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Schmerztherapie per Selbstbeobachtung Kann man Rückenschmerzen mit Blicken lindern?

Von Meike Drießen*

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Chronische Rückenschmerzen können auf verblüffend einfache Weise gelindert werden: Indem man hinschaut. Wie Mediziner aus Bochum zeigten, sorgt allein das Betrachten des eigenen Rückens bei Patienten für einen leichten Rückgang des subjektiv gefühlten Schmerzes.

Das Betrachten des Echtzeitvideos des eigenen Rückens senkt nach einer Minute die Intensität des Schmerzes bei Patientinnen und Patienten mit chronischem Rückenschmerz.
Das Betrachten des Echtzeitvideos des eigenen Rückens senkt nach einer Minute die Intensität des Schmerzes bei Patientinnen und Patienten mit chronischem Rückenschmerz.
(Bild: Damian Gorczany, Ruhr-Universität Bochum)

Bochum – Wer Rückenschmerzen hat, der fühlt sich oft stark beeinträchtigt. Wenn der Schmerz chronisch ist, bestimmt er den Alltag des Patienten, hindert ihn daran, zu arbeiten oder an sozialen Aktivitäten teilzunehmen. „Die Betroffenen kennen ihren Schmerz gut“, sagt Prof. Dr. Martin Diers von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum (RUB). „Sie können zum Beispiel genau sagen, wann im Laufe des Tages der Schmerz auftrat oder wie er sich anfühlt. Was sie aber schlecht eingrenzen können, ist der genaue Ort, an dem der Schmerz sich befindet.“ Manche Schmerzpatienten lassen sogar beim Zeichnen ihres Körperumrisses an der entsprechenden Stelle eine Lücke.

Den eigenen Rücken im Blick

Diers und sein Team wollten wissen, wie sich der Schmerz verändert, wenn die Betroffenen hinschauen. „Wir wissen nicht, wie der eigene Rücken genau aussieht, weil wir ihn nicht direkt sehen können“, sagt Diers. Diesem Problem widmete er mehrere Studien sowohl mit Schmerzpatienten als auch mit Kontrollprobanden ohne Rückenschmerzen. Dabei kam jeweils eine Videokamera zum Einsatz, die hinter den Teilnehmern platziert war und das Bild ihres Rückens in Echtzeit auf einen Monitor vor ihnen übertrug.

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Während die Patienten ihren eigenen Rücken live und in Farbe betrachteten, sollten sie die Stärke des Schmerzes auf einer Skala von null bis zehn selbst einschätzen – mit erstaunlichem Ergebnis, wie Diers berichtet: „Wir konnten zeigen, dass das alleinige Betrachten des Echtzeitvideos des eigenen Rückens nach einer Minute die Intensität des Schmerzes bei Patientinnen und Patienten mit chronischem Rückenschmerz senkt.“ Sahen die Patienten statt ihres eigenen Videos das eines anderen Patienten oder ein unbewegtes Bild oder ein Buch, veränderte sich die Intensität des Schmerzes nicht.

Warum der Rücken weniger schmerzt, wenn wir ihn ansehen.

In einer weiteren Untersuchung gaben die Forscher den Probanden einen schmerzhaften Reiz auf den Rücken, zum Beispiel einen elektrischen Impuls oder einen starken Druckreiz. Mal konnten die Personen ihren Rücken dabei auf dem Monitor sehen, mal nicht. „Wenn sie ihren Rücken während des Schmerzreizes gesehen hatten, gaben sie eine geringere Schmerzintensität an, als wenn sie währenddessen auf ihre Hand schauten, obwohl der Reiz am Rücken genau gleich stark gewesen war“, sagt Diers.

Diesen Effekt führt der Psychologe auf die Funktionsweise der Reizverarbeitung zurück: „Schmerzreize werden von bestimmten Nervenzellen in der Haut registriert, ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Dieses System hat nur eine ziemlich grobe Auflösung.“ Zusammen mit der visuellen Information werden die Reize viel höher aufgelöst wahrgenommen, was bei der Eingrenzung des schmerzenden Bereichs hilft: Wir können die Quelle des Schmerzes also räumlich viel spezifischer einordnen.

