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Kollektive Bewegungsmuster von Mikroben Bakterien im Herdentrieb

Autor / Redakteur: Dr. Virginia Geisel* / Christian Lüttmann |

Im Kollektiv schwächelt der chemische Geruchssinn von Bakterien. Wie Forscher des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie herausfanden, verlieren schwimmende Mikroben in großer Gruppe leicht die Orientierung. Wirbel und Ströme dominieren dann die Bewegung.

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Kollektive Bewegung in Bakteriensuspensionen. Rechts: Typische Momentaufnahme des Geschwindigkeitsfeldes, gemessen in einer hochdichten Zellsuspension.
Kollektive Bewegung in Bakteriensuspensionen. Rechts: Typische Momentaufnahme des Geschwindigkeitsfeldes, gemessen in einer hochdichten Zellsuspension.
(Bild: MPI f. terrestrische Mikrobiologie/ Colin)

Marburg – Die Bewegung von Bakterien ist nicht so zielstrebig wie die eines Wolfs auf der Jagd. Dennoch schwimmen Einzeller langfristig zur vielversprechendsten Stelle in ihrer näheren Umgebung. Einzelne Bakterienzellen bewegen sich dazu in relativ geraden Strecken vorwärts, unterbrochen durch kurze Umorientierungen (Taumeln). Dabei messen sie mit ihrem minimalen Geruchssinn ständig die Veränderungen ihrer chemischen Umgebung (z.B. der Nährstoffkonzentration).

Über ein chemisch kodiertes Kurzzeitgedächtnis vergleicht das Bakterium die aktuelle Situation mit der wenige Sekunden zuvor erlebten und entscheidet danach, Läufe in eine Richtung zu verlängern oder zu verkürzen. So finden sie den Weg zu bestmöglichen Lebensbedingungen. Dieses Anpassen der Fortbewegungsrichtung an Stoffgradienten nennt sich Chemotaxis. Das Proteinnetzwerk, das dieses chemotaktische Verhalten steuert, ist eines der am besten untersuchten biologischen Signalverarbeitungssysteme.

Zellbewegung im Fokus

Obwohl die Chemotaxis typischerweise als Einzelzellverhalten gesehen wird, führt sie auch zu kollektiven Verhaltensweisen. Wenn sich Bakterien lokal zusammenlagern oder in Form von Bändern gemeinsam fortbewegen, steigt beispielsweise die lokale Zelldichte als chemotaktische Reaktion auf selbst erzeugte Lockstoff-Gradienten.

Erreicht die Zelldichte aber einen bestimmten Wert, zeigt sich eine grundsätzlich andere Dynamik: Dann entstehen immer neue Bänder und Wirbel von Bakterienzellen und lösen sich wieder auf. „Trotz des häufigen Auftretens kollektiver Bewegung war bislang nur sehr wenig darüber bekannt, wie physikalische Wechselwirkungen die chemotaktische Navigation der Bakterien beeinflussen“, sagt Projektleiter Remy Colin vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg.

Die Forscher um Colin haben nun die kollektive Dynamik sowie die chemotaktische Reaktion von E. coli-Zellen bei unterschiedlicher Zelldichte untersucht. Dazu analysierten sie das Bakterienschwimmen in kontrollierten Gradienten eines chemischen Lockstoffs mithilfe neuer Bildanalysemethoden.

Bei hoher Zelldichte übernimmt das Kollektiv

Im Experiment verglichen die Forscher die Bewegung des Kollektivs mit der Chemotaxis einzelner Bakterien. Dabei stellten sie fest, dass die kollektive Bewegung bei zunehmender Zelldichte dominiert und die Chemotaxis stark reduziert: Die Neuausrichtungen des Bakterienkollektivs scheinen den chemosensorischen Mechanismus zu stören. „Während die Zelle schwimmt, überwacht sie innerhalb weniger Sekunden die Veränderung der Konzentration attraktiver chemischer Stoffe, um zu entscheiden, ob sie innehalten soll. Wenn sich in dieser Zeit die Richtung, in der die Zelle schwimmt, signifikant geändert hat, wird die bakterielle Chemotaxis ineffizient“, erklärt Projektleiter Colin.

„Als wir die experimentell beobachtete kollektive Bewegung mit numerischen Simulationen verglichen, stellten wir fest, dass die Wirkung des direkten Kontaktes zwischen den Bakterien zweitrangig ist.“ Viel wichtiger seien Mikroströmungen und Wirbel, die bei Flüssigkeitsverdrängungen entstehen. Anscheinend sind die Bakterien also im Kollektiv den hydrodynamischen Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung ausgeliefert.

Bakterien schwärmen nicht ziellos

Dies hat wichtige Konsequenzen für das Verhalten von Bakterien bei hoher Zelldichte. So wird etwa die chemotaktische Anhäufung von Bakterien in der Nähe von Nahrungsquellen limitiert. Das könnte eine wichtige Rolle für die Ressourcenverteilung innerhalb der Bakterienpopulationen und deren Selbstorganisation spielen.

Allerdings lässt sich die grundlegende Untergrabung der Chemotaxis auch dann beobachten, wenn Zelldichten vorliegen, die typisch für das Schwärmen sind. Dabei handelt es sich um eine Fortbewegungsart, die viele Bakterien nutzen, um sich schnell auf Oberflächen zu verbreiten, beispielsweise während einer Infektion. Die neuen Ergebnisse deuten laut Aussage der Forscher darauf hin, dass die chemotaktische Navigation innerhalb eines Schwarmes nahezu unmöglich ist, ohne dass es spezifische Gegenmechanismen gibt. Diese gelte es allerdings noch aufzudecken.

Originalpublikation: Colin, R.; Drescher, K.; Sourjik, V.: Chemotactic behaviour of Escherichia coli at high cell density, Nature Communications 10, 5329 (2019); DOI: 10.1038/s41467-019-13179-1

* Dr. V. Geisel, Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie, 35043 Marburg

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