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Die mikroskopischen Grundpfeiler des Lebens Erstaunliche Einblicke in der Welt der Kleinstlebewesen

Quelle: Pressemitteilung Leibniz-Institut für Gewässer- ökologie und Binnenfischerei (IGB) Lesedauer: 7 min |

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Sie sind mit bloßem Auge kaum oder gar nicht zu erkennen. Doch Kleinstlebewesen wie Wasserflöhe oder mikroskopisch kleine Pilze stellen die Grundlage großer Nahrungsnetze und ganzer Ökosysteme. Forscher am IGB sind den kleinen Helden auf der Spur und zeigen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten: von Klonen über Mikroplastik-Zersetzung bis hin zum hundertjährigen Dornröschenschlaf.

Einige Wasserflöhe, wie die Daphnia pulicaria, produzieren unter ungünstigen Umweltbedingungen spezielle Eier, die jahrzehntelang im Sediment eines Sees überleben können. Diese Dauereier sind wie Zeitkapseln, die darauf warten, die Daphnienbestände wieder aufzubauen, wenn die Bedingungen optimal sind.
Einige Wasserflöhe, wie die Daphnia pulicaria, produzieren unter ungünstigen Umweltbedingungen spezielle Eier, die jahrzehntelang im Sediment eines Sees überleben können. Diese Dauereier sind wie Zeitkapseln, die darauf warten, die Daphnienbestände wieder aufzubauen, wenn die Bedingungen optimal sind.
(Bild: Daphnia magna, Dr. Julian Taffner (TERRA ALIENS))

Ohne Kleinstlebewesen geht in Ökosystemen nichts: Pilze verdauen Nahrung vor, Parasiten dämmen Blaualgen ein, Wasserflöhe halten aquatische Nahrungsnetze zusammen. Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) arbeiten zahlreiche Forschende zu unterschiedlichen Mikroorganismen und erkunden dabei ebenso die Ökologie dieser Lebewesen als auch die Frage, inwieweit sie durch den Klimawandel und andere menschengemachte Veränderungen gefährdet sind. Drei IGB-Arbeitskreise stelle ihre faszinierenden Projekte vor:

1) Pilze für das Wohl der Gewässer

Obwohl sich Limnologen mit der Erforschung von Binnengewässern wie Seen, Flüssen und Feuchtgebieten, hat es Prof. Dr. Hans-Peter Grossart vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) Berlin in die Antarktis verschlagen, wo man mehr Eis als flüssiges Wasser erwartet. Dort studieren er und sein Team das Zusammenspiel parasitischer Pilze und benthischer Diatomeen (Kieselalgen). „Wir wollen verstehen, wie sich der Klimawandel auf die Nahrungsnetze sowie auf die Biodiversität in der Antarktis und der Arktis auswirkt“, sagt der Forscher. Er betrachtet die Änderung verschiedener Umgebungsparameter, etwa steigende Temperaturen oder eine zunehmende Versüßung des Wassers, die auftritt, weil die Gletscher abschmelzen: Wird dadurch der Parasitenbefall größer oder kleiner, und wie wirkt sich das auf die Nahrungskette und generell auf die Artenvielfalt aus? Das Team hat zahlreiche Proben genommen, die noch ausgewertet werden.

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Dass Pilze einen besonderen Stellenwert haben, wissen Grossart und sein Team aus zahlreichen jüngeren Forschungsarbeiten. So ist deren Verbreitung viel größer als gedacht – sie finden sich etwa auch in der Tiefsee. Dort sind bestimmte Kreisläufe durch Pilze getrieben, die teilweise sogar Plastik abbauen. Wie groß der Anteil von Pilzen an den Mikroorganismen in den unterschiedlichen Gewässertypen ist, darüber gibt es nur grobe Schätzungen. In Süßgewässern könnten Pilze bis zu 50 Prozent der Kleinstlebewesen mit Zellkern ausmachen.

Ein wichtiger Kreislauf ist der zwischen parasitischen Pilzen und Algen in Seen: Parasitische Pilze zersetzen bestimmte Algen- und Bakterienarten, z. B. filamentöse und toxische Cyanobakterien. Dadurch werden sie zur Nahrung für Zooplankton. „Das heißt, durch den Parasitenbefall wird ein Teil der Algenbiomasse überhaupt erst verfügbar, und das ist ein sehr wichtiger Effekt im Nahrungsnetz, den das Team um meine IGB-Kollegin Prof. Dr. Justyna Wolinska nachgewiesen hat“, berichtet Grossart.

Meister der Stoffkreisläufe

Doch Pilze sind nicht nur im Mikrokosmos aktiv. Bestimmte Arten können auch auf größeres organisches Material wie Blätter mechanischen Druck ausüben, um sich Zugang zu den Zellen zu verschaffen. In diese durch die Vorarbeit der Pilze geöffneten Zellen können Bakterien eindringen – und das Blatt wird schneller abgebaut. „Das ist ein grundlegender Mechanismus, den man auch im Boden findet“, sagt Limnologe Grossart.