Auch bei Massagen wiesen die Forscher einen positiven Effekt von Livebildern der betroffenen Körperregion nach. „Wir konnten zeigen, dass die Massage im Vergleich deutlich wirksamer war, wenn die Patienten dabei zuschauen konnten“, fasst Diers zusammen. Die Schmerzspezialisten setzen daher bei der Behandlung auf die so genannte multisensorische Integration bei der Wahrnehmung von Sinnesreizen, an der mehrere Eingangskanäle für Reize beteiligt sind.

Bei Spritzen hinschauen?

Die Studienergebnisse von Prof. Dr. Martin Diers zeigen: Wer den schmerzhaften Körperbereich anschaut, fühlt weniger Schmerz und hat einen größeren Erfolg von Therapiemaßnahmen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass man hinschauen sollte, wenn man eine Spritze bekommt. „Kollegen fanden in einer Studie heraus, dass es in diesem Fall umgekehrt ist: Wer das Bild einer Injektion sieht, empfindet einen gleichzeitig dargebotenen, schmerzhaften Reiz als unangenehmer“, sagt der Forscher.

Die Gummihandillusion: Geteilter Schmerz ist geringerer Schmerz

Wie bedeutend visuelle Informationen für die Wahrnehmung des eigenen Körpers sind, belegen auch andere Studien eindrucksvoll, vor allem Arbeiten über das Phänomen der Gummihandillusion. Dabei legen Versuchspersonen eine Hand in ihr Blickfeld, die andere hinter eine undurchsichtige Wand. Zwischen die beiden Hände wird eine Gummihand platziert, sodass die Versuchsperson eine eigene und die Gummihand so sieht wie normalerweise die eigenen beiden Hände. Berührt man nun die versteckte echte und die Gummihand gleichzeitig, zum Beispiel mit einem Pinsel, erscheint die Gummihand der Versuchsperson als zum eigenen Körper dazugehörig, was als Gummihandillusion bezeichnet wird.

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Bei der Gummihandillusion erscheint die Gummihand der Versuchsperson als zum eigenen Körper dazugehörig.
Bei der Gummihandillusion erscheint die Gummihand der Versuchsperson als zum eigenen Körper dazugehörig.
(Bild: Damian Gorczany, Ruhr-Universität Bochum)

Diers und sein Team zeigten in erweiterten Versuchen, dass auch Licht- und Temperaturreize die Gummihandillusion hervorrufen können: Wurde die versteckte Hand erwärmt und die Gummihand synchron rot angeleuchtet, war die Gummihandillusion stärker ausgeprägt, als wenn Erwärmung und Licht asynchron dargeboten wurden. „Noch interessanter ist aber, dass bei der Erwärmung der versteckten Hand bis in den schmerzhaften Temperaturbereich der Schmerz weniger stark wahrgenommen wurde, wenn die Gummihandillusion bestand, als wenn sie nicht bestand“, sagt Diers. „Diese Erkenntnisse könnten uns künftig bei der Behandlung von chronischen Schmerzen nützlich sein.“

Originalpublikationen: Cordier, L., Fuchs, X., Herpertz, S., Trojan, J., & Diers, M.: Synchronous stimulation with light and heat induces body ownership and reduces pain perception, The Journal of Pain, Available online 5 November 2019; DOI: 10.1016/j.jpain.2019.10.009

Beinert K, Lutz B, Zieglgänsberger W, Diers M.: Seeing the site of treatment improves habitual pain but not cervical joint position sense immediately after manual therapy in chronic neck pain patients, Eur J Pain. 2019 Jan;23(1):117-123; DOI: 10.1002/ejp.1290.

Jörg Trojan, Xaver Fuchs, Sophie-Louise Speth, Martin Diers: The rubber hand illusion induced by visual-thermal stimulation, Scientific Reports 8(1), December 2018; DOI: 10.1038/s41598-018-29860-2

Löffler A, Trojan J, Zieglgänsberger W, & Diers M. Visually induced analgesia during massage treatment in chronic back pain patients, Eur J Pain 2017;21(10):1623-1631; DOI: 10.1002/ejp.1066

* M. Drießen, Ruhr-Universität Bochum (RUB), 44801 Bochum

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