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Corona-Pandemie: Testsituation in Deutschland Genug Coronatests, zu wenig Finanzhilfe für Labore

Redakteur: Christian Lüttmann

Die bundesweiten Kapazitäten für Coronatests liegen laut Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) über dem aktuellen Bedarf. Damit sei Deutschland bestens aufgestellt. Eine flächendeckende Testung sei aber mit den derzeitigen Ressourcen weiterhin nicht möglich. Probleme sieht der Verband bei der finanziellen Unterstützung der Labore durch die Bundesregierung.

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In Deutschland gibt es zurzeit mehr Kapazitäten für Coronatests als für die vom RKI geforderten Fälle nötig (Symbolbild).
In Deutschland gibt es zurzeit mehr Kapazitäten für Coronatests als für die vom RKI geforderten Fälle nötig (Symbolbild).
(Bild: gemeinfrei, CDC/ Holly Patrick, MS, MPH / CC0 )

Berlin – Wenn es um die Versorgung mit Tests auf das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 geht, gehört Deutschland zu den Spitzenreitern. Allein in der vergangenen Woche (KW17) haben die Labore aus dem Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) rund 300.000 durchgeführte Tests gemeldet. Nach Angaben des ALM-Verbands seien dies über 90% aller deutschlandweit erbrachten Corona-Testungen. Damit liegt die Anzahl der durchgeführten Tests momentan deutlich unter der maximalen Kapazität von knapp 700.000 Tests pro Woche. Gerade um die Osterwoche seien die Anfragen etwas zurückgegangen, berichtet der ALM-Vorstandsvorsitzende Dr. Michael Müller. Dass trotzdem immer noch von Mangel an Tests zu hören ist, sei lediglich auf lokale Versorgungsengpässe zurückzuführen.

Tatsächlich sprechen die Zahlen dafür, dass die Teststrategie nun auch auf bestimmte Risikogruppen ausgeweitet werden könnte, die keine akuten Symptome zeigen. Derzeit testet man, der Empfehlung des RKI folgend, nur Patienten in akuten Verdachtsfällen und Risikopatienten mit schweren Krankheitssymptomen.

Die deutlich gestiegene Testkapazität sei aber keinesfalls unnötig hoch. „Im Moment wird diese Kapazität zwar nicht voll ausgeschöpft, das kann aber auch schnell wieder vorbei sein“, betont Evangelos Kotsopoulos, Geschäftsführer von Sonic Healthcare und Vorstandsmitglied bei ALM. Den Wunsch nach flächendeckenden Coronatests bewertet der Verband als eher unrealistisch: „Eine Bevölkerung unserer Größe einfach mal durchzutesten, das ist momentan praktisch nicht möglich. Dazu ist die PCR-Diagnostik auch nicht das richtige Mittel“, heißt es auf der ALM-Homepage.

Zu früh für verlässliche Antikörpernachweise

Im weiteren Verlauf der Pandemie könnten Antikörpernachweise wie so genannte Immunglobulin G (IgG)-Tests an Bedeutung gewinnen, um eine Aussage über die Herdenimmunität der Bevölkerung zu erhalten. Denn diese Tests liefern auch nach der überstandenen Erkrankung noch Hinweise auf die erlittene Infektion. Die Sprecher des ALM-Verbandes warnen jedoch davor, diesen Antikörpernachweisen schon jetzt zu große Relevanz zuzusprechen. „Irgendwann werden wir damit Aussagen zur Durchseuchung treffen können. Aktuell dürfen solche Tests aber nicht zur Frage der Immunität eingesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit von falsch-positiven Ergebnissen ist noch zu hoch. Selbst wenn ein IgG-Test positiv ist, sollte man also weiterhin die empfohlenen Hygienemaßnahmen wie Abstandsregeln etc. befolgen“, erklärt Vorstandsmitglied Jan Kramer, Geschäftsführer von LADR.

