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Naturstoffe gegen Depression testen Depressive Fliegen helfen, die menschliche Psyche besser zu verstehen

Quelle: Pressemitteilung Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

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Können Naturstoffe aus der traditionellen asiatischen Heilkunde Depressionen lindern oder sogar vorbeugen? Und was passiert durch die Substanzen im Gehirn. In Fruchtfliegen haben Forscher der Uni Mainz grundlegende Mechanismen untersucht, die so ähnlich auch bei Menschen für Resilienz gegen depressive Zustände wirken könnten.

Zucker und Aktivierung des Belohnungssystems können Fruchtfliegen aus einem depressionsartigen Zustand herausholen.
Zucker und Aktivierung des Belohnungssystems können Fruchtfliegen aus einem depressionsartigen Zustand herausholen.
(Bild: Tim Hermanns)

Mainz – Auf den ersten Blick haben Menschen und Taufliegen nicht viel gemeinsam. Und doch lässt sich anhand der Fliegen viel über den Menschen herausfinden, etwa wenn es um Depressionen geht. So arbeiten Wissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (JGU) daran, dem Verständnis und damit der Behandlung depressiver Zustände näherzukommen. „Anhand der Drosophila-Fliege untersuchen wir unter anderem Naturstoffe aus der traditionellen asiatischen Heilkunde – etwa aus dem Bereich des Ayurveda“, erläutert Prof. Dr. Roland Strauss vom Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie der JGU. „Einige könnten antidepressiv wirken oder prophylaktisch die Resilienz gegenüber chronischem Stress stärken, es kommt also erst gar nicht zu einem depressionsartigen Zustand.“

Die Forscher haben vor allem drei aufeinander aufbauende Ziele bei Ihrer Arbeit mit den Naturheilstoffen: Sie wollen die Wirkung der Stoffe nachweisen, die optimale Zubereitung herausfinden und die Reinstoffe isolieren, welche die Wirkung innerhalb des Pflanzenmaterials verursachen. Dann könnten diese langfristig als Medikament auf den Markt gebracht werden. Doch der Weg dahin ist noch weit – schließlich handelt es sich um Grundlagenforschung.

Gestresste Fliegen mit Naturstoffen behandeln

Um die potenzielle Wirkung der Reinsubstanzen zu überprüfen, haben sich die Wissenschaftler geflügelte Probanden zur Hilfe geholt. „Bei der Drosophila-Fliege können wir genau untersuchen, wo die jeweiligen Stoffe eingreifen, denn wir können die gesamte Signalkette analysieren“, erklärt Studienleiter Strauss. „Und: Jeder Schritt im Signalpfad kann auch bewiesen werden.“

Die Forscher setzen die Fliegen mildem wiederkehrenden Stress aus – etwa unregelmäßig auftretenden Vibrationen der Unterlage. Daraufhin bilden die Drosophila einen depressionsartigen Zustand aus: Sie laufen langsamer, bleiben für zufällig entdeckten Zucker nicht stehen, klettern anders als entspannte Artgenossen nicht über Lücken. Wie aber ändert sich nun das Verhalten, wenn die Fliegen die verschiedenen Naturstoffe erhalten? Das Ergebnis der Experimente: Es kommt entscheidend auf die Zubereitung des Naturstoffs an, beispielsweise ob dieser mit Wasser oder mit Alkohol extrahiert worden ist.

Abendliche Belohnung beugt Depression bei Fliegen vor

Was die Forscher außerdem herausfanden: Belohnen sie die Fliegen am Abend eines stressigen Tages für eine halbe Stunde – geben sie ihnen also Futter mit höherem Zuckergehalt als üblich – oder aktivieren sie jeweils den Signalpfad für Belohnung, verhindert dies den depressionsartigen Zustand. Anscheinend sorgt die Zucker-Belohnung für einen gewissen Schutz vor depressivem Verhalten. Doch was geschieht genau, wenn die Fliege Zucker bekommt? Bekannt waren die Zuckerrezeptoren an den Tarsen („Füße“ von Insekten) und am Rüssel sowie das Ende des Signalwegs, bei dem Serotonin in die Pilzkörper ausgeschüttet wird. Die Pilzkörper sind das Lernzentrum der Fliege, sie entsprechen dem Hippocampus des Menschen.

Doch ist der Signalweg – wie die aktuellen Untersuchungen zeigen – wesentlich komplexer als die Wissenschaftler anfangs vermuteten. Drei verschiedene Neurotransmittersysteme sind beteiligt, bis der Serotoninmangel, der bei Fliegen in einem depressionsartigen Zustand herrscht, an den Pilzkörpern durch Belohnung ausgeglichen wird. Zur Kompensation des Mangels wird u. a. Dopamin ausgeschüttet, das auch beim Menschen Belohnung signalisiert. Diese Erkenntnisse aus der Fliegenforschung sollten allerdings Menschen keinesfalls dazu verleiten, besonders zuckerhaltige Nahrung zu sich zu nehmen. Hier sollten andere, gesündere Wege etabliert werden, um das Belohnungssystem des Menschen zu aktivieren.

Genanalysen könnten Depressionsneigung beim Menschen zeigen

Die Forscher suchen auch nach Resilienzfaktoren im Genom. Denn genau wie die Menschen haben auch Drosophila eine individuelle genetische Ausstattung – keine zwei Fliegen sind gleich. Die Wissenschaftler vergleichen deshalb Genome von Fliegen, die Stress besser aushalten, mit Genomen derjenigen Fliegen, die auf wiederkehrenden milden Stress mit depressiven Zuständen reagieren. Langfristig könnte es möglich sein, die genetische Anfälligkeit von Menschen für depressive Erkrankungen zu untersuchen – und etwa mit den im Projekt untersuchten Naturstoffen vorzubeugen.

Originalpublikation: T. Hermanns at al.: Octopamine mediates sugar relief from a chronic-stress-induced depression-like state in Drosophila, Current Biology, 31 July 2022; DOI: 10.1016/j.cub.2022.07.016

(ID:48527910)

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