Chemische Details des Kometen Chury entschlüsselt Ein Komet mit dem Duft von Mandeln und Mottenkugeln
Anbieter zum Thema
Die chemische Zusammensetzung eines Objektes zu analysieren, ist an sich schon ein komplexes Unterfangen. Wenn das Objekt auch noch rasend durchs All fliegt, ist es eine besondere Herausforderung. Dennoch ist Forschern aus Bern nun gelungen, die chemische Zusammensetzung eines Kometen in bisher unerreichter Detailtiefe zu entschlüsseln – und sogar Aussagen über dessen Duft zu machen.

Bern/Schweiz – Kometen sind Fossilien aus den Tiefen unseres Sonnensystems und Überbleibsel der Entstehung von Sonne, Planeten und Monden. Einem Team unter der Leitung der Chemikerin Dr. Nora Hänni vom Physikalischen Institut der Universität Bern, Abteilung Weltraumforschung und Planetologie, ist es nun gelungen, erstmals eine Reihe komplexer organischer Moleküle bei einem Kometen zu identifizieren. Dies berichten die Forschenden in einer Ende Juni veröffentlichten Studie.
Neuer Komet – neuer Versuch
Mitte der 1980er Jahre schickten die großen Raumfahrtagenturen eine Flotte von Raumfahrzeugen aus, um am Halleyschen Kometen vorbeizufliegen. An Bord befanden sich mehrere Massenspektrometer, die die chemische Zusammensetzung sowohl der Kometenkoma untersuchten – der dünnen Atmosphäre, die durch die Sublimation von Kometeneis in der Nähe der Sonne entsteht. Aber auch Staubpartikel des Kometen wurden analysiert. Die von diesen Instrumenten gesammelten Daten verfügten jedoch nicht über die erforderliche Auflösung, um eine eindeutige Bestimmung der Zusammensetzung des Kometen zu ermöglichen.
Mehr als 30 Jahre später hat das hochauflösende Massenspektrometer „Rosina“ in den Jahren 2014 bis 2016 Daten über den Kometen Chury gesammelt (vollständige Bezeichnung: 67P/Churyumov-Gerasimenko). Diese Daten gestatten den Forschern nun zum ersten Mal, Licht in den komplexen organischen Haushalt von Chury bringen. Rosina ist die Abkürzung für „Rosetta Orbiter Sensor for Ion and Neutral Analysis“, ein Instrument unter der Leitung der Universität Bern an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta.
Das Geheimnis lag im Staub verborgen
Als Chury sein Perihel erreichte, den sonnennächsten Punkt, wurde er sehr aktiv. Das sublimierende Kometeneis erzeugte einen „Ausfluss“, der Staubpartikel mit sich zog. Die abgestoßenen Partikel wurden durch die Sonneneinstrahlung auf Temperaturen aufgeheizt, die über denen liegen, die typischerweise auf der Kometenoberfläche herrschen. Dadurch gelangten größere und schwerere Moleküle in die Gasphase und konnten vom hochauflösenden Massenspektrometer Rosina-DFMS (Rosina-Double Focusing Mass Spectrometer) gemessen werden.
„Aufgrund der extrem staubigen Bedingungen musste sich die Raumsonde auf eine sichere Distanz von etwas mehr als 200 km über der Kometenoberfläche zurückziehen, damit die Instrumente unter stabilen Bedingungen arbeiten konnten“, erklärt die Astrophysikerin Prof. em. Dr. Kathrin Altwegg, Hauptverantwortliche für das Rosina-Instrument und Mitautorin der neuen Studie. So war es möglich Teilchen aufzuspüren, die zuvor im Kometenstaub verborgen geblieben waren.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1932500/1932567/original.jpg)
Biomoleküle auf kosmischen Staubkörnern
Chemie im All – Begann so das Leben auf der Erde?
Die diversen Düfte eines Kometen
Die Interpretation der Rosina-Daten ist eine Herausforderung. Dem Berner Forschungsteam ist es jedoch gelungen, eine Reihe komplexer organischer Moleküle zu identifizieren, die bisher noch nie in einem Kometen nachgewiesen wurden. „Wir haben zum Beispiel Naphthalin gefunden, das für den charakteristischen Geruch von Mottenkugeln verantwortlich ist“, erklärt die Chemikerin des Rosina-Teams und Leiterin der Studie Dr. Nora Hänni. „Auch fanden wir Benzoesäure, ein natürlicher Bestandteil von Weihrauch. Und wir identifizierten Benzaldehyd, das weithin verwendet wird, um Lebensmitteln ein Mandelaroma zu verleihen und viele weitere Moleküle.“ Diese komplexen organischen Stoffe würden den Geruch von Chury offenbar noch vielfältiger als bisher angenommen machen, aber auch angenehmer, sagt Hänni.
Abgesehen von wohlriechenden Molekülen wurden im organischen Haushalt von Chury auch viele mit so genannter präbiotischer Funktionalität identifiziert (z. B. Formamid). Solche Verbindungen sind wichtige Zwischenstufen bei der Synthese von Biomolekülen (z. B. Zucker oder Aminosäuren). „Es scheint deshalb wahrscheinlich, dass einschlagende Kometen – als wesentliche Lieferanten von organischem Material – auch zur Entstehung von kohlenstoffbasiertem Leben auf der Erde beigetragen haben“, erklärt Hänni.
Kometen als Reservoir organischen Materials
Neben der Identifizierung einzelner Moleküle führten die Forscher auch eine detaillierte Charakterisierung des gesamten Ensembles komplexer organischer Moleküle im Kometen Chury durch, um ihn in den größeren Kontext des Sonnensystems einordnen zu können. Parameter wie die durchschnittliche Summenformel dieses organischen Materials oder die durchschnittliche Bindungsgeometrie der darin enthaltenen Kohlenstoffatome sind für diverse wissenschaftliche Bereiche von Bedeutung, von der Astronomie bis zur Sonnensystemforschung.
„Es hat sich herausgestellt, dass der komplexe organische Haushalt von Chury im Durchschnitt identisch ist mit dem löslichen Teil der organischen Materie von Meteoriten“, erklärt Chemikerin Hänni. „Starke Ähnlichkeiten gibt es – abgesehen von der relativen Menge der Wasserstoffatome – auch zum organischen Material, das auf Saturn von seinem innersten Ring herabregnet, wie es mit dem INMS-Massenspektrometer an Bord der NASA-Raumsonde Cassini nachgewiesen wurde.“
Prof. Dr. Susanne Wampfler, Astrophysikerin am Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern und Mitautorin der Publikation, ergänzt: „Wir finden nicht nur Ähnlichkeiten zu den organischen Reservoirs im Sonnensystem, sondern viele der organischen Moleküle von Chury sind auch in Molekülwolken, den Geburtsstätten neuer Sterne, vorhanden. Unsere Ergebnisse sind konsistent mit dem Szenario eines gemeinsamen präsolaren Ursprungs der verschiedenen organischen Reservoirs des Sonnensystems und bestätigen, dass Kometen tatsächlich Material aus der Zeit lange vor der Entstehung unseres Sonnensystems enthalten.“
Originalpublikation: N. Hänni, K. Altwegg, M. Combi, S. A. Fuselier, J. De Keyser, M. Rubin, and S. F. Wampfler: Identification and characterization of a new ensemble of cometary organic molecules, Nature Communications,13, 3639 (2022).
DOI : 10.1038/s41467-022-31346-9
(ID:48456833)