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Fehleranfälligkeit eines Antikörpertests, und warum dessen Verlässlichkeit mit zunehmender Durchseuchung steigt – ein Rechenbeispiel

Die Spezifität eines Tests gibt an, wie gut er Infizierte nachweist. Der Testhersteller Euroimmun nennt beispielsweise eine Spezifität von 99,3% für seinen Antikörpertest auf SARS-CoV-2. Das bedeutet: Bei 1000 Getesteten sind statistisch sieben falsch-positiv. Diese Zahl klingt klein, man muss sie aber in Relation zu den tatsächlich Infizierten einer gleich großen zufälligen Stichprobe sehen. Das wären lediglich 2 von 1000 (bei der derzeitigen Infektionszahl von 160.000, was bei einer Bevölkerung von 80 Millionen einem Anteil von 0,2% entspricht). Mit den sieben falsch-positiven Ergebnissen würde der Antikörpertest also auf jedes positives Ergebnis 3,5 falsch-positive Ergebnisse erzielen. Und selbst, wenn man annimmt, dass die Dunkelziffer der Infizierten in Deutschland um den Faktor zehn höher ist als die nachgewiesenen Infektionen (wenn also 1,6 Millionen statt 160.000 Menschen bereits infiziert sind), wären immer noch auf jedes positive Ergebnis 0,35 falsch-positive Ergebnisse zu erwarten. Oder mit anderen Worten: 27% der positiv getesteten wären in Wahrheit falsch-positiv.

Mit steigender Durchseuchung der Bevölkerung werden die Antikörpertests aber relevanter. Zwar bleibt ihre Sensitivität gleich, das Verhältnis von falsch-positiven zu richtig-positiven Ergebnissen wird aber besser. Antikörpertest könnten also im späteren Verlauf der Pandemie deutlich an Aussagekraft gewinnen. Wenn z.B. 20% der Bevölkerung infiziert wären, sind unter allen positiven Tests nur noch 3% falsch-positive mit dabei (bei unveränderter Sensitivität von 99,3%).

Vor online angebotenen Selbsttests – ob zur Antikörperbestimmung oder PCR-Schnelltests zum Nachweis einer akuten Infektion – raten die Experten ab. „Wir warnen davor, sich Tests nach Hause zu bestellen, weil diese in der Regel nicht die Standards erfüllen und oft nicht CE-zertifiziert sind“, sagt Kramer. Bei selbst durchgeführten PCR-Tests sei zum Beispiel auch die Gefahr eines falsch durchgeführten Abstriches, und damit eines falsch-negativen Ergebnisses, größer.

Einheitlicher Rettungsschirm für Labore nötig

Ein noch nicht ausreichend angegangenes Problem für die Testlabore sei die Frage nach der finanziellen Sicherheit, wie der ALM-Vorsitzende Müller sagt. Denn während Kapazitäten für Coronatests ausgeweitet wurden und man einen weiteren Anstieg der Testnachfrage erwartet, ist der Bedarf an nahezu der ganzen anderen medizinischen Labordiagnostik seit Mitte März drastisch gesunken. Mittlerweile sind Untersuchungen auf Cholesterin, den Nierenmarker Kreatinin oder den Leberwert GPT etwa um 50 bis 60% zurückgegangen (Vergleich von KW15 2019 mit KW15 2020). „Zurzeit bleiben die Menschen aus Angst vor einer Infektion lieber zu Hause und haben ihre Routineuntersuchungen verschoben“, begründet Müller diese Entwicklung.

Während die zurückgegangenen Gesundheitstests eine wichtige Einnahmequelle der Auftragslabore darstellen, können die Coronatestungen die weggebrochenen Standardaufträge nicht finanziell kompensieren. „Je umfassender die Labore gemeinsam mit der Ärzteschaft, den Kliniken und den Krisenstäben in Bund und Ländern die Versorgung gerade in Zeiten der Corona-Pandemie sicherstellen, desto dringender benötigen sie, ebenso wie die Krankenhäuser, einen funktionierenden Rettungsschirm“, betont Müller.

Zwar sehe das so genannte COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz einen Rettungsschirm für Kliniken und Praxen vor, doch sei nicht klar, wo dieser für die Praxen in der ambulanten Versorgung konkret aufgespannt sein wird. „Ich sehe hier die Gefahr, dass es eher einen bunten Fleckenteppich an Rettungsschirmchen je nach Bundesland geben wird“, sagt Müller. „Der Rettungsschirm in seiner heutigen Ausgestaltung ist für die fachärztlichen Labore nicht so verlässlich und planbar strukturiert, dass die Labore auch die von der Politik zugesagte Ausfallabsicherung für durch die Pandemie bedingte Fallzahlausfälle erhalten.“

In den kommenden Wochen wird der ALM-Verband weiter die Entwicklung der Corona-Pandemie mit aktuellen Zahlen und Experteneinschätzungen bewerten. Ein regelmäßig aktualisiertes FAQ zur Corona-Diagnostik ist auf der ALM-Homepage zusammengestellt.

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