfeile).
Nach dem Aufbrechen der Beacon-Sandstein genannten Felsformation in der Antarktis wird die in den obersten Millimetern lebende Blaugrüne Felskugel (Chroococcidiopsis) sichtbar (siehe Pfeile).
(Bild: Burkhard Büdel, TU Kaiserslautern)

Kaiserslautern – Lebensfeindliche Orte kann die Blaugrüne Felskugel als erstes und zunächst oft einziges Lebewesen besiedeln, weil sie nicht nur hohe und niedrige Salzkonzentrationen und UV-Strahlung aushält, sondern auch weil sie auch ein breites Temperaturspektrum verkraftet. „Wir haben Chroococcidiopsis sowohl in den obersten drei bis vier lichtdurchlässigen Millimetern in Granit, Marmor und Sandsteinen als auch in den trockenen Böden der Wüsten und in heißen Quellen gefunden“, schildert Prof. Dr. Burkhard Büdel von der TU Kaiserslautern, der sich seit mehr als 30 Jahren mit der Forschung an der Blaugrünen Felskugel beschäftigt. Er ist Mitglied der Sektion Phykologie der Deutschen Botanischen Gesellschaft, in der die Algenforscher organisiert sind, und in der die Alge des Jahres gewählt wird.

„Das Cyanobakterium kommt auf allen Kontinenten vor: in Europa, der Arktis und der Antarktis, in der afrikanischen Namib-Wüste, auf dem australischen Uluru, früher Ayers Rock genannt, im US-amerikanischen Grand Canyon und in Asien in den Wüsten Gobi und Taklamakan sowie hypolithisch, unter Quarzkieseln in der hochgelegenen Tundra Tibets. Flechten auf tropischen Inselbergen haben es als photosynthesetreibenden Symbionten.“

Außerdem übersteht der nur wenige Tausendstel Millimeter große Einzeller ausgezeichnet Wassermangel. So könne er sogar dann noch überleben, wenn es wegen vorübergehender Austrocknung an nur fünf bis sechs Tage im Jahr aktiv sein kann, schildert Büdel. Benetzt man das Cyanobakterium wieder mit Wasser, sind die Photosynthesepigmente nach nur 15 Sekunden wieder aktiv; nach weiteren 10 bis 20 Minuten läuft die gesamte Photosynthesemaschinerie wieder.

Photosynthese in und unter Steinen

Die blaugrüne Felskugel kommt darüber hinaus mit extrem wenig Licht aus, dank der für alle Blaualgen typischen Farbstoffe, der sogenannten Phycobiline. Mithilfe dieser Pigmente können viele Cyanobakterien an sehr dunklen und lichtarmen Standorten das wenige zur Verfügung stehende Licht optimal für die Photosynthese ausnutzen. „Die Blaugrüne Felskugel benötigt nur ein Zehntel der Lichtmenge eines trüben Wintertages und weniger als ein Fünfunddreißigstel der Menge eines sonnigen Sommertages“, veranschaulicht Büdel.

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Mit ihren Lichtsammelpigmenten könne es daher noch unter der Steinoberfläche Photosynthese betreiben, an einem Ort also, am dem viele andere Lebewesen die Sonne nicht mehr zur Energiegewinnung nutzen können.

Schafft neuen Lebensraum

„Da die Blaugrüne Felskugel den Stickstoff der Luft aufnehmen und in eigne Zellsubstanz, Ammonium, umwandeln kann und sogar Phosphor aus abgestorbenen Zellen recyceln kann, stellt sie lebenswichtige Elemente in ansonsten nährstoffarmen Orten zur Verfügung“, erklärt Büdel. Auf die Blaugrüne Felskugel folgen dann nach und nach andere Organismen und langsam entwickeln sich so auch an unwirtlichen Orten belebte Bodenkrusten. Das Cyanobakterium bereitet so den Boden für andere Lebewesen auf und wird in der Ökologie daher zu den Bodenbildnern gezählt.

Natur und Labor

In der Natur erkennt Büdel die Blaugrüne Felskugel mit einem Lichtmikroskop und überprüft die erste Bestimmung später im Labor mit molekularbiologischen Methoden. Zur weiteren Bestimmung und für Experimente hat er die Algen, die im Freiland nur gemeinsam mit anderen Mikroorganismen vorkommen, isoliert und Kulturen angelegt. Hinterlegt hat er seine Funde unter anderem in der Göttinger Sammlung Algenkulturen (SAG). In der dortigen Biobank für Mikroalgen, eine der größten Algenkulturensammlungen der Welt, werden über 2500 Referenzstämme kultiviert und erforscht. „Unsere Kulturen, die wir auch weltweit an Forschungs- und Lehrinstitute verschicken, ermöglichen es allen Forschenden, gezielt mit Referenzstämmen zu arbeiten“, sagt Dr. Maike Lorenz, Kuratorin der Göttinger Algensammlung. „Und das sogar noch nach vielen Jahren, wenn etwa inzwischen neue Analysemethoden entwickelt wurden oder frühere Ergebnisse überprüft werden sollen.“

Cyanobakterien schufen einst die heutige Atmosphäre

Wie genetische Untersuchungen ergaben, ist die Blaugrüne Felskugel ein sehr ursprüngliches Cyanobakterium und stammesgeschichtlich sehr alt. „Vermutlich hat sich die Gattung bereits vor rund zwei Milliarden Jahren entwickelt, folgern die Genetiker aus ihren Untersuchungen. Sie erinnert daher an sehr ursprüngliche Formen von Cyanobakterien“, erklärt Chroococcidiopsis-Spezialist Büdel. Cyanobakterien begannen vor etwa 2,4 Milliarden Jahren, Sauerstoff in nennenswerter Menge in die Atmosphäre zu entlassen, die vorher weniger als ein Promille Sauerstoff enthielt. Im Folgenden stieg der Sauerstoffgehalt der Uratmosphäre auf die heutigen rund 20 Prozent. „Während dieser zwei Milliarden Jahre waren Cyanobakterien, die so ähnlich waren wie die Blaugrüne Felskugel, vermutlich die unangefochtenen Herrscher des Planeten“, sagt Büdel. Sie vertrieben die ursprünglichen sauerstoffunverträglichen (anoxygenen) Bakterien und begannen so alle Lebewesen auf der Erde entscheidend zu verändern. Die sich später entwickelnden Organismen fanden durch die Pionierarbeit der Cyanobakterien aber nicht nur den Sauerstoff zum Atmen vor. Die sich bildende Ozonschicht absorbierte auch immer besser schädliche UV-Strahlung, die ihre Erbsubstanz schädigte. Dies war eine wichtige Voraussetzung für die weitere Evolution des Lebens auf der Erde, insbesondere für die Eroberung des Landes.

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