Potenzialanalyse von Meeresbakterien Das Meer als Quell neuer Antibiotika?
Auf der Suche nach neuen Antibiotika tauchten Forscher der Friedrich-Schiller-Universität Jena ab: Mit einem internationalen Team haben sie das Potenzial von Meeresbakterien untersucht, neue Antibiotika zu produzieren. Durch Kultivierung bisher ungenutzter Stämme könnten Antibiotika generiert werden, gegen die noch keine Resistenzen vorliegen.
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Jena – Fast drei Viertel aller klinisch relevanten Antibiotika sind Naturstoffe – produziert von Bakterien. Doch die heute verfügbaren Antibiotika verlieren ihre Wirksamkeit, immer mehr Krankheitserreger sind gegen sie resistent. Neue Antibiotika werden also dringend gebraucht. Ein Problem bei der Wirkstoffsuche: Derzeit stehen weniger als ein Prozent der bekannten Bakterienarten zur Verfügung, die übrigen 99 Prozent gelten als „unkultivierbar“ und sind daher kaum erforscht.
Die Fähigkeit Antibiotika zu produzieren, ist unter Bakterien zudem nicht gleichmäßig verteilt. „Sie ist vor allem in Mikroorganismen mit komplexen Lebensweisen zu finden, einer ungewöhnlichen Zellbiologie und großen Genomen“, erklärt Prof. Dr. Christian Jogler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Solche Organismen produzieren antibiotische Verbindungen und setzen sie im Kampf um Nährstoffe und Lebensräume gegen andere Bakterien ein.“ Wo solche mikrobiologischen Verteilungskämpfe auftreten und Nährstoffe knapp sind, sei daher ein aussichtsreicher Ort, um nach potenziellen Antibiotikaproduzenten zu suchen.
Aus dem Meer in die Reinkultur
Aus diesem Grund hat es Prof. Jogler und sein Team unter Wasser verschlagen: Mit Tauchrobotern und wissenschaftlichen Tauchern haben sie an insgesamt zehn Orten im Meer nach „Planctomyceten“ gesucht. „Wir wissen, dass Planctomyceten in Gemeinschaften mit anderen Mikroorganismen leben und mit diesen um Lebensraum und Nährstoffe konkurrieren“, erklärt Jogler den Grund, der diese Gruppe von Bakterien für die Forscher interessant macht.
Aus den Proben aus dem Mittelmeer, der Nord- und Ostsee, dem Schwarzen Meer sowie dem Atlantik, dem Pazifik und dem Nordpolarmeer gelang es den Wissenschaftlern, insgesamt 79 neue Planctomyceten in Reinkultur zu bringen. „Zusammen bilden diese Reinkulturen 31 neue Gattungen und 65 neue Arten“, ergänzt Dr. Sandra Wiegand, Erstautorin der Studie.
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Selektive Antibiotika entwickeln
Präzisionsschlag gegen Krankheitserreger
Komplexe Lebensweise und Antibiotikaproduktion
Um die neu gewonnenen Reinkulturen zu charakterisieren, kamen bioinformatische und mikroskopische Methoden zum Einsatz. „Die bioinformatische Analyse war dabei ganzheitlich angelegt“, sagt Wiegand. Damit untersuchten die Mikrobiologen das Potenzial der Bakterien, kleine Moleküle wie Antibiotika zu produzieren, und analysierten zudem die Prozesse der zellulären Signalverarbeitung. Diese sind ein Maß für die Komplexität der mikrobiellen Lebensweise und damit ein weiterer Hinweis auf eine Antibiotikaproduktion. „Die Ergebnisse dieser Analysen belegen, dass die neu gewonnenen Planctomyceten außergewöhnlich komplexe Lebensweisen besitzen und über das Potenzial verfügen, neue Antibiotika produzieren zu können.“
Die vorliegende Studie gibt u.a. Einblicke in die Zellbiologie der isolierten Planctomyceten. Zudem zeigen die Arbeiten unerwartete neue Mechanismen der bakteriellen Zellteilung, wie die Forscher sagen. Vor allem aber belege die Studie, dass auch vermeintlich „unkultivierbare“ Bakterien in Reinkultur gewonnen und charakterisiert werden können.
Viele Aspekte der aktuellen Arbeit werden sich den Autoren zufolge auf andere potenzielle Antibiotikaproduzenten übertragen lassen. „Die Hypothesen-getriebene Kultivierung und ganzheitliche Charakterisierung ist zwingend erforderlich, um wirklich Neues zu entdecken und neue therapeutische Wege zu ermöglichen“, betont Jogler.
Originalpublikation: Wiegand S. et al.: Cultivation and functional characterization of 79 planctomycetes uncovers their unique biology, Nature Microbiology (2019); DOI: 10.1038/s41564-019-0588-1,
* Dr. U. Schönfelder, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 07743 Jena
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