Im Kohlenstoffkreislauf von Gewässern tragen etwa filamentöse Pilze dazu bei, dass organisches Material miteinander verklumpt. Größere Aggregate sinken schneller zu Boden, es gibt aber auch Pilze, die den gegenteiligen Prozess beeinflussen, also das Verklumpen und rasche Absinken verhindern. Die Arbeitsgruppe am IGB Berlin erforscht Parameter wie Temperatur, Verunreinigung durch Industrien oder die Verfügbarkeit von Nährstoffen und ermittelt, wie sie sich auf diese Stoffflüsse auswirken.

Mikroplastik ist auch nur eine Art von Nahrungsmasse…

Viele Pilze verfügen über spezielle Enzyme, mit denen sie im Zusammenspiel mit anderen Organismen schlecht abbaubares Material umwandeln können. Auf diese Weise können sie sogar Mikroplastik allmählich zersetzen. „Wir haben bereits eine Menge Pilzisolate durchgetestet und einige gefunden, die Kunststoffe abbauen“, berichtet Grossart. Diese Ergebnisse werden bisher allerdings im Bioreaktor erzeugt, also unter Laborbedingungen. Ob Plastik auch im natürlichen System durch Pilze umgewandelt wird, hängt von vielen Faktoren ab, etwa der Temperatur, den Nährstoffbedingungen oder ob der Pilz auf dem Plastik wachsen kann.

Auch Pilze sind nicht unbesiegbar

Obwohl Pilze eine Vielzahl an, teils extremen, Lebensräumen für sich erobert haben, sind sie heutzutage nie dagewesenen Gefahren ausgesetzt: Fungizide und viele andere Schadstoffe wie Arzneimittel, Metalle oder Mikroplastik könnten sich auf Pilze und ihre empfindlichen Netzwerke auswirken. In welcher Form diese Wirkung eintritt, ist auch Gegenstand eines aktuell laufenden Forschungsprojekts von Grossarts Kollegin Wolinska.

Darüber hinaus werden Pilze wahrscheinlich von den gleichen Faktoren wie andere Wasserorganismen beeinträchtigt, wie der Schädigung von Lebensräumen, invasiven Arten und dem Klimawandel. Solche Bedrohungen können nicht nur zum Aussterben von Arten in aquatischen Pilzgemeinschaften führen, sondern auch zu einem Rückgang der Populationen und sogar zu einem völligen Verlust ihrer Schlüsselfunktionen im Ökosystem. Nachteilige Kaskadeneffekte in aquatischen Nahrungsnetzen können die Folge sein. Deswegen fordert Grossart gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam, den Schutz von Wasserpilzen als Priorität für die Bewirtschaftung von Gewässern anzuerkennen.

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2) Wasserflöhe: Wer sich klont, braucht keine Männchen

Auch Dr. Dagmar Frisch aus der Abteilung „Evolutionäre und Integrative Ökologie“ forscht an Kleinstlebewesen. Ihr Fokus liegt auf einem besonderen Phänomen im Tierreich: den ruhenden Eiern einer Daphnien-Population in der Extremwetterregion Arktis. „Daphnien beziehungsweise Wasserflöhe interessieren uns, weil sie in Gewässern zu den Schlüsselarten gehören: Diese Arten bilden einen zentralen Kernpunkt in Nahrungsnetzen, als Konsument von Mikroalgen und als Futter für größere Organismen, zum Beispiel Fische“, sagt Frisch.

Sie arbeitet mit Daphnia pulicaria, einer Art, die vorrangig in Seen lebt. Die Population in Grönland, an der sie forscht, unterscheidet sich von anderen Populationen dieser Art, denn die Tiere sind komplett asexuell: Zwar gibt es Männchen, sie haben aber keine bekannte Funktion, die Weibchen klonen sich selbst. Aus den Eiern, die sie erzeugen, schlüpfen ohne Befruchtung Wasserflöhe mit einem jeweils dreifachen Chromosomensatz, der dem ihrer Mutter komplett gleicht.

Eier im hundertjährigen Schlaf

Frisch will wissen, wie sich der Klimawandel auf die Populationen und damit auf das gesamte Ökosystem vor Ort auswirkt. Dafür nutzt sie die Besonderheit dieser Art: Die Dauer-Eier von Daphnien können mehrere hundert Jahre im Sediment überdauern und dann „aufgeweckt“ werden, sodass Jungtiere schlüpfen. Daphnien-Eier sind in einem Gebilde aus Chitin enthalten, das sich am Rücken der weiblichen Daphnien bildet und immer dann ablöst, wenn sich die Tiere häuten. Dann sinkt das Gehäuse mit den Eiern, das Ephippium, langsam zu Boden und wird in das Sediment eingetragen. In ihm bilden sich über die Jahrzehnte Ephippien-Schichten. Frisch und ihr Team entnehmen dem Sediment Bohrkerne und datieren die Sedimentschichten, aus denen Eier entnommen werden, mittels Radiocarbonmethode.

