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Wirkstoffabgabe aus Polymeren Suche nach dem intelligenten Pflaster von Morgen

Quelle: Pressemitteilung Universität Stuttgart Lesedauer: 4 min

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Ein gutes Pflaster schließt nicht einfach nur die Wunde, es unterstützt auch aktiv die Heilung, indem es Wirkstoffe abgibt. Um die idealen Materialien für solche intelligenten Pflaster zu finden, haben sich Chemiker und Mechanik-Experten der Uni Stuttgart zusammengetan. Sie wollen das bestmögliche Polymer für den Einsatz in der Medizin entwickeln.

Interdisziplinäres Team: Prof. Sabine Ludwigs und Prof. Holger Steeb
Interdisziplinäres Team: Prof. Sabine Ludwigs und Prof. Holger Steeb
(Bild: Sven Cichowicz)

Pflaster, die Hormone oder Schmerzmittel abgeben, sind medizinischer Alltag. Aufgeklebt auf die Haut, dienen sie als Reservoir für den Wirkstoff, der nach und nach in den Körper übergeht. Diese Wirkstoffaufnahme über die Haut wird künftig weiter an Bedeutung gewinnen, um Krankheiten oder Wunden zu behandeln.

Mit intelligenteren Pflastern wäre es möglich, noch gezielter zu behandeln und die Medizin weiter zu personalisieren. So ließe sich besser auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Patienten eingehen. Um diesem Ziel näher zu kommen, gibt es viele Ansätze. Einer davon sind Funktionspolymere – hier kommen Prof. Sabine Ludwigs und Prof. Holger Steeb von der Universität Stuttgart ins Spiel. Ludwigs ist Inhaberin des Lehrstuhls für Struktur und Eigenschaften Polymerer Materialien am Institut für Polymerchemie, Steeb Professor für Kontinuumsmechanik und Direktor des Instituts für Mechanik (Bauwesen). „Wir entwickeln eine neue Materialklasse von Polymeren, die wichtige Eigenschaften für künftige Anwendungen in der personalisierten Medizin aufweist“, sagt Ludwigs. „Die Stärke unseres Ansatzes ist, dass wir unser Know-how aus Mechanik und Chemie in dieser Forschung kombinieren.“

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Biokompatible Kunststoffe im Medizin-Sektor

Polymere sind für die Medizin von großer Bedeutung und kommen zum Beispiel in den Hüllen von magensaftresistenten Kapseln zum Einsatz. Je nach Verwendungszweck sind sie sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist jedoch allen Polymeren, dass es sich um Makromoleküle handelt, die aus sehr vielen, sich wiederholenden Atomgruppen bestehen. Oft bilden sich aus den einzelnen langen Polymerketten miteinander verschlungene Strukturen, die durch passende chemische Reaktionen vernetzt werden können. Die Teams von Ludwigs und Steeb interessieren sich für so genannte funktionalisierte Polymere, die biokompatibel sind, also einem Organismus durch ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften nicht schaden. „Wir suchen biokompatible Polymere, die für die Pharmazie interessant sind“, sagt Ludwigs.

In Polymernetzwerke lassen sich medizinische Wirkstoffe einlagern, die nach und nach kontrolliert an den Körper abgegeben werden – immer gerade so viele, wie dieser braucht. Die Stuttgarter Teams arbeiten bei ihrer Forschung mit Pharmazeuten um Prof. Dominique Lunter und Prof. Stefan Laufer von der Eberhard Karls Universität Tübingen zusammen. „Der traditionelle Ansatz der Pharmazie ist die Verwendung von Polymeren, welche in Arzneibüchern als zugelassene Polymere gelistet sind, und mit diesen dann zu experimentieren“, erklärt Ludwigs. Oft sind diese Polymere in ihrem Anforderungsprofil allerdings limitiert. Ludwigs und Steeb wählen daher einen anderen Ansatz.

Polymere nach Maß entwerfen

Gemeinsam mit den Tübinger Kollegen diskutieren sie zunächst interessante Eigenschaften, die geeignete Polymere haben könnten. Interessant heißt, dass solche Polymere ihre großräumige Struktur verändern, wenn ein äußerer Reiz auf sie einwirkt. Durch diese Veränderung entweicht der eingelagerte Wirkstoff. Wünschenswert ist dabei oft, dass sich die Wirkstoffabgabe regulieren lässt, die Strukturänderung des Polymers also reversibel auf den äußeren Reiz reagiert.

„Reize können zum Beispiel Änderungen im pH-Wert, in der Feuchtigkeit oder in der Temperatur sein“, verdeutlicht Ludwigs. Reagiert ein Polymer zum Beispiel auf Feuchte, kann es viele Wassermoleküle aufnehmen, ohne dass es seine strukturellen Eigenschaften verliert. Im Polymernetzwerk laufen solche Änderungen autonom ab, wenn ein definierter Wert des Reizes erreicht ist. „Es ist aber auch möglich, die Veränderung des Polymernetzwerks von Hand durch einen äußeren Reiz auszulösen, zum Beispiel durch das Einschalten eines schwachen elektrischen Felds.“ Dazu muss ein geeignetes Polymer elektrisch leitfähig sein.

Chemische Synthese und mechanische Belastungstests

Ludwigs’ Team stellt zunächst vielversprechende Polymere im Labor her. Sie müssen nicht nur die gewünschte Funktionalisierung aufweisen, sondern auch bestimmte elastische Anforderungen erfüllen, da sie im späteren pharmazeutischen Produkt dauerhaft auf der Haut haften sollen, auch wenn der Mensch sich bewegt.

Ob das die neu kreierten Polymere leisten, untersucht Steebs Team, indem es die Polymerproben unter Zug mechanisch charakterisiert. „So ermitteln wir die viskoelastischen Eigenschaften“, sagt Steeb. „Wenn es zum Beispiel darum geht, dass ein Polymer Feuchte aufnehmen soll, können wir unsere Messung unmittelbar während der Einlagerung der Wassermoleküle durchführen.“ Um die Messungen überhaupt zu ermöglichen, bedarf es einigen Know-hows. „Oft sind die Polymerproben so klein oder so fragil, dass wir sie nicht einfach wie eine metallische Probe in eine Prüfmaschine einspannen können“, erklärt der Forscher. „Manchmal muss man die kontrollierte Krafteinwirkung zum Beispiel durch Aufrollen der Probe erzeugen.“

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„Letztlich geht es darum, die Rheologie des Polymers grundlegend zu verstehen“, sagt Steeb. Die Rheologie gibt Auskunft darüber, unter welchen Bedingungen ein Material sich reversibel verformt, wann dauerhaft oder wann gar nicht. „Haben wir in Stuttgart schließlich ein Polymer vorliegen, mit dem wir zufrieden sind, messen die Tübinger Gruppen das Be- und Entladeverhalten experimentell“, sagt Ludwigs. Wenn die gemessenen Eigenschaften vielversprechend sind, modelliert Steebs Team das funktionale Material am Rechner, um auf diesem Wege kausale Zusammenhänge des Polymers vorherzusagen, die wiederum das Chemieteam nutzen kann, um das Polymer weiter zu verbessern. Dank dieser engen Zusammenarbeit von Chemie und Ingenieurwesen sind die Forscher zuversichtlich, die bestmögliche Materialzusammensetzung zu finden.

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