Wie gut sich die Eier halten, hängt von den Bedingungen im Sediment ab – man kann sie nicht in jedem Fall aufwecken, meist „nur“ bis zu einem Alter von etwas mehr als 100 Jahren. Der Sinn der Dauer-Eier: Geht eine Generation wegen schlechter Bedingungen zugrunde, kann sich die Population aus dem Sediment regenerieren – normalerweise im darauffolgenden Jahr.

Evolutionsstudien entlang einer Klon-Reihe

Im Labor erwecken Frisch und ihr Team Dauer-Eier verschiedenen Alters zum Leben und analysieren, wie sich die Tiere, die sich daraus entwickeln, voneinander unterscheiden. Ein Individuum und dessen Kopien in verschiedenen Sedimentschichten, das ergibt für die Forschenden eine Art Zeitreihe, anhand derer sich die Auswirkungen verschiedener Temperaturen nachvollziehen lassen: etwa auf die Zahl der Eier pro Generation oder wie lange es dauert, bis die Daphnien die Geschlechtsreife erreichen.

„Normalerweise nimmt man Populationen an verschiedenen Orten und vergleicht dann zum Beispiel ihre Genome miteinander: Wo gibt es Gene, die sich durch Selektion verändert haben, wo sind Unterschiede“, sagt Frisch. „Hier verfolgt man dieselbe Population und deren Evolution, das ist das Besondere.“ Was die Forschenden bereits erkennen können: Die Temperaturtoleranzen sind unterschiedlich. Heutige Daphnien aus dem untersuchten Habitat sind empfindlicher gegenüber Wärme, ihre Populationen könnten also durch den Klimawandel gefährdet sein.

3) Wasserflöhe im Wärmebad

Evolutionäre Vorgänge und was sich aus ihnen über das Zusammenleben kleinster Organismen lernen lässt, sind das Forschungsgebiet von Grossarts Kollegin Wolinska. Sie und ihr Team nutzen dafür eine Reihe von Seen in Polen, in die seit 60 Jahren Kühlwasser aus Kohlekraftwerken eingeleitet wird. In diesen Gewässern ist die Temperatur deshalb durchschnittlich drei bis vier Grad Celsius höher als in den umliegenden Seen. Diese kühleren Seen nutzen die Forschenden als Kontrollgewässer. 60 Jahre entsprechen hunderten oder sogar tausenden Wasserfloh-Generationen, während derer sich die untersuchten Arten – Daphnien und winzige Parasiten, die mit ihnen in Koexistenz leben – gemeinsam entwickeln und an die höheren Wassertemperaturen anpassen konnten.

Wolinskas Untersuchungen zeigen unter anderem, dass Daphnien in den wärmeren Seen größer werden und auch mehr Eier legen – obwohl diese Bedingungen der Art eigentlich nicht liegen: Setzt man Daphnien aus kühleren Seen den gleichen Temperaturen aus, produzieren sie weniger Eier. Den Mikroparasit, der Daphnien oft infiziert, konnten sie in beheizten Seen weniger häufig antreffen. „Das mag wie eine gute Nachricht klingen, ist es aber nicht, denn diese Parasitenarten haben viele Funktionen im Ökosystem. Wenn diese wichtigen Akteure verschwinden, wirkt sich das auch auf andere trophische Ebenen aus“, warnt Wolinska. Mikroparasiten und die von ihnen ausgelösten Epidemien erhöhen den evolutionären Druck auf Daphnien, genetisch vielfältig zu sein und sich an ungünstige Bedingungen anzupassen. Und da Daphnien im Zentrum des Nahrungsnetzes stehen, hat es Folgen für die übrigen Arten, wenn ihre Bestände möglicherweise schrumpfen.

Fazit: Klein aber Oho

So unscheinbar die kleinsten Organismen in Gewässern auch sind: Werden ihre Lebensgrundlagen zerstört, kann dies weit reichende Folgen für das sie umgebende Ökosystem und damit auch für den Menschen haben. Welch enormen Einfluss Kleinstlebewesen auf Gewässerökosysteme haben können, zeigte sich beispielsweise bei der Oderkatastrophe im Sommer 2022: Giftige Algen lösten ein massives Fischsterben aus. Dies ist nur ein Beispiel, das verdeutlicht, wie wichtig die winzigen Organismen für die Umwelt sind. Die Forscher am IGB haben also allen Grund, die Geheimnisse von Pilzen und Wasserflöhen aufzudecken